4. Entwicklung der Land- und Volkswirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert (1. Teil)

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Allgemeines zur Landschaft rund um Rhäzüns

 

„Alles, was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand.“ (Charles Darwin)

Die Naturlandschaft von und um Rhäzüns ist geprägt durch Höhenunterschiede, ein speziell mildes Klima und unterschiedliche Vegetationsgesellschaften. Mit der Besiedlung und der wirtschaftlichen Nutzung greift der Mensch aktiv ein und formt eine sich stets wandelnde Kulturlandschaft. Seit dem 19. Jahrhundert treten als landschaftsprägende Faktoren neben der Landwirtschaft zunehmend Industrie und Tourismus auf. Die Entwicklung seit Mitte des 20. Jahrhunderts bewirkt eine Homogenisierung der einst lokal stark diversifizierten Kulturlandschaften. Parallel dazu vergrössert sich die überbaute Zone massiv und zu den bäuerlichen Siedlungen gesellen sich Gewerbe, Infrastruktur, Dienstleistungen und Freizeitbauten.

Im 19. Jahrhundert und besonders seit 1945 geht der Ackerbau im Berggebiet stark zurück (nicht in den Bündner Rheintal-Ebenen); generell aufgegeben werden zunehmend wenig produktive Flächen. Insgesamt findet eine Vergrünung und nicht zuletzt durch die Meliorationen eine Normierung der Flur statt. Die Zurückdrängung des Waldes aufgrund intensiver Beweidung und umfangreicher Holzschläge wurde mit den eidgenössischen Forstgesetzen (1876, 1902) gestoppt. Seither nahm die Waldfläche bis im Jahr 2000 in Rhäzüns um ca. einen Fünftel, in Graubünden um ca. einen Drittel zu.

Zu einer eher nutzungsorientierten Wahrnehmung der Landschaft durch die Einheimischen kommt Ende des 18. Jahrhunderts eine ästhetische Wahrnehmung dazu (eine auf Schönheit fokussierte Haltung). Vor allem Fremde entdecken die Alpen als Erholungsraum und bereiten damit den Weg für deren touristische Erschliessung. Nachhaltige Spuren hinterlassen die Kunststrassen, später auch der Eisenbahnbau, die zahlreichen Berg-Seilbahnen und die elektrischen Leitungen. Landschaftsprägend wirken sich seit dem 19. Jahrhundert in Graubünden auch die Gewässerverbauungen und -korrektionen aus, ferner die Lawinenverbauungen und Kraftwerkbauten.

Massgeblich beteiligt an dieser vom Fortschrittsglauben beflügelten „Zähmung“ und Ausbeutung der Natur sind die Ingenieure, die ein hohes Ansehen geniessen. Kurz nach 1900 tritt aber die Heimat- und Naturschutzbewegung auf den Plan. Sie wendet sich, oft im Verein mit Tourismuskreisen, gegen Naturzerstörung. Zwischen all diesen unterschiedlichen Interessengruppen kommt es aber insgesamt kaum zu grösseren Konflikten.1

Die Landschaft von Rhäzüns

Natürliche Grundlagen

"Boden, Umwelt und Landschaft sind unsere Lebensgrundlagen. Schützt und pflegt sie".

