52. Alpwirtschaft
Einleitung
Die Gemeinde Rhäzüns besitzt zwei Alpen: Die eine ist die zweistaffelige Rhäzünser Alp mit Alp sut und Alp sura. Sie befindet sich auf dem Gebiet der Gemeinde Rhäzüns. Bestossen wird sie mit ca. 110 Kühen.
Die zweite Alp ist die Alp Starlera auf dem Gebiet der Gemeinde Innerferrera. Eigentümerin dieser Alp ist die Bürgergemeinde Rhäzüns. Es können ca. 800 Schafe sowie ca. 130-140 Rinder, Mesen und Kälber gealpt werden.1 Gekauft wurde die Alp im Jahre 1928 von Rhäzünser Bauern.
Anfänge der Alpenbewirtschaftung
Man weiß, dass die ältesten Dauersiedler in der Jungsteinzeit (4000 v.Chr.) neben der Jagd von bescheidenem Ackerbau und Viehzucht lebten. Ob sie aber auch bereits Alpen benutzten, ist sehr fraglich.
Späte Bronzezeit: Erste Zeugnisse einer Alpnutzung stammen aus der späten Bronzezeit (um 1000 v. Chr.). Funde auf der heutigen Alp Cosenz bei Untervaz, in Drusatscha / Davos, Schlappin, im Umkreis des Flüela und im Berninagebiet deuten auf Anfänge der Alpnutzung hin.
Geburtszeit Christi: Erste schriftliche Aufzeichnungen gehen auf die Zeit um Christi Geburt zurück. Plinius und Strabo berichten von begehrtem Bergvieh aus Rätien und von delikatem Käse aus diesen Landen, die auf römischen Märkten gehandelt wurden. Unklar ist aber, wie zur Römerzeit die Alpen bewirtschaftet wurden. Großgrundbesitz und das römische Recht dürften aber auch bei uns heimisch gewesen sein.
Hohes Mittelalter: Die zunehmende Einwanderung germanischer Stämme aus dem Norden beendete das Imperium Romanum im 5. Jahrhundert. Es folgte eine Epoche starken Bevölkerungswachstums bis ins hohe Mittelalter. Mit Rodungen, Entwässerungen und der Ausdehnung der Alpflächen versuchte sich das Volk zu ernähren. Die Alpen gewannen einstweilen an Bedeutung. Das Land gehörte den weltlichen oder geistigen Herrschern, Privatbesitz gab es kaum. Die Bauern – und das war fast das ganze Volk – als Nutznießer zahlten Zinsen oder Zehnte. Mit Flurzwang, Gemeinnutzung und ersten Ansätzen von Alprodungen wurde das Gemeinschaftsland genutzt.
Zeit des späten Mittelalters / der Frühen Neuzeit und der Herrschaft Rhäzüns: Die Zeit zwischen 1200 und 1600 war geprägt durch die Loslösung der Untertanen von den Feudalherren.2
Während dieser Zeit bestand zeitweise für die Untertanen ein so genannter Alpzwang. Der Sinn eines solchen Alpzwanges lag darin, eine geregelte Verteilung des Viehs zwischen Heimweide und Alp während der Sömmerungszeit zu haben. Ein Alpzwang bestand insbesondere dort, wo die Verknappung der Heimweide eine möglichst intensive Bestoßung der Gemeindealpen erforderte.3
1529. Hochgericht Rhäzüns – erste Ökonomische Trennung zwischen Rhäzüns und Bonaduz: Die Nachbarschaft Bonaduz verlangte im Mai 1529, dass das Hochgericht Rhäzüns Wunn und Weide der beiden Nachbarschaften ausscheide. Hiermit sollte der Anfang in der Trennung der ursprünglich eine Marktgenossenschaft bildenden Nachbarschaften getan werden. Dazu mussten vorerst die Grenzzeichen gesetzt werden.
1532: Jede Nachbarschaft wählte hierzu acht Mann aus. Ferner zogen sie den damaligen Herrn von Rhäzüns (Conradin von Marmels) bei, der die Zustimmung zur Teilung geben sollte. Am 1. August 1532 vereinbarte man nach Recht und Billigkeiten zu teilen. Weil Rhäzüns grösser als Bonaduz war, sollte es auch mehr Alpboden bekommen. Im Übrigen gaben die Marchsteine Aufschluss über die vorgenommene Trennung.
