5. Entwicklung der rätoromanischen-Sprache / Svilup dil linguatg rätorumeuntsch

Tgi che sa ramontsch, sa dapli“
„Romanisch soll als Nationalsprache anerkannt werden?“

EinleitungEs handelt sich um die älteste lebende Landessprache, um eine Sprache, die in Rätien seit über 2 Jahrtausenden existiert, und sie ist in der gegenwärtigen bündnerischen Kantonsverfassung als dritte bündnerische Landessprache anerkannt. Schweizweit ist sie erst seit 1938 als Landessprache anerkannt und als vierte von vier Nationalsprachen in der Schweizerischen Bundesverfassung verankert. (quarta lingua naziunala). (Teil-)Amtssprache ist das Rätoromanische aber erst seit dem 5. Juli 1996 durch die Revision des Sprachenartikels 116 geworden.1

Die urlateinische Sprache in Rätien entwickelte sich im Wandel der Zeit etwa zwischen dem 15. Jh. v.Chr. und dem 4. Jh. n. Chr. vom Lateinischen zur rätoromanischen Sprache mit all den verschiedenen Idiomen. In den letzten 120 Jahren übernahmen die zwei grossen Nachbarsprachen, Deutsch und Italienisch, in Rätien immer mehr das Zepter. Mit folgenden Zahlen lässt sich die Entwicklung des Anteils an der Bevölkerung ersehen, der noch Rhäzünser-Romanisch spricht: 1900: 97,6%,um 1950: 69.7%und im Jahr 2014: noch 6.5%

Mir als „rumantschader“sei es erlaubt, die Geschichte und Entwicklung dieser weltweit einzigartigen Sprache nachzuzeichnen – einer Sprache, die nach mehr als 2000 Jahren ohne ein eigenes Land und zwischen zwei grosse Sprachen, Italienisch und Deutsch, immer noch gesprochen wird. Mit Recht motiviert es mich, die Geschichte des Rätoromanischen etwas tiefgründiger zu betrachten.1.1 Eine gemeinsame Versammlung aller romanischen Studentenvereinigungen – eine Seltenheit – tagte am 2. September 1934 in Rhäzüns/Razén, was in einer Resolution gipfelte, die das gleiche Ziel anstrebte wie die Lia Rumantscha: die Anerkennung des Romanischen als Landessprache.   

Über die Früh-Germanisierung Rätiens: Die Germanisierung Rätiens begann schon 843 mit dem Teilungsvertrag von Verdun (franz. Stadt).Die Tatsache, dass von 849 bis 1549 die Churer Bischöfe, wie auch die Freiherren von Rhäzüns, die Hohenzollern und die österreichischen Administratoren (bis 1819) mit zwei Ausnahmen ausschliesslich deutsche Namen trugen, widerspiegelt die sprachliche Tendenz deutlich: Die herrschende Schicht im deutschsprachig; alle Urkunden sind in älterer Zeit in Lateinisch, schon sehr früh aber auf Deutsch abgefasst. Die romanische Volkssprache wurde als Amtssprache nie anerkannt, und ihre Erhebung zur Schriftsprache erlebte sie erst im 16. Jahrhundert. Eine weitere Gefährdung der romanischen Sprache ging von der Siedlungsbewegung der Walser aus. Diese deutschsprechenden Gomser kamen um die Mitte des 13/14. Jh. auf Umwegen über norditalienische Gebirgstäler in den hinteren Rheinwald und verteilten sich über die höhergelegenen Regionen Rätiens.2 M.s.u. 57. Zeittafel 

Im 19. Jahrhundert begann die rätoromanische Renaissance: Man hat heute Mühe, sich vorzustellen, dass es einmal eine Zeit gab, in der verständige und wohlmeinende Leute die rätoromanische Sprache am liebsten ausgerottet hätten und dieses Ziel öffentlich kundtaten. Tatsächlich sind etwa 100/120 Jahre vergangen, seit die Erkenntnis von Wert und Würde dieser Sprache sich auszubreiten begann. Erst die so genannte rätoromanische Renaissance führte zu der heute von allen Seiten ausgesprochenen Wertschätzung des Rätoromanischen und zu seiner planmässigen Pflege. Wir wollen versuchen, einige Schritte in der Geschichte zurückzugehen, um uns den Persönlichkeiten zuzuwenden, die man als Wegbereiter dieser Aufwertung der Sprache betrachten kann. Wir dürfen sie als „rumantschaders“avant la lettre bezeichnen, denn Sprachpolitiker im modernen Sinne des Wortes waren sie noch nicht. So lag ihnen zum Beispiel der Gedanke völlig fern, die Beförderung des Rätoromanischen zu einer der Nationalsprachen der Schweiz zu erwägen oder gar zu verlangen.