Allgemeine Lage und Grenzen: Die Gemeinde Rhäzüns liegt im untersten Abschnitt des Hinterrhein-Tales, zum Teil auf der Ebene, die durch das Dreieck Hinterrhein- Vorderrhein-Heinzenberg gebildet wird und grenzt im nördlichen Teil an die Gemeinde Bonaduz. Rhäzüns ist im Süden durch die Talenge begrenzt, die den grossen Talkessel des Domleschgs abschliesst. Das Gemeindeterritorium erstreckt sich von der ebenen, 657 m ü. M. hoch gelegenen Rheinterrasse über den steilen Abhang des Heinzenberges bis zur Créte, die das Rheintal vom Safiental scheidet. Zwischen 800 und 1400 m ü. M. nehmen die Maiensässe die flacheren Partien ein. Sie sind durch einen breiten Waldgürtel, der zum Teil beweidet wird, von den Talgütern abgetrennt. Das darüber liegende Gebiet gehört zur Rhäzünser Alp. Der Rhein ist sozusagen die einzige naturgegebene Grenzlinie zu den zahlreichen Nachbargemeinden. Im Norden und Nordwesten grenzt die Gemeinde Bonaduz an Rhäzüns, im Safiental an die Gemeinde Versam (mit dem Hof Sculms). Der Bezirk Heinzenberg berührt Rhäzüns bei Präz und Cazis, während am östlichen Ufer des Rheines Domat/Ems und Rothenbrunnen angrenzen. Der tiefste Punkt der Gemeinde liegt am Rheinufer auf 599 m ü. M. und der höchste liegt auf dem Crest-Stievel bei 2002 m ü. M, aber der Hausberg ist der Crest-Ault auf 1942 m ü. M. Das Dorf dehnt sich im Umkreis der Bahnschwelle der RhB-Station aus, die auf 657 m ü. M. liegt.   

Gelände und Boden: Das Gelände in Rhäzüns ist teils eben, grösstenteils jedoch geneigt und in östliche bis nordöstliche Richtung orientiert. Die Talebene ist eine durchlässige, kiesige Fluss- und Gletscher-Ablagerung, in die der Rhein ein ca. 50 bis 60 m tiefes Bett eingefressen hat. Der Grundwasserspiegel liegt zu tief, als dass er wirtschaftlich ausgenützt werden könnte, um die Felder zu bewässern. Ackerland finden wir nur in der Talebene. Die Humusschicht ist vielerorts nur dünn und ebenfalls sehr durchlässig, so dass in trockenen Jahren meist Schäden und Ernteausfälle entstehen. Erwähnenswert sind die Terrassen im Gebiet von Undrau Genna sura, Rufer, Wusaus und Darnaus, die durch die Einwirkung von Fliessgewässern aus den Deltasedimenten des nacheiszeitlichen Reichenauer Sees entstanden sind. Der ganze Bergrücken des Heinzenberges besteht aus lehmigem Bündner Schiefer, der ziemlich undurchlässig ist. An flacheren Stellen bilden sich Tümpel und stellenweise ist der Boden versumpft. Trotz allem ist auch dieser Hang im Allgemeinen trocken, insbesondere die auf der Bergkuppe liegende Partie der Alp, in der keine ergiebigen Quellen zu finden sind. Der lehmige Schiefer wird bei Trockenheit sehr hart und die oberste Bodenschicht verkrustet. Unter diesen Verhältnissen ist der Futterertrag in nassen Jahren bedeutend besser als in trockenen.

Klima: Der ganze Talkessel rund um Rhäzüns bildet eine Trockenzone in der durchschnittlich nur 90 bis 120 cm Niederschläge im Jahr fallen. Das Gebiet mit und rund um Rhäzüns gehört zu den trockensten und mildesten Gebieten der Schweiz. Gewitter werden in der Regel durch die vorgelagerten Glarner und St. Galler Berge abgehalten und der von mehreren Seiten einfallende Wind vermag Bewölkung und Regen oft zu verhindern. Der Nordwind kommt als Fallwind über den Kunkelspass. Umgekehrt kann der Föhn von Süden her durch das Domleschg einfallen und zu rascher Austrocknung der Bodenoberfläche beitragen. Windig ist vor allem das Gebiet von Undrau Carna sut, Siebel, Darnaus und Cresta Biema.Das Dorf hingegen ist bei Föhnwind vom Tarmuz her gut geschützt.Hagelschäden ereignen sich praktisch nie, doch kann der Frost hie und da stark auftreten. Die allgemeinen Temperaturen sind im Sommer sehr hoch, können im Winter aber rasch abfallen und ein raues Klima bewirken.4