Unter keinen Umständen durfte eine Nachbarschaft ihr Vieh auf den Alpteil der anderen treiben. Nur Rhäzüns erhielt das Recht, mit den Ochsen in die Bonaduzer Alp zu fahren.4
M.s.u. 35. Abtrennung von Bonaduz
1686. Grenzstreit zwischen Rhäzüns und Sculms (Streitfall Alp sura): Nach einem seit 1686 andauernden, langwierigen und unerledigten Prozess um einen Grenzstreit zwischen Sculms, das auf einer natürlichen Bergkamm-Grenzlinie bestand, und den Rhäzünsern, die auf eine unnatürliche, künstliche Grenzlinie mit vielen Marksteinen prätendierten, sollte die Grenze einige hundert Meter vom Bergkamm entfernt sculmserseits bergabwärts gezogen werden.
Am 7. Juni 1707 folgte endlich ein Vergleich, der festgesetzt worden war. Dadurch gelangte Rhäzüns in den Besitz der nunmehr Rhäzünser Alp sura.5 M.s.u. 36. Abtrennung von Sculms.
1600-1850: Ein trauriges Kapitel ist die Zeit zwischen 1600 und 1850. Kriege, Bündner Wirren, Söldnertum, Reformation, Hungernöte und Seuchen (Pest) trieben die hochkultivierte Berglandwirtschaft an den Rand des Ruins. Die Alpwirtschaft erlebte ein Tief wie nie zuvor.6
1816/17. Die grosse Hungersnot: In diesem denkwürdigen Katastrophenjahr 1816 fiel in jedem Sommer Monat Schnee, und zwar bis in den tieften lagen. Die Alpen konnten erst am 5. Juli bestossen, mussten jedoch am Ende des Monats wieder wegen Schneefall verlassen werden, da das Vieh keine Weide fand. Der folgende Winter brachte weiterhin viel Schnee bis im Mai 1817. Die Bergtäler litten noch lange unter den Schneemassen, so dass die Alpfahrt erst im Juli möglich war. Die Monate Juli und August waren erneut durch Nässe, Kälte und Überschwemmungen gekennzeichnet.7 Ein Ausbruch des Vulkans Tambora auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien im Jahre 1815 war der Auslöser der Abkühlung in den beiden „Jahren ohne Sommer“. M.s.u. 57. Zeittafel, 13. Lawinen, Rüfen Erdbeben
August 1832. 1. Teilungsurkunde „Lag“ Alp sura Rhäzüns/Bonaduz: Die Gemeinde Rhäzüns hat gemäss Urkunde im Hinblick auf die Bonaduzer Alp il Bot das Tränkerecht beim Lac Alp sura bis auf weiteres zugesichert.8
Ab 1850 versuchten Bund und Kanton der maroden Alpwirtschaft wieder auf die Beine zu helfen.9
1898: Die Urkunde von 28. August 1898 ersetzte die Teilungsurkunde vom 1. August 1832: „Da zwischen den zwei ehrsamen Gemeinde Bonaduz & Rhäzüns mit Bezug auf die Benützung der Tränke am Weiher (See) in der Alp sura, Eigentum der löbl. Gemeinde Rhäzüns, etwelcher Meinungsverschiedenheit entstanden ist, so haben sie sich auf gütlichem Wege verständigt“.10 (siehe Rückseite des Dokuments)
1981. Situationskarte der Gemeinde Rhäzüns. Rot eingekreist ist das Gebiet der Alp sut und Alp sura.
Rhäzünser Kuhalp: Alp sut und Alp sura
Natürliche Grundlagen: Die Rhäzünser Kuhalp hat eine Gesamtweidefläche von 202 ha, von denen ein grösserer Teil infolge Steilheit und Bewaldung nur beschränkt produktiv ist. Das unterste Weidegebiet beginnt auf 1300 m ü. M., der höchste Punkt erreicht im Crest Stievel 2002 m ü. M. Die Höhendifferenz ist demnach gross und die Alp nur mit 2 Stafeln zweckmässig benutzbar. Die Alp ist für 110 Stösse (GVE Grossvieheinheit) berechnet, also 108 Kühe, 1 Zuchtstier, 1 Pferd für alle Zugarbeiten und 20-30 Mastschweine.
1978, Alp sut: Hirtenhund Zita (Sammlung chrsp.)