Über die beiden Wegbereiter der rätoromanischen Renaissance: Wie selbstlose Wörterbuchautoren das Neuland der rätoromanischen Lexikographie beackerten und damit Sinn und Verständnis für die zuvor vernachlässigte Sprache weckten.

Joseph Planta aus Susch. Planta verfasste in London um 1775 eine Geschichte der „Romansh language“. Er war Oberbibliothekar am British Museum, und da lag es nahe, dass er der Royal Society die nötige Aufklärung zuteilwerden liess, als ihr der Bündner Gesandte am Hofe von St. James eine unterengadinische Bibel geschenkt hatte. Joseph Planta zeichnete in einer 31 Seiten starken Schrift die Geschichte dieser Sprache nach, wobei wir ihm manche Irrwege nachsehen wollen, da er andererseits die Parallelität des Altfranzösischen mit dem Bündner Romanischen klar erkannte und überhaupt als erster die Kunde von dieser merkwürdigen, unbekannten Sprache in die Welt hinaustrug. Seine Abhandlung wurde nämlich sogleich ins Deutsche übersetzt, und die folgenden Autoren schrieben munter daraus ab. Das Büchlein ist heute in einer Faksimile-Ausgabe, die 1972 in Menston (Yorkshire) herauskam, für sprachgeschichtlich Interessierte leicht einsehbar.

Pater Placi a Spescha: Obschon seit Planta das Romanische allmählich zur Kenntnis dergelehrten Welt kam, änderte dies in Graubünden zunächst kaum etwas. Eine Bewusstwerdung, wenn man so sagen darf, lässt sich erst seit der Jahrhundertwende um 1800 beobachten. Man darf sich an dieses Datum halten, da damals zwei gelehrte Männer zusammentrafen, denen die Förderung der Muttersprache am Herzen lag: Pater Placi a Spescha (1752-1833) und Mattli Conradi (1745-1832). Beide waren zusammen mit neunzig anderen Bündnern als angebliche oder wirkliche Franzosenfreunde nach Innsbruck deportiert worden. Dort fanden sich der protestantische Pfarrer und der katholische Konventuale im gemeinsamen Interesse für ihre Sprache. Alexi Decurtins, dessen Übersicht über „Das Rätoromanische und die Sprachforschung“(Vox Romanica 23.1964) immer noch die massgebliche Geschichte der Rätoromanistik ist, nennt dieses Zusammentreffen eine „Akademie in der Verbannung“.Die unfreiwillige Unterbrechung der gewohnten Tätigkeit gab den Deportierten Gelegenheit, gründlicher über das Romanische nachzudenken und Meinungen auszutauschen. Die Beiden waren sich einig, dass etwas zur Rettung der alten Sprache geschehen müsse. Pater Placi a Spescha hatte sich seit seinem zwanzigsten Lebensjahr mit dem Romanischen beschäftigt, und er verfasste im Laufe seines Lebens nicht weniger als dreissig grössere und kleinere Schriften zum Nutz und Frommen des Romanischen, aber es blieb leider alles Manuskript. Er befürwortete schon damals eine einheitliche romanische Schriftsprache. Seine Wirkung beruhte allein auf dem persönlichen Einsatz dieses ruhelosen Universalgenies, dessen grösste Leistungen allerdings auf dem Gebiet der Naturforschung lagen.

Allgemeine Haltung der Rätoromanen gegenüber der herrschenden Schicht im Lande, die deutschsprachig war/ist: Die Rätoromanen als kleines Bergvolk zwischen zwei grossen Sprachen – Deutsch und Italienisch – wurden in den Alpentälern immer mehr eingeengt. Sie hatten seit eh und je einen Minderwertigkeits-Komplex und gaben gegenüber den selbstsicher auftretenden Germanen zu verstehen, dass das Romanische eine unterentwickelte, wilde Sprache sei, die nur sie untereinander verstehen. „Sie zeigten sich scheu, unterwürfig, mit einer Gefühlshaltung der Rückständig- und Minderwertigkeit“.