Elementarer Schaden und Gefahr wegen Uferunterspühlung durch den Rhein: In den 1980er-Jahren hat man am Rheinufer unterhalb Saulzas, Schloss und Siebel ein wenig den Rheinlauf korrigiert, indem man einen Wuhr-Damm erstellt hat. Dabei barg die Uferunterspühlung durch den Rhein eine gewisse Gefahr, der im Laufe der Jahrzehnte schon eine beträchtliche Bodenfläche zum Opfer gefallen ist. Inzwischen besteht infolge der starken Vertiefung des Flussbettes keine Uferunterspühlungs- und Überschwemmungsgefahr mehr.5

Lawinenniedergänge: Niedergang in Val Malè im Winter 1907 -  Ablagerungsstelle Runcalatsch.
In den Jahren 1907 bis 1909 sind Lawinenverbauungen in Val Malè erstellt worden.6
Im Winter 1951, am 20. Januar, gingen fünf grössere Lawinen nieder.7  M.s.u. 13. Lawinen, Rüfen und Erdbeben

Rüfenniedergänge: Im Jahre 1868 ging eine grössere Rüfe von Cavriu bis ins Dorf nieder.
Im September 1964 hatten wir dann eine ähnliche Situation wie 1868, nur war der Schaden bedeutend kleiner.
Bei starken Regenfällen im Winter und gefrorenem Boden gab es manchmal auf den Feldern sowie im Dorf Überschwemmungen.8 M.s.u. 13. Lawinen, Rüfen und Erdbeben 

Wertvolle Naturlandschaften:
Die Rhäzünser Rheinauen sind im Inventar der zu erhaltenen Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung enthalten. Sie bilden eine grossartige natürliche Flusslandschaft. M.s.u. 12. Die Rhäzünser Rheinauen. 
Die Weihermühle / Mulegn Veier ist eine der nur noch seltenen Moorlandschaften mit einer einzigartigen Flora. Ein Teilgebiet davon ist Eigentum des Schweizerischen Bundes für Naturschutz (heute Pro Natura) und des Bündner Naturschutzbundes (Pro Natura Graubünden).
Lag Miert: Als weiteres bedeutende Sehenswürdigkeit ist der Lag Miert zusammen mit seiner erweiterten Umgebung eine Landschaft von regionaler Bedeutung.
Undrau: Das Gebiet von Undrau mit seinen charakteristischen Steilwänden, entstanden durch Flusserosion und nachfolgende Abwitterung, ist ebenfalls ein Landschaftsobjekt von regionaler Bedeutung.9

 
Rhäzüns 1930 (Sammlung chrsp.)