Das Weidegebiet ist mehrheitlich gegen Osten geneigt und nicht allzu stark der Sonne ausgesetzt, was angesichts der geringen Niederschläge von Bedeutung ist. Die Alp sut befindet sich in einer geschützten Mulde inmitten von ringgängigem und gut grasigem Weidegebiet. Die Alp sura liegt auf der Kuppe des Heinzenberges, wo ziemlich flache Weidegebiete am Rande in steile und kupierte Abhänge übergehen. Die Höhendifferenz ist vor allem vom Untersäss bis in die untersten Weideplätze gross.
Die Grasnarbe ist mehrheitlich in den Stafeln der Alp sut und der Alp sura sowie im Culm, Sella sura, Sella sut, Stavel Martella, Stavel dil Vaul, Pleun da Dumengias, Stavlegna und Parvésa von sehr guter Qualität. Allerdings ist das Gebiet in den Lärchen und an Orten, wo die Bäume zu dicht stehen, mit pastg sadatsch (Buschgras) und Farn bestockt. In der Alp sura leidet das Gras auf dem Westhang oft unter der Trockenheit. Bei beiden Stafeln hat es eine Alpwiese für die Gewinnung von Notheu.11 (Bemerkung: Seit der Wald–Weide-Ausscheidung von 1972/73 hat die Alp nur noch eine Gesamtweidefläche von 145 ha)
1912 lässt die Gemeinde auf der Alp sut und Alp sura ein Zisternenwasser-System mit grossen Wasserreservoirs für Fr. 14`800.- erstellen.
1913: Bau eines Schweine- und Kälberstalles in der Alp sut für Fr. 6`600.-
1920: Auf der Alp sura wurde eine Mistlege für Fr. 11`620.- errichtet.
Juni 1924: Die Maul- u. Klauenseuche ist auf der Alp sut ausgebrochen. (Die Durchseuchung dauerte 15-21 Tage)
1926/27 wurden auf der Alp sut und Alp sura auf einer Fläche von 19,2 ha Weidräumungen vorgenommen. Dabei wurden die Alpenrosen, Erica, Wacholder, Heidelbeeren und Erlen ausgegraben, sowie Steine gesammelt und vergraben. Die verkrüppelten Waldpflanzen wurden ausgegraben, während die Lärchen geschont wurden.12
Bis 1948 hatten die Rhäzünser Bauern für die Milchkühe zwei Alpgenossenschaften: nämlich die Alpgenossenschaft Alp sut, und die Alpgenossenschaft Alp sura. Die beiden Alpen wurden separat bewirtschaftet und mit Kühen der Mitglieder der Alpgenossenschaft bestossen. Die Mittglieder der jeweiligen Genossenschaft traten oft auch in anderen Bereichen als Konkurrenten gegeneinander auf, z. B.in der Viehzuchtgenossenschaft oder in der uniun Purila etc.
1950: Hütte Alp sut, Südseite. Sonntagsbesuche aus dem Dorf (Sammlung chrsp.)
Die Alp sut wurde mit ca. 55 Milchkühen bestossen; die Weideflächen liegen zwischen 1300 und 1600 m ü. M.; die Alpzeit dauert ca. 100 Tage.
Die Alp sura wurde mit ca. 55 Milchkühe bestossen; dort liegen die Weideflächen auf 1500 bis 1850 m ü. M. Darum eine kürzere Sömmerungszeit von nur ca. 85/90 Tagen.
Die Stallungen sind auf beiden Alpen in gutem Zustand, die Kühe werden nur während der Melkzeit eingestallt. Die Sennhütten seien recht primitiv und es sei schwierig gewesen, qualitativ gute Milchprodukte herzustellen. Für das Vieh der Alp sut war und ist immer noch genügend Quellwasser als Tränke in den unteren Alppartien vorhanden. In trockenen Jahren war der Lag Miert bis zum heutigen Tag immer eine sichere Wasser-Reserve.
Die Sennhütten Alp sut und sura erhielten 1912 je ein Wasserreservoir, das nur mit Zisternenwasser gespeist wurde. Für das Vieh der Alp sura stand als Tränke nur das Wasser aus dem Lag Alp sura (See) zur Verfügung.
Das Alp-Personal stammte bis zu dieser Zeit vorwiegend aus Rhäzüns, manchmal einzelne auch aus der näheren Umgebung.13
Die beiden Alpgenossenschaften überprüfen eine eventuelle Zusammenlegung
1949 wurde für die Bewirtschaftung eine Fusion der beiden Alpgenossenschaften geprüft und für das folgende Jahr vorbereitet.