Den wirklichen Wert des Rätoromanischen mussten uns andere klar machen: „Eine andere Linie, die zur neuen Wertung des Rätoromanischen führte, ging über ausländische Sprachwissenschaftler. Sie machten den eingeborenen unterwürfigen Bündnern erst richtig klar, dass ihre Sprache kein Aschenbrödel ist, sondern als Schwester der grossen Kultursprachen wie Spanisch, Französisch, Italienisch auf die gleiche vornehme Abstammung stolz sein kann“.3  

Weitere Nachläufer der Wegbereiter: Otto Carisch (1789-1858), Pfarrer in Poschiavo. Baseli Carigiet (1811-1883), Pater in Disentis. Zwischen dem „Taschen-Wörterbuch der Rhaetoromanischen Sprache in Graubünden, besonders der Oberländer und Engadiner Dialekte“ von Otto Carisch (1848) und dem „Vocabulari Scursaniu“ von Raymund Vieli (1895-1953, Razén/Rhäzüns) von 1938 wurde auch noch ein streng auf die Sprache der Cadi beschränktes Wörterbuch vorgelegt, das P. Baseli Carigiet (1811-1883) verfasst hatte. Zaccaria Pallioppi (1820-1873), Jurist. Theodor Gartner, Wiener Sprachwissenschaftler.     

Zur Erinnerung: Angebracht an Chasa Vieli, Via Casti. Die schönste Würdigung ist die Erinnerung.“ (Sammlung chrsp.)

Robert von Planta (1864-1937)                                 

Lia Rumantscha – Animatorin der rätoromanischen Bewegung: Der Untergang der rätoromanischen Sprache und Kultur schien zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts unabwendbar. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wurde im Oktober 1919 die Dachorganisation Lia Rumantscha gegründet. Ihr Ziel war die Erhaltung und Förderung des Romanischen. Die damit eingeleitete Erneuerung gipfelte in der Anerkennung des Rätoromanischen als Nationalsprache im Februar 1938. Die Anstrengungen zur Erhaltung gehen bis heute weiter. Anfangs des 20. Jahrhunderts sah es nicht rosig aus für die romanische Sprache und Kultur. Neben inneren Schwierigkeiten – das Volk war der Sprache gegenüber gleichgültig – setzten auch äussere Einflüsse der romanischen Sprache zu. Diese Gleichgültigkeit und vor allem die wirtschaftliche Situation mit den demographisch-sprachlichen Auswirkungen taten das ihre. Die Abwanderung und die Germanisierung hatten zur Folge, dass der romanische Bevölkerungsanteil von 48,6% anno 1850 auf 31% im Jahre 1930 sank. Diesen dem Anschein nach schicksalhaften Niedergang (lingua moribunda) nahmen italienische Philologen zum Anlass, den Rätoromanen mit dem Hinweis, Romanisch sei ein lombardischer Dialekt, die italienische Sprache und Kultur als Heimat anzupreisen. Dieses Angebot wurde aber klar abgewiesen. Die Spitze der Verteidigung war der berühmte Spruch des Engadiner Dichters Peider Lansel „Ni Italians - ni Tudaischs, Rumantsch vulains restar“. Giachen Conrad stellte die klägliche Situation dar. Er rief auf, die letzten Lebenskräfte zu sammeln, um für das Romanische einzustehen. Er appellierte an die Bündner, methodisch und planmässig eine Phalanx zu bilden, damit gerettet werde, was noch zu retten sei. „Was heute möglich ist, ist morgen schwieriger und übermorgen bereits unmöglich“. Dieser Weckruf blieb nicht ohne Echo. Die Sprachvereine fanden sich zu einer Vorbereitungssitzung in Thusis ein. Giachen Conrad, der Initiant der Bewegung, stellte in seinem Referat „Il mantenimaint dil lungatg retorumantsch“ein klares Ziel- und Arbeitsprogramm für eine Zentralorganisation vor. Daraus ging dann am 26. Oktober 1919 die Lia Rumantscha als Dachvereinigung aller romanischen Sprachvereine hervor. Einigkeit macht stark: „Sprache dient nicht nur der Gemeinschaft, sie ist auch eines der wunderbarsten Mittel zu deren Herstellung“.(Prof. C. Hegnauer, Sprachenrechtler). Dies galt nun auch für die Romanen Bündens. Da die kleine Sprachgemeinschaft nicht auf ein Millionenvolk als gleichsprachiges „Hinterland“ zurückgreifen konnte, waren auch ihre Möglichkeiten beschränkt, in jeder Beziehung, aber vor allem im Finanziellen, z. B. bei Publikationen (Lektüre, Grammatika, Wörterbücher, Presse usw.) oder bei der öffentlichen Sprach- und Kulturpflege (Assimilationskurse, Romanisch-Unterricht, Volksbibliotheken usw.). Darum musste sich der Vorstand der Lia Rumantschanach Geldquellen umsehen. Private Legate, verschiedene Organisationen, Gemeinden, der Kanton Graubünden und der Bund steuerten moralische und finanzielle Unterstützung bei. Es wurden vielfältige Aktivitäten, unter anderem auch jährliche Kurse für die Bündner Lehrer, durchgeführt. Cuors linguistic im Jahr 1931 in Razén/Rhäzüns: Dieser, von Bündner Lehrern stark frequentierte Kurs (über 100 Teilnehmer) hat wesentlich zur Stärkung des romanischen Bewusstseins beigetragen. (Ebenfalls 1932 in Zuoz und 1933 in Breil/Brigels). 