Die Landwirtschaft als Hauptteil der Volkswirtschaft                                   

Einleitung: Die Landwirtschaft war bis Mitte des 20. Jahrhunderts nicht nur ein wichtiger Erwerbszweig, sondern der eindeutig dominierende Wirtschaftszweig mit über 80% aller Erwerbstätigen in Rhäzüns; in Graubünden waren es über 60%. Die einstmals überragende Bedeutung der Landwirtschaft wird deutlich sichtbar, wenn wir zum Vergleich den Tourismus Graubünden heranziehen, der als heute dominierender Wirtschaftszweig über 50% der Arbeitsplätze auf sich vereinigt.10    
Die Landwirtschaft in Rhäzüns war bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine Selbstversorger-Gemeinschaft mit Viehzucht-Fleisch und Milch-Produkten. Im Feldbau wurden vor allem Gras (Heu) Getreide, Mais, Kartoffeln, Gemüse, Obst, Reben, Leinen und Flachs angebaut und geerntet. Es wurde auch Holzkohle für den Verkauf und für den Eigenbedarf hergestellt. Um den Bauernstand von Rhäzüns der letzten 150 Jahre vollständig zu erfassen, muss man fast die ganze Dorfbevölkerung mitberücksichtigen, denn eigentlich besassen alle einheimischen, sesshaften Rhäzünser Familien eine Liegenschaft, die für eine Selbstversorgung konzipiert war. So kamen sie mit einem Zuerwerb als Taglöhner oder mit einem eigenen Nebengewerbe durch. In etwas grösseren Zweimannbetrieben – Vater mit Sohn oder mit Knechten – ging man im Winter dem Nebenverdienst nach, zum Beispiel: Fuhrwerken mit den Pferden für die Gemeinde, Sägerei-Arbeiten oder bei Bedarf Aushelfen für Baustellen. So kamen alle irgendwie knapp durch. Selbst die Lehrer und der Pfarrherr waren Selbstversorger: Für den Pfarrherrn diente bis 1910 eine Anlage als eigentlicher Pfarrhof, d. h. die Hauptpfründe (Haupteinkünfte) des jeweiligen Pfarrherrn bestand in der zinsfreien Bewirtschaftung des Hofes samt zugehörigem Gut (Heute: Haus u. Hof besteht noch in Via St. Paul 4). Die Lehrer aus Rhäzüns besassen fast alle einen Bauernhof und Boden für die Selbstversorgung. Ausser drei Bauernhöfen standen alle davon im Dorfinnern, nämlich Schlossgut, Obermühle und Weihermühle. Die Selbstversorgungs-Gemeinschaft im Dorf funktionierte sehr gut, alle lebten mehr oder weniger gleich gut oder gleich schlecht. Wenn man so will, lautete ihr Slogan: „Jede/-r für alle, alle für jede/-n“. Man lebte von dem, was der lokale eigene Boden hergab. Die damaligen Lebensweisen unterscheiden sich stark von den heutigen.

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde vorwiegend durch direkten Austausch von Waren ohne Vermittlung durch Geld gehandelt, zum Beispiel mit Lebensmitteln, Futter-Erzeugnissen, Waren, Werkzeugen, Boden, Nutztieren oder auch Rechten und Grenzen etc. Bauwerke wurden mit Materialien aus der unmittelbaren Dorfnähe gemeinschaftlich erstellt, sei es für Private oder für die Allgemeinheit. In derselben Zeit entstanden in Rhäzüns die uniun purila Razén. Zwischen 1914 und 1945 kamen zwei Weltkriege sowie um 1929 eine Weltwirtschaftskrise als Erschwernisse hinzu.

Um 1945 bis 1970 erlebte die Bauerngemeinde Rhäzüns einen der grössten Wandlungsprozesse. Rhäzüns entwickelte sich zur Schlafstätten-Gemeinde.Entgegen den Befürchtungen gab es nach dem 2. Weltkrieg keine Arbeitslosigkeit, sondern einen ungeahnten Aufschwung in der Industrie und im Gewerbe. Dadurch begann eine grosse Abwanderung aus der Landwirtschaft. Viele liessen sich als Werktätige oder Beamte entsprechend ausbilden, um in Chur oder Domat/Ems (HOVAG) eine Jahresstelle zu bekommen. Die meisten davon kehrten am Abend nach der Arbeit zum Schlafen ins Dorf zurück. Zur gleichen Zeit pendelten über mehrere Jahrzehnte hinweg 30 bis 50 junge Frauen und Männer als Wochenaufenthalter vor allem in Richtung Zürich oder weiter in andere Städte. Es herrschte eine schleichende Abwanderung, die erst später bemerkt wurde, als die meisten sich an ihren Arbeitsorten definitiv niederliessen.