1950: Der Versuch der beiden Alpgenossenschaften, sich zusammen zulegen, erwies sich als erfolgreich. Durch den ganzen Umbau entstanden ein paar Neuerungen. Die fusionierte Alpgenossenschaft Rhäzüns pachtete die Alp sut und die Alp sura von der Gemeinde Rhäzüns zu einem vereinbarten Pachtzins. Die Entlohnung des Personals und den gesamten Proviant eines Sommers musste die Alpgenossenschaft übernehmen. Jeder Kuhbestösser war verpflichtet dem Alppersonal pro Kuh ein halbes Kilo Fleisch abzugeben. Der eintägige (pro Kuh) Frondienst wurde wie bisher auch weiterhin beibehalten.
1951-54. Melioration und Bewirtschaftung: Die Bewirtschaftung der Alp konnte anfänglich während der Durchführung der Alp-Melioration nur reduziert aufgenommen werden. Auf der Alp sut sowie Alp sura wurden die Hütten, Sennereien, Ställe, Schweineställe, die Wasserversorgung und Zufahrten zweckmässig und zeitgemäss gebaut.
1955-1971: Die Bewirtschaftung durch die neu fusionierte Alpgenossenschaft funktionierte mit der neu durchgeführten Melioration im zweistaffeligen System recht gut.
Als Personal waren 1 Senn, 1 Zusenn, 1 Werkarbeiter, 1 Hirt, 1 Zuhirt und meistens noch 2 Knaben im Alter von 12-16 Jahren angestellt.
Aus der Milch wird Butter, Käse, und Zieger fabriziert. Der Rest der Milch, die Schotte, wurde den Schweinen verfüttert.14
1947, Alp sura. Hirt Josef (Pepp) Bernasconi (1919-2009) hat elterlichen Besuch (Sammlung chrsp.)
1962, Alp sut. Hirten Ruedi Haltiner, Balthasar Spadin (1911-1980) und Claudio Tuor (1952) (Sammlung chrsp.)
1954, Alp sut. Hirt Balthasar Spadin (1911-1980), Zuchtstier Titan (Sammlung chrsp.)
1957, Schermen Alp sut. Morgendlicher Stallaustrieb (Sammlung chrsp.)
1966, Schermen Alp sut. Mario u. Theodor Spadin (beide 1952) (Sammlung chrsp.)
1966, Alp sura. Mario Spadin (1952), Paster pign. Flüela, Marlis, Maia, Marfa (Sammlung chrsp.)
Während der Zeit von 1962 bis 1966 liess die Gemeinde ab Penzas sura bis zur Alphütte sura eine ca. 5.5 km lange Zufahrtstrasse bauen und sogleich auch einige hundert Meter lange Lawinenverbauungen erstellen.
1969: Die dorfeigenen Alpbestösser traten aus Mangel an Interesse, eine Funktion in der Alpgenossenschaft zu übernehmen, immer passiver auf, sodass die Alpgenossenschaft aufgelöst und der Gemeinde die Pacht gekündet wurde. Die Gemeinde verpachtete die Kuhalp mit den gleichen Bedingungen wie bei der Vorgängerin, an Meinrad Spadin. Es verlief alles ohne Beanstandung, wie sich dies die Bauern von früher her gewohnt waren. Auch im dritten Jahr nach der Übernahme von 1969 verlief der Sommer bis zum 14. August 1971 ganz normal. An diesem Tag brannte/-n die Scheune/Stallungen bis auf die Grundmauern nieder.
1971: Am 14.8.1971 brannten die Stallungen in der Alp sut Alp nieder. Die Gemeinde Rhäzüns entschied, die Stallungen nicht mehr aufzubauen, sodass der Alpbetrieb auf Galtvieh umgestellt wurde. Die Gemeinde verpachtete die Rhäzünser Alp sut weiterhin an Meinrad Spadin, dazu wurden andere Bedingungen so vereinbart, dass er ungebunden Jungrinder zur Sömmerung aufnehmen konnte. Zusätzlich zur Alp sut pachtete er auch noch die Alp Nova von der Gemeinde Präz, die südlich an die Alp sut grenzt. Er pachtete und hirtete diese Alpen bis seine Kräfte 1989 nicht mehr genügten. Die folgenden Pächter waren Toni Caminada-Peretti, Armin und Johanna Mark-Spadin, Constantin und Annet Caminada-Stützel.