Rätoromanisch als Nationalsprache? Studenten als Wegbereiter: Der Wunsch nach Anerkennung in der Bundesverfassung – wie bereits schon von G. Conrad, dem langjährigen Präsidenten der Lia Rumantscha1919 erwähnt – wurde an der Generalversammlung der Studentenorganisation Ladinia im Februar 1931 in Samedan von Dr. O. Gieré, Redaktor ihres Organs Sain Pitschen, genau formuliert und zum ersten Mal öffentlich ausgesprochen.

Der Artikel 116 unserer Bundesverfassung müsse neu formuliert werden! "Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch sind Nationalsprachen der Schweiz. Als Amtssprachen gelten Deutsch, Französisch und Italienisch“. Eine Unterscheidung zwischen National- und Amtssprache wurde nun nötig, da die Romanen keineswegs den Status einer offiziellen Amtssprache verlangen wollten.

Diese Forderung wiederholte O. Gieré in einem vielbeachteten Artikel „Güstia“ (Gerechtigkeit) und an der Generalversammlung der Lia Rumantscha vom November 1933 wurde ein Komitee unter Leitung von Prof. Pieder Tuor mit den Initianten Conrad und Gieré eingesetzt, das die nötigen Schritte einzuleiten hatte. Die eine Seltenheit darstellende gemeinsame Versammlung aller romanischen Studentenvereinigungen in „Razén/Rhäzüns vom 2. September 1934 gipfelte in einer Resolution“, die das gleiche Ziel anstrebte: Romanisch sollte als Nationalsprache anerkannt werden.

Der Politische Weg: In der Novembersession 1934 des Bündner Kantonsparlaments wurde erstmals teilweise auf Romanisch debattiert, und eine von Sep Modest Nay eingereichte Motion wurde einmütig erheblich erklärt: Die Bündner Regierung wurde beauftragt, in Verbindung mit der Lia Rumantscha, „dem Bundesrat unsere Wünsche zu unterbreiten, dass auch das Romanische als Nationalsprache erklärt und anerkannt werde“. In Erfüllung seines Auftrages reichte der damalige Kleine Rat (heute Regierungsrat) am 21. September 1935 eine schriftliche Eingabe an den Bundesrat ein mit dem Ziel, „den Romanen in der Eidgenossenschaft die ihnen zukommende rechtliche Stellung als selbständiges Sprachgebiet nicht länger vorzuenthalten, eventuell ihnen auch im Kampf um die Existenz ihrer Muttersprache zu helfen“. Bei der Beantwortung der Interpellation von Nationalrat Giusep Cadonau vom Oktober 1936 („Wie glaubt der Bundesrat, dem Wunsch des romanischen Volkes entsprechen zu können?“) wies Bundesrat Ph. Etter darauf hin, „dass die Schweiz ihre historischen Grundlagen, den Zusammenschluss der Glieder, unter Wahrung und Pflege ihrer Eigenart, zu gegenseitiger Hilfe, unversehrt erhalten will“. Bereits am 1. Juni des folgenden Jahres unterbreitete der Bundesrat dem Parlament eine reich dokumentierte Botschaft und beantragte die Abänderung und Ergänzung von Artikel 116 der Bundesverfassung. Beide Räte verabschiedeten die Vorlage einstimmig zuhanden der Volksabstimmung.