Die für den einzelnen Bauernbetrieb ungünstige Struktur der Bodenverteilung und die an der unteren Grenze liegende Betriebsgrösse hatten zur Folge, dass die Treue zur Scholle immer kleiner wurde. Ohne Gegensteuern hätte die Überalterung der Bauernbetriebe weiterhin überhandgenommen. Um einen vollständigen Zerfall der Landwirtschaft zu verhindern, wurden noch rechtzeitig Gegenmassnahmen in die Wege geleitet, indem man Bauzonen ausschied, um der Bodenspekulation Einhalt zu gebieten und Verhältnisse zu schaffen, in denen doch einige initiative junge Bauernsöhne sich fachlich zu Landwirten ausbilden liessen und später auch den elterlichen Bauernbetrieb übernahmen. Während der Bauzonen-Planung von 1965 bis 1973 erliess die Gemeinde-Behörde einen totalen Baustopp. Junge Paare suchten während dieser Zeit in Rhäzüns vergeblich eine Bleibe, sie zogen bis auf ein paar wenige für immer fort, obwohl einige eigenes Bauland besassen.

Die erste landwirtschaftliche Aussiedlung fand erst im Jahr 1976 statt, weitere drei folgten 1978, 1993 und 1998. Im Jahr 2012 sah sich altershalber der letzte Rindviehhalter im Dorfinnern zur Aufgabe der Landwirtschaft gezwungen. Heute, im Jahr 2015, gibt es im Dorfinnern nur noch vier Hobby-Schafhalter (sogenannte Freizeitschäfler). Ab den 1980er-Jahren bis 2017 sind einige Gewerbebetriebe am nördlichen Dorfrand gegründet worden.11

   
Rhäzünser-Pflug von 1909. Planzeichnung eines Rhäzünser Pflugs mit allen technischen Angaben

  
Zum Wandel in der Zeit zwischen 1948 und 1970 gehörte in Rhäzüns der Übergang vom Tiergespann zum Traktor, aber vorerst nur als Schlepper


Lanz Bolldog HL: Zyl. 12 PS 1921


Erster Hürlimann 1929

Die Anfänge der Landwirtschaft

4000 v. Chr.,Jungsteinzeit: Man weiß, dass die ältesten Dauersiedler neben der Jagd von bescheidenem Ackerbau und Viehzucht lebten.

1500 v. Chr. bis ca. 350 n. Chr.: Mit der Eroberung Rätiens durch die Römer tritt die Landschaft von Rhäzüns hervor.Das Schloss Rhäzüns soll zur Römerzeit erbaut worden sein und zwar zunächst als eine Wartburg am Knotenpunkt der Römerstrasse, die über die Alpenpässe führte.Das mächtige Volk aus dem Süden wusste vor allem die Alpenübergänge zu schätzen. Allein schon dieser Strassenzüge wegen müssen wir annehmen, dass das Gebiet von Rhäzüns auch aufgrund des milden Klimas schon damals besiedelt war.

10./11. Jahrhundert:

Zur eigentlichen Herrschaftsbildung der Freiherren von Rhäzüns trugen verschiedene Faktoren entscheidend bei. Die fruchtbare Talsohle des engeren Rhäzünser Bodens, der seit frühester Zeit eine geschlossene Grundherrschaft der Freiherren bildete, ermöglichte ihnen ein Auskommen und eine standesgemässe Lebenshaltung. Aus den Lehen- und Zehnten-Rodeln und aus andern Schriftstücken ergeben sich die nicht unbedeutenden Rechte, welche die Herrschaften damals in ihrer rhäzünserischen Stammherrschaft besassen. Die Bevölkerung schuldete ihnen Abgaben in Form von Zehnten, Erblehenszinsen und sonstigen Grundzinsen. In den ursprünglich zur Burg gehörenden beiden Dörfern Rhäzüns und Bonaduz hatte der Herr der Herrschaft gegenüber seinen Eigenleuten das Recht auf die Fasnachtshenne, den Frondienst und auf das so genannte „Besthaupt“,das heisst auf die Abgabe des schönsten Stückes Grossvieh durch die Familie beim Tode des Hausvaters.12 M.s.u. 30. Entstehung

Bis Anfang bzw. Mitte des 20. Jahrhunderts ernährte sich die ländliche Bevölkerung von den lokalen Ressourcen, d.h. von dem, was der lokale Boden hergab. Man lebte in unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen und Abhängigkeiten.