1972/73 erfolgte die Wald- und Weideausscheidung.14
1973 wurden die Alpen Alp sura Rhäzüns und Alp Il Bot Bonaduz für eine gemeinsame Bewirtschaftung in einer Alpgenossenschaft zusammengelegt.
Zuchtstier Reto, 1963, Alp sura. Hirt Balthasar Spadin (1911-1980) (Sammlung chrsp.)
1965. Lag Alp sura, Razén, Mario Spadin(1952) mit Kühen Marfa u. Maia (Sammlung chrsp.)
1963, Alp sura. Meinrad Spadin, zwei junge Besucherinnen (Sammlung chrsp.)
1979 Alp sut. Meinrad Spadin-Caviezel (1913-2006) auf seinem „Aussichts-Stein“ (Sammlung chrsp.)
1957, Alp sura. Gottesdienst mit Herrn Pf. Giusep Berther (Sammlung chrsp.)
1982, Alp Nova. Hirt Meinrad Spadin-Caviezel (1913-2006) (Sammlung chrsp.)
Zur Gründung der Alpgenossenschaft Bonaduz / Rhäzüns
Nachdem die Stallungen der Alp sut Rhäzüns niedergebrannt waren, wurde für die Zukunft nach Lösungen gesucht.
Rhäzünser Kuhalp: Die Zeit zwischen dem Schermen-Brand auf der Alp sut und der Zusammenlegung der Kuhalpen mit der Bonaduzer Alp il Bot.
Für die Sicherstellung einer Kuhalp unterbreiteten die Alpbestösser der Gemeinde Rhäzüns einige Varianten und Ideen:
1. Ein Wiederaufbau der Scheunen mit der Entschädigung der Gebäudeversicherung
2. Die Alp sura nur mit Rhäzünser Kühen bestossen. 55 Kühe.
3. Die Alp sura und die Zupacht der Bonaduzer Oberalp. 40 Rh. und 40 Bon. Kühe.
4. Die Bonaduzer traten an die Rhäzünser heran und zeigten Interesse für eine gemeinsame Bewirtschaftung der beiden Kuhalpen il Bot Bonaduz und Alp sura Rhäzüns.1
(Für die Rhäzünser wäre die Variante 2 in jedem Bereich die beste gewesen. Aber sie entschieden sich für die Variante 4.)
Bonaduzer Alp il Bot
Seit dem 1. August 1532 ist die Gemeinde Bonaduz alleinige Eigentümerin der Alp il Bot. Die Alp liegt auf Gebiet der Gemeinde Bonaduz, es handelt sich um eine zweistaffelige Kuhalp mit Unter- und Obersäss, die mit ca. 65 Kühe bestossen wurde.2 M.s.u. 35. Abtrennung von Bonaduz
Bonaduz vor der gemeinsamen Bewirtschaftung von 1973:
Die Bonaduzer hatten immer schon grosse Probleme mit der Alp il Bot.
Das grösste Problem war und ist immer noch das Wasser. Leider ist die Beschaffung von Wasser mit grossen Schwierigkeiten verbunden und schwerlich zu verwirklichen. Die Quellen liegen zu tief, als dass sie wirtschaftlich ausgenützt werden könnten.
Im Untersäss sind die Stallungen und die Sennhütte in gutem Zustand.
Im Obersäss steht eine primitive Sennenhütte, ohne Schermen / Stallungen, kein fliessendes Wasser. Das Wasser muss jeden Tag über mehrere hundert Meter hergetragen werden. Der Lag (See) liegt auf Rhäzünser Boden. Man kann sich fast nicht vorstellen, dass die Bonaduzer auf diese Art und Weise bis 1970 unter so primitiven Verhältnissen Milch-Produkte herstellen konnten.
Die Grasnarbe ist mehrheitlich im Untersäss-Staffelgut. Allerdings sind die anderen Gebiete vorwiegend mit Zechenbuschgras / pastg sadatsch bestockt.3
„Durch Mangel der dorfeigenen Alpbestösser gerieten die Alpinteressen immer mehr ins Hintertreffen. Man war dabei, die Bonaduzer Alp einwachsen zu lassen oder mit Schafen oder Pferden zu beweiden.“ 4
Die Bonaduzer Kuhalpbestösser nahmen von der Rhäzünser Situation (Schermenbrand) Kenntnis und kamen zum Schluss, jetzt oder nie könne die Alp il Bot nur gemeinsam mit den Rhäzünsern gerettet werden. Sie traten an die Rhäzünser heran und erklärten ihre Sorge und ihr Interesse an einer gemeinsamen Bewirtschaftung der Kuhalp il Bot Bonaduz mit der Alp sura Rhäzüns.