Februar 1938, ein Jubeltag: Die Abstimmungsvorlage wurde mit 574`991 zu 52`827 Stimmen gutgeheissen. Eine klare Antwort!
Diesem Artikel hatte 1937 auch das Parlament zugestimmt, 1938 folgten Volk und Stände mit deutlichem Mehr. Der obige Text stammt aus der Eingabe der Bündner Regierung an den Bundesrat. 1935 verlangte der Kleine Rat des Kantons Graubünden mit einer Eingabe an den Bundesrat die Anerkennung des Rätoromanischen als vierte Landessprache. Der Bundesverfassungsartikel 116 lautet neu definitiv so: „Das Deutsche, Französische, Italienische und Rätoromanische sind Nationalsprachen der Schweiz. Als Amtssprachen des Bundes werden das Deutsche, Französische und Italienische erklärt“.4

Bemerkung: Als der Kleine Rat (Regierung) des Kantons Graubünden im Jahr 1935 mit der Eingabe an den Bundesrat die Anerkennung des Rätoromanischen als vierte Landessprache verlangte, war der Rhäzünser Christian Joseph Anton Vieli-Roberti (1884-1962) Regierungsrat. Zur gleichen Zeit war ebenfalls ein Rhäzünser, Dr. Ramun Christian Alois Anton Vieli-Schmid (1895-1953) an der Kantonsschule Chur als romanischer Fachlehrer angestellt; er arbeitete am Wörterbuch VOCABULARI ROMONTSCH SURSILVAN-TUDESTG mit. Vieli-Schmid war ein Coucousin des oben erwähnten Regierungsrats. An der Eingabe von 1935 an Bundesrat und Parlament betreffend den Sprachartikel 116 in der Bundesverfassung haben die beiden Rhäzünser sicherlich mit grossem Einsatz mitgewirkt. Durch die Revision des Sprachenartikels 116 ist das Rätoromanische 1996 zur (Teil-)Amtssprache geworden.


„Das Deutsche, Französische, Italienische und Rätoromanische sind Nationalsprachen der Schweiz. Als Amtssprachen des Bundes werden das Deutsche, Französische und Italienische erklärt“.4

Im Jahr 1985 erschien im Verlag der Lia Rumantscha bereits das erste Pledari rumantsch grischun, ein romanisch-deutsches und deutsch-romanisches Wörterbuch mit rund 22`000 Stichwörtern samt einer Elementargrammatik. Die neugeschaffene Schriftsprache Rumantsch Grischun „duess salvar ils Rumantschaders“? 5


ca.1990 Informationen über Graubünden. Manchmal verstehen wir rumantschaders uns selbst nicht. (Sammlung chrsp.) 

Stammbaum des Romanischen
Vom Latein zum Rumantsch Grischun / Dal latin al rumantsch grischun

 
Bild aus: Terra Grischuna 1. 1988 - Sprachgeographische Bündner Karte 6

Die Ligia Romontscha ermunterte das Volk in Aufrufen, daheim, in der Kirche, in der Schule und im öffentlichen Leben mehr Romanisch zu sprechen. Diese Appelle sollten auch dazu anregen, Kindern häufiger romanische Vornamen zu geben, die In- und Aufschriften Romanisch zu gestalten und das romanische Liedgut und Theater zu nutzen und zu pflegen. „Romane, sei stolz, zeig es offen, denn Du bist Träger einer alten Tradition! Sorge dafür, dass unter Romanen nur romanisch gesprochen werde!“

Romanisch ist auch nach der Anerkennung vom Volk als vierte Nationalsprache der Schweiz kein Pflichtfach in Bündens Schulen. Es blieb auch nach der Gleichberechtigung aller drei Sprachen (Kantonsverfassung 1894) den Gemeinden überlassen, die Sprachsituation zu regeln.7

Lehrer müssen die Schönheit und das Überraschende der Sprache vermitteln.Wer das nicht kann, soll lieber Banker werden“ Iso Camartin