„Tu, wo du bist, was du kannst, mit dem, was du hast“ (Theodore Roosevelt)

Die Ressourcen in Rhäzüns: Die damalige Rhäzünser-Bevölkerung war in der glücklichen Lage, dass der eigene örtliche Boden in unmittelbarer Dorfnähe hergab, was man zum Leben brauchte.


1. Trinkwasser: Die Trinkwasserquellen waren und sind das lebensnotwendigste Element. Sämtliche Trinkwasserquellen sind zwischen 100 und 250 m höher gelegen als das Dorf.
Nahrung: Die Nahrung wurde durch die Jagd und das Sammeln in den damaligen Urwäldern gewonnen. Später kamen Viehzucht-, Feld- und Ackerbau sowie Obst-, Reben- und Gemüsebau hinzu.

2. Baumaterial: Für das Erstellen von Wohnhäusern und Ökonomiegebäuden aus Mauer- Sand- und Holz-Materialien wurde das notwendige Rohmaterial ebenfalls aus den lokalen Ressourcen gewonnen. Es gab drei Schiefersteinbruch-Stellen und zwei Tuffsteinbruch-Gruben für die Gewinnung von Mauer-Material. Standorte dieser drei Schiefersteinbruch-Grube: - am Weg zum Termuz, beim zweiten Rang von unten; -auf der Nordseite des Tarmuz bas, von Surual her; -am alten Weg zu Runcaglia.

3. Tuffsteinbruch-Gruben: Beide Tuffsteingruben lagen am Alp-Weg, die eine beim ehemaligen Gemeindewerkhof Mulegn sura, die andere weiter oben bei Via-alva.

4. Sand waschen: Gewaschen wurde das Sand-Material des Fundamentes am "Mulegn sura-Bach". Bis 1888 wurde auch am "Vegnas-Bach", der in Feuns entspringt, eine kleine Sand- und Kiesgewinnungs-Waschanlage errichtet. Das Wasser floss dann weiter durchs Dorf über die Via Baselgia Richtung las Vals bei Saulzas. Vom Rhein her wurde gewaschener Sand gewonnen und mit einer improvisierten Handzugseilbahn über eine untersetzte Umlenkrolle nach Taleunas hoch gezogen. Später wurde es mit Pferdegespannen und ab 1904/05 mit einer Seilbahn durch einen Petrolmotor hochgezogen. Von 1947 bis 1987 entstand in Saulzas eine industriemässige Sand- und Kieswerk-Anlage.

Holzmaterial: Die meisten Bauern besassen mindestens eine Parzelle eigenen Wald für die Selbstversorgung. Wer keinen Wald oder zu wenig Holz für das jeweilige Projekt nutzen konnte, bekam von der Gemeinde Petitionsbau- sowie Brennholz für einen gemässigten Preis (Petitionsholz; früher ein oft genannter Begriff - Petition = Recht / Gesuch / Bittrecht).

Transporte: Transportiert wurde jegliches Material mit dem Handwägeli oder Ochsen- und Pferdegespann (das Automobil wurde erst 1925 auf den Bündner Strassen zugelassen).

 
1947 Via Baselgia 6 (Sammlung chrsp.)


1947 Via Baselgia 6, Hinterhof (Sammlung chrsp.)


1947 Via Mulegn sut (Sammlung chrsp.)


1947 Via Sogn Paul 5 (Sammlung chrsp.)


1947 Villa Daniel Jeger, Via Davitg 11 (Sammlung chrsp.)


1947 via Baselgia, heute Schulhaussaal (Sammlung chrsp.)


1947 Via Davitg 12, heute ein