Für die Rhäzünser kam dies nur in Frage, wenn die Bonaduzer für eine komplette Infrastruktur mit Zufahrt, Wasserversorgung und einer zeitgemässen Sennerei-Einrichtung sorgten, was sie denn auch versprachen und schlussendlich auch umsetzten.5
Durch lange Diskussionen und Verhandlungen verging die Zeit und es reifte bei den Initianten der Entschluss – und auch seitens der Gemeinden Rhäzüns und Bonaduz war man soweit einverstanden –, die zwei Alpen wirtschaftlich in einer Alpgenossenschaft zu fusionieren. Nun mussten noch der Betrieb, Reglemente und Pachverträge besprochen und genehmigt werden.6
1972: Die Rhäzünser und Bonaduzer Bauern sowie Kuhmieter haben sich im Hinblick auf die Alp sura Rhäzüns und die Alp Il Bot Bonaduz für eine gemeinsame Bewirtschaftung entschieden, mit dem Einverständnis der beiden Gemeinden Rhäzüns und Bonaduz.7
1973: „Bei der Gründungsversammlung vom 11. Januar 1973 wurde die Alpgenossenschaft Bonaduz – Rhäzüns ins Leben gerufen.“ 8
1974: Erstellung einer neuen Wasserversorgung. In Salatginas wurde eine Quelle neu gefasst und mit einer Pumpe wird das Wasser in eine geschlossene Leitung zur Alphütte im Untersäss hochgepumpt.9
Die Gemeinden Rhäzüns und Bonaduz zeigten viel Verständnis für das Weiterbestehen des Alpbetriebes und investierten immer wieder in die Anlagen.
Nun sind seit 1973 die Alp sura Rhäzüns und die Alp Il Bot Bonaduz für eine gemeinsame Bewirtschaftung in einer Alpgenossenschaft zusammengelegt.10
(Die Bonaduzer haben durch die Zusammenlegung sehr profitiert.)
Wenn man zusammenfassend alles in Betracht zieht, wäre es rein ökologisch gesehen vernünftig gewesen, die Alp il Bot mit Schafen oder Pferde zu beweiden, oder gar brach der Natur zu übergeben und einwachsen zu lassen.
Rhäzünser Alp Starlera: Jungrinder- und Schafalp
1917: Das Rhäzünser Jungvieh wurde vor 1917 im halben Kanton Graubünden frei gealpt.
1917-26: Pachtung einer Alp im Bernina-Gebiet
1927-28: Pachtung der Alp Starlera1
1928 Kauf der Alp Starlera: Am 14. Juli 1928 kaufte die Viehversicherungsgenossenschaft (VVG) Rhäzüns die Alp Starlera, die auf dem Gebiet der Gemeinde Innerferrera liegt. Die Alp kann mit ca. 800 Schafen sowie ca. 140 Rindern, Mesen und Kälbern bestossen werden.
1928: Die Schafalp wurde von Anfang an und wird bis zum heutigen Tag immer an private verpachtet.
1929-1980: Für die Bewirtschaftung der Jungvieh-Alp wurde die „Alpgenossenschaft Starlera“ gegründet, eine Tochtergenossenschaft der Viehversicherungsgenossenschaft (VVG). Für die Leitung der neuen Tochtergenossenschaft mussten zwei Mittglieder aus der VVG gewählt werden, der eine als für die Bewirtschaftung der Alp zuständiger Alpmeister / Betriebsleiter, der zweite als für eine saubere Betriebsrechnung verantwortlicher Kassier.
1970: Alphütten Alp Starlera (Sammlung chrsp.)
Natürliche Grundlagen. Allgemeine Lage: Das Territorium der Alp Starlera ist ein Hochtal, das sich von Westen nach Osten parallel zum Averser Tal erstreckt. Um auf die Alp zu gelangen, führt ein fahrbarer Weg von Innerferrera bis Tascheal, dem tiefsten Punkt von Starlera. Weiter geht’s nur noch zu Fuss, über Stock und Stein bis zur Alphütte und noch weiter über die Oberalp nach dem Starlera Pass, so wie in den alten Zeiten. Die Alp ist niederschlagsreich, sie hat bei trockenen Wetterperioden kein Wasserproblem. Alle zwei- bis dreihundert Meter fliessen Bäche nieder. Wald gibt es im unteren Bereich auf der linken Talseite, vorwiegend Lärchen. Auf der rechten Seite findet man einige Arven. Der Tiefste Punkt liegt bei 1765 m ü. M. in Tascheal, die Alphütte auf 2078 m ü. M. und der höchste Punkt ist der usser Wissberg auf 3053 m ü. M. Die Alp hat eine Gesamtfläche von 1155 ha oder 11.55 km2, wobei rund die Hälfte der Fläche wegen Steilheit und Felsgeröll unproduktiv ist.