Die romanische Sprache von Rhäzüns / Il lungatg rumeuntsch da Razén

„Il romontsch ei il lungatg dil cor, ed il tudestg il lungatg dil peun“, wiederholte Dr. Ramun Vieli im Romanisch-Unterricht gegenüber den Schülern an der Kantonsschule immer wieder. Die (Mutter-)Sprache bietet nicht nur die Möglichkeit, sich auszudrücken, sie ist ein Teil des Menschen selbst, und wer sie Preis gibt oder sie verliert, gibt einen Teil seiner selbst auf! 8
In Razén/Rhäzüns war die Verhandlungssprache seit eh und je romanisch, sowohl in der Gemeinde, in der Kirche als auch auf der Strasse. Wohl wurden Verträge mit der Herrschaft Rhäzüns ab 1459 (Graf Niklas Eitel-Friedrich I. von Hohenzollern) zum Teil in deutscher Sprache abgefasst. Versammlungen wurden in Romanisch und Deutsch abgehalten, aber Protokolle in Deutsch abgefasst, weil die Obersaxer, Sculmser, Felsberger und die jeweils neu zugezogenen Herrschaften der Herrschaft Rhäzüns die romanische Sprache nicht verstanden. Schriftstücke, die nur die Einheimischen betrafen, wurden auf Romanisch – der Sprache des Volkes – verfasst. Davon zeugen die im Jahr 1810 gedruckten „fuormas dil seramen pil mistral ed ils geraus dil Plaun da Razén“ (Eides-Formeln für den Landammann und die Geschworenen im Rhäzünser Boden).

Die erste, 1853 dem Kleinen Rat zur Genehmigung unterbreitete Gemeindeverfassung, wie auch Kaufverträge und andere güterrechtliche Vereinbarungen, Briefe, Verträge oder sonstige Vereinbarungen wurden unter den Leuten in Romanisch gehalten.9  Dr. Blasius Caliezi-Degiacomi schreibt in seinem Vorwort zur Gemeindeverfassung von 1950 in Bezug auf die Gemeindeordnung von 1853: „Die romanische Sprache verstand sich von selbst, denn die Bevölkerung gehörte sozusagen ausschliesslich dem einheimischen Bauernstande an, der zum Teil die deutsche Sprache gar nicht oder nur sehr mangelhaft kannte“.10 Mit dem Wachstum der Wirtschaft anfangs des 20 Jahrhundert wuchs zeitweise auch die Bevölkerungszahl. Vor allem der Zuzug aus der Deutschschweiz, gleichzeitig aber auch der teilweise Wegzug der Einheimischen, brachte für unsere Gemeinde eine Wende, insbesondere im Hinblick auf die romanische Sprache. Mit Rücksicht auf die deutschsprechende Minderheit wurde seit vielen Jahren an den Gemeindeversammlungen wie auch bei allen gesellschaftlichen Anlässen Deutsch gesprochen. Die Behörden bedienten sich ausschliesslich der deutschen Sprache für alle Mitteilungen, Protokolle etc. Auch aus der Kirche wurde die romanische Sprache verdrängt.11

„Nach dem Pfrundbrief (1950) sollte die Predigt 2 Sonntage Romanisch sein, dann 1 Sonntag Deutsch, 2 Sonntage Romanisch usw. Für die Verhältnisse, wie sie jetzt in Rhäzüns sind, ist das nach meiner Ansicht zu wenig Deutsch, da viele hier ansässig sind, die nicht Romanisch verstehen, dagegen aber alle Deutsch. Gewiss, das Romanische ist zu halten, wo immer das möglich ist, aber nicht auf Kosten der seelsorglichen Betreuung“.12

Die Schule hat sich schon seit ihren Anfängen der deutschen Sprache bedient; ursprünglich aus Mangel an Unterrichtsbüchern in Romanisch. Unter dem Einfluss einzelner Schulinspektoren verbot das Erziehungsdepartement um die 20. Jahrhundertwende den Schulen im Bezirk Imboden, sich in der Schule der romanischen Sprache zu bedienen.13 Ebenfalls wurden während dieser Zeit bis ca. 1920 die Protokolle der Gemeinde-Versammlungen in Deutsch abgefasst. Als um 1920 die rätoromanische Renaissance begann, hielt man sich bis anfangs der 1960er-Jahre sozusagen ausschliesslich ans Romanische, und ab den 1960er-Jahren ging‘s – bis heute – wieder zurück zum Deutschen.

Protokollkopien


Gemeindearchiv: Protokoll der Versammlung von 11. August 1907


Gemeindearchiv: Gemeinde-Versammlung vom 24. April 1921


Gemeindearchiv: 1960, Trennung der Kirche von der politischen Gemeinde.14

Aus der Informationsschrift von 1991 über die Gemeinde Rhäzüns
(Ausgabe 1991. Auflage: 1500 Exemplare)