Für die Rinder und Kälber besteht eine Weidefläche zwischen 2000 m ü. M. beim Stafel und 2300 m ü. M. auf der Oberalp. Für die Mesen ist eine Weidefläche zwischen 1765 m ü. M. in Tascheal und 2300 m ü. M. bei Platten reserviert. Für die Schafe steht eine Weidefläche zwischen 2155 m ü. M. und 2650 m ü. M. zur Verfügung. Die Grasnarbe ist auf der ganzen Alp mehrheitlich sehr gut, kräftig, saftig und nahrhaft.
2008: Alp Starlera talaufwärts, Luftaufnahme.
Die Grasnarbe, die über 2300 m ü. M. wächst, ist sehr kurz, eigentlich zu kurz für das Rind, aber weil das Gras so schmackhaft ist, kann das Rind, das normalerweise das Gras mit der rauen Zunge packt und abreisst, nicht darauf verzichten. So sträubt sich das Rind gegen seine eigene Natur und beisst das Gras mit dem vorderen Kiefer ab. Das Rind ist ein Wiederkäuer, der im ausgewachsenen Alter nur am Unterkiefer 8 Schaufelzähne (Beisszähne) besitzt und über einen knorpelartigen Oberkiefer verfügt. Und weil sich die Lippen zwei bis drei cm. vor den Zähnen befinden, müssen sie, um das Gras abzubeissen, die Lippen so fest in den Boden drücken, dass sie durch den Druck und die Reibung oft bluten. (Bemerkung: Jungrinder bis 3 Jahre sind noch im Milchzahnstadium mit 4 oder 6 Schaufelzähnen.)
Da die Sömmerungszeit auf der Alp Starlera nur etwa 80 Tage dauert, kann beim Galtvieh, welches in Starlera gealpt wird, auf den Heimweiden in Rhäzüns von Anfang bis Ende Juni die Alpung mit einer so genannten Voralpung um 15 bis 20 Tage verlängert werden.2
1934: Hütte Alp Starlera. Besuch der Rhäzünser Bauern. (Sammlung chrsp.)
Alp Starlera ca. 1934. Gion Giusep Maier-Caminada, Giusep (Sep) Maier, Anton (Tuni) Maier (Sammlung chrsp.)
1935: Die Absturzgefahr für die Tiere in der Alp war sehr hoch. Es zeigte sich, dass das Zäunen unerlässlich war. Der Arbeitsaufwand war riesig, bis die gröbsten Gefahrenzonen eliminiert worden waren. Abgestürzte Tiere mussten an Ort und Stelle zerlegt und nach Möglichkeit ins Tal gebracht werden.
Ab 1960 wurde vermehrt der elektronische Hüte-Apparat eingesetzt.
1944 Schafalp: Auf der Schafalp wurde eine neue Hütte aus Stein und mit Blechdach für Fr. 3000.- erstellt.3
Hütte, Schafalp Alp Starlera. (Sammlung chrsp.)
1951: Hirtschaft Josef (Sepp) Mon (1904-1977 ), Plazi Riedi (1938), Pius Tschalèr (1938); auf Besuch: Martha Tschalèr (Sammlung chrsp.)
1951: Pius Tschalèr (*1938), Milchziege (Sammlung chrsp.)
1953: Bis 1953 musste die Wegstrecke von Rhäzüns nach Starlera zu Fuß bewältigt werden. Am Abend um 18 Uhr war jeweils Abmarsch und es dauerte 18 bis 20 Stunden bis die Alp erreicht wurde – eine große Strapaze für die Tiere und für die Viehtreiber; es sind doch 45 km, die bewältigt werden mussten.
Bisher konnte man nur per Bahn (RhB) in Richtung Süden größere Herden Alpvieh nach dem Albulatal und dem Engadin transportieren, und somit auch für den Export nach Italien. Da nach Schams und Avers ab Thusis kein Bahnanschluss bestand, wurde nach Alternativen gesucht.
Zum ersten Mal versuchte man, die Tiere mit großen Lastenzügen von Rhäzüns nach Innerferrera zu transportieren. Die Transportfirma Peter Wolf, Chur, erklärte, diesen abenteuerlichen Auftrag anzunehmen. Sie ließ an alle Wagons und Anhänger eine Aufstiegsrampe anbauen, um das Rindvieh einzuladen. Nach dieser Premiere dachte sich die Transportfirma einen neuen Slogan aus! „Peter Wolf Chur transportiert alles.“ Es war schon sehr eindrücklich, als die 5 Lastwagons mit Zweiachsanhänger hinter dem Schulhaus in einer Kolonne vorfuhren und die selbst konstruierte Laderampe herunter ließen. Es war ein Erlebnis dabei zu sein und zuzuschauen, wie die 45 Rinderzüchter die ca.140 Stück Jungvieh zum Sammelplatz hinter dem Schulhaus brachten, denn es war für alle – Tier, Bauern und Chauffeure – das allererste Mal, das Vieh einzufangen und in die Wagons einzuladen. Dies war ein spektakuläres „Rodeo“ der Sonderklasse mit sehr viel Hektik und Nervosität.4
1969: Gescheiterter Sicherstellungsversuch der Alp Stalera: Der Vorstand der VVG liess die Möglichkeit einer Übergabe der Alp Starlera an die politische Gemeinde Rhäzüns abklären. Diese wurde jedoch nicht realisiert. 5
1980: Aus Mangel an Interesse der dorfeigenen Alpbestösser geriet man immer mehr ins Hintertreffen. Daher wurde die Alpgenossenschaft Starlera nach einigen Diskussionen aufgelöst. Für die Weiterführung und Bewirtschaftung der Alp suchte die VVG Rhäzüns einen Pächter, der die Alp zu den gleichen Bedingungen, wie sie bisher für die Alpgenossenschaft gegolten hatten, übernahm. An Interessenten fehlte es nicht. Den Zuschlag bekam Max Jung aus Niederhelfenschwil, SG. Es verlief alles so, wie es sich die Bauern von früher her gewohnt waren, ohne Beanstandung. Seither wurde und bis zum heutigen Tag wird die Alp von Pächtern bewirtschaftet.6
1983: Durch einen Erdrutsch am Schermen entstand ein größerer Schaden von Fr.137`000.-. Mit Versicherungsgeldern und etwas Eigenkapital wurde auf der Alp wieder der ursprüngliche Zustand hergestellt.
2000: Installation einer Solarstromanlage auf der Alp Starlera.
2000: „Fusionszwang“ für die Viehversicherungsgenossenschaft (VVG) Rhäzüns und die VVG Bündner Rheintal. Damit die Alp durch eine Fusion nicht in fremden Besitz überging, mussten die Mitglieder der VVG Rhäzüns schnell eine Lösung finden, so dass die Alp in Rhäzünser Besitz blieb.
2002. Gelungene Sicherstellung der Alp Starlera: Im Jahr 2002 hat die VVG Rhäzüns die Alp Starlera der Bürgergemeinde Rhäzüns geschenkt und auch grundbuchamtlich überschreiben lassen. Somit ist die Bürgergemeinde Rhäzüns (Cumin Burgheis da Razén) definitiv die rechtmässige Eigentümerin der Alp Starlera.
2004 gründeten Sympathisanten der Alp Starlera den Verein „pro Alp Starlera“. Der Verein bezweckt, das Alpgebiet Starlera vielen Einwohnerinnen und Einwohnern etwas näher zu bringen. (Im Jahr 2010 zählte der Verein 47 Mitglieder.)
2008: „80 Jahre Alp Starlera zu Rhäzüns“ – Die Feier fand am 10. August 2008 auf der Alp bei allerschönstem Wetter statt.7
Über 100 Personen hielten sich den Tag für diese Feier frei und stiegen am frühen Morgen in die Bergschuhe, nahmen Hut und Stöcke mit, füllten den Rucksack mit Proviant und machten sich gut gelaunt auf den Weg. Für die Rhäzünser, die nicht gut zu Fuss unterwegs waren, wurde ein Helikopter bestellt. Für einige war es einer der schönsten Tage.8
2008. Hirten-Knaben von 1951: Pius Tschalèr (1938) und Plazi Riedi (1938) auf Besuch in Starlera. Hier haben sie sich nach 58 Jahren wiedergetroffen. (Sammlung chrsp.)