Unter anderem steht da auch etwas über die romanische Sprache von Rhäzüns: „Die Einstellung der Rhäzünserbevölkerung zur romanischen Kultur ist in hohem Masse positiv. Man versucht mit allen Mitteln das Romanische zu erhalten, wenn es auch schwer fällt. So wurde das Romanische vor einigen Jahren für die Primarschule als Pflichtfach eingeführt, damit eine Fortsetzung zum Kindergarten, wo ebenfalls romanisch gesprochen wird, besteht. Erfreulicherweise nahmen auch viele Erwachsene und vor allem Neuzugezogene Romanisch-Kurse. Die Erhaltung der vierten Landessprache war aber auch mit ein Grund für den Bau eines eigenen Oberstufen-Schulhauses im Jahre 1982. Zuvor, von 1964-1982, besuchten die Rhäzünser-Sekundarschüler den Unterricht in Bonaduz. Diese neue Lösung dürfte die Möglichkeit zur Erhaltung der romanischen Sprache stärken.15

Sprachen-Entwicklung in Rhäzüns / Svilup dil`s lungatgs a Razén da 1850-2015
(Ohne Gewähr, da die Quellen zum Teil unterschiedliche Prozentzahlen aufweisen)

Eine Sprache, die wie jetzt nur von einer Minderheit gesprochen, nicht aber geschrieben und kaum gelesen wird, muss schlussendlich verkümmern.16 

Die unten aufgeführten Vereine und Genossenschaften sind die letzten, deren Versammlungen und Protokolle in Rhäzünser Romanisch gehalten wurden. "Las proximas uniuns e soziatads, che en sut manei si, en las davosas che an manau las raduneunzas ed ils protocols componiu en rumeuntsch da Razén": Igl chor viril Baselgia, tochen igl onn 1998/Der Männer-Kirchenchor;   L`uniun Purila, tochen igl onn 1975/Der Bauernverein;   Tratga da biestga bovina brina, tochen igl onn 1975/Braunviehzuchtgenossenschaft
La soziatad da l`alp da vaccas, tochen igl onn 1969 / Kuhalpgenossenschaft

Wenn man rückblickend die Geschichte und Entwicklung der rätoromanischen Sprache in Rhäzüns betrachtet, mutet es fast schon unglaublich an, dass das Romanische in Rhäzüns nicht schon lange erloschen ist. Unsere Nachbargemeinde Bonaduz wurde anfangs des 20. Jahrhunderts vollständig germanisiert.17

Vocabulari: cun in per plaids per cumpreglièr igl rumeuntsch cugl tudestg / Hier einige Wörter, um das Romanische mit dem Deutschen zu vergleichen

 

 

Über die echten Etrusker– und Räter werden noch immer Hypothetische-Geschichten“ geschrieben
Quellen: Von Robert von Planta (1929), Titus Livius, Pompejus Trogus,Plinius und Internet.19 (Herkunft der Räter und ihres Namens)

Die etruskische Kultur ist in diesem Gebiet zwischen 800 v. Chr. und der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. nachweisbar. Nach der Eroberung durch die Römer (300 bis 90 v. Chr. gingen die Etrusker weitgehend in der Kultur des Römischen Reichs auf. Doch berichtet noch Prokob im 6. Jahrhundert n. Chr. von Etruskern unter seinen Zeitgenossen. Mit der Erforschung der etruskischen Geschichte, Sprache und Kultur beschäftigt sich die Etruskologie.


Bild Internet: Feld Violett: das Gebiet der damaligen etruskischen Völker, die bis zu Beginn der "Eisenszeit" Itialien beherrschten. Selber nannten sie sich Rasenna. 

Herkunft der Räter und ihres Namens

Vermutungen über einen Zusammenhang zwischen Rätern und Etruskern gab es bereits in der Antike. Zeugen dafür sind u.a. die Textstellen bei Titus Livius, Pompejus Trogus und Plinius. (…) Während Livius sich darauf beschränkte, den Rätern tuskischen Ursprung zu bescheinigen, wussten es Pompejus Trogus und Plinius – der den ersteren als Quelle benutzt haben könnte – etwas genauer: Sie gingen davon aus, dass die Räter die Nachfahren der Etrusker gewesen sind, die – unter ihrem Führer Rätus, notabene – von den nach Norditalien einbrechenden Galliern in die südlichen Alpen verdrängt worden waren. Diese Behauptung wurde von der Rätologie später dankbar aufgegriffen. Es liegt selbstverständlich nahe, die zwei unbekanntesten Völker der italienischen Antike miteinander in Verbindung zu bringen, zumal ja ihre Siedlungsgebiete sich geographisch recht nahe beieinander fanden. (…) Es verwundert also nicht, das die Forschung in den letzten 150. Jahren wieder versucht war, die Räter zu Etrusker-Abkömmlingen zu machen. Die verschiedenen Abwandlungen des nordetruskischen Alphabets, in denen die rätischen Inschriften gehalten sind, taten das Ihrige dazu, diese Ansicht zu bestärken. (…)

Der erste neuzeitliche „Rätologe“, Conte Giovanelli, vertrat die Ansicht, die Räter seien nicht etwa, wie es von Livius, Pompejus Trogus und Plinius behauptet wurde, Nachkommen der Etrusker, sondern gewissermassen deren „Vorfahren“ gewesen. Die Räter waren ein Volk oder eine Gruppe von Völkern der Antike im Bereich der mittleren Alpen, nach älteren Vorstellungen ungefähr zwischen dem Lago Maggiore, Como, Verona, dem Unterinntal und dem Bodensee.

Die deutsche Bezeichnung geht auf die seit dem 2. Jh. v. Chr. in antiken griechischen und römischen Quellen erscheinenden Parroi (Rhaito) bzw. Raeti zurück. Teils heisst es darin, die Räter seien durch die keltische Invasion der Poebene (um 400 v, Chr.) in die Alpen vertriebene und dort „verwilderte“ Etrusker gewesen. Dies gilt heute als unglaubwürdig, jedoch ist neuerdings eine sprachliche Verwandtschaft zwischen bestimmten Alpenbewohnern der Antike und Etruskern bestätigt worden.

Im 1. Jh. v. Chr. wurden die Räter dem römischen Reich eingegliedert und im Verlauf der römischen Herrschaft romanisiert. Die römische Provinz Raetia wurde nach ihnen benannt, obgleich ursprünglich nicht alle ihrer Bewohner als Raeti bzw. Rhaitoi bezeichnet worden waren und obgleich südalpine (dem einen oder anderen Autor zufolge) „rätische“ Stämme nicht diese Provinz Gallia cisalpina bewohnt hatten, unter Augustus den regiones des römischen Kernlandes Italien zugeordnet wurden und mit dem römischen Bürgerrecht ausgestattet worden waren.


Bild Internet: Feld Violett: Karte um 14. n. Chr. mit "Rätischen" Völkern beidseits der Grenze der Provinz Raetia und der oberitalienischen Regionen

Bei Robert von Planta (1929) finden wir eine recht differenzierte Betrachtungsweise des Räterproblems. Von Planta wehrte sich dagegen, die Räter den Etruskern beizustehen, brachte aber auch Argumente für eine Verwandtschaft der beiden Völker vor. In einer Inschrift von Sondrio sah er geradwegs den etruskischen (…) bei den Inschriften von Magrè dachte er „an eine südrätische-etruskische Mischsprache, bei einigen Stücken vielleicht direkt an Etruskisch“; verglich er den auf einer Bozen Inschrift gefundenen mutmasslichen rätischen Personennamen Perinatate mit dem von Paul postulierten etruskischen Namen Perisnel. Für Planta war es Jedenfalls klar, das an vielen Orten des südrätischen Gebiets Etrusker in kleinen Gruppen, vielleicht sogar in geschlossenen Ansiedlungen sassen.

Eine enge Verwandtschaft zwischen der rätischen und der etruskischen Sprache scheint nicht vorhanden zu sein. Weder stammt das Rätische direkt vom Etruskischen ab, noch lässt sich erweisen, dass das Etruskische und das Rätische die gleiche Ursprache besitzen (wiewohl dies durch aus im Bereich des Möglichen liegt). Die ganz vorhandenen Ähnlichkeiten der beiden Sprachen müssen wohl vorläufig auf nachbarliche Sprachkontakte zurückgeführt werden. Die kulturelle Überlegenheit der Etrusker hat nicht nur zur Übernahme (und späteren Abwandlung) ihres schrifttsystems, sondern auch zu religiösen Parallelen geführt, die sich in den Weiheformeln der rätischen Inschriften niedergeschlagen haben. Ein Beitrag zur Klärung der Etruskerfrage lässt sich aus dem Rätischen bis anhin ebenfalls nicht gewinnen.    

Etrusker-Grab
"Erstmals seit Jahrzehnte haben Archäologen ein gut erhaltenes Etrusker-Grab im Mittelmeerraum freigelegt. Grabungen auf der Insel Korsika förderten ein fast 2400 Jahre altes Skelett und eine Reihe von Tongefässen zutage. Das unterirdische Grabmal stamme „aus den Jahren 300 bis 350 vor Christus“, so der Ausgrabungsleiter".  (In der "Südostschweiz" vom 21.4.2019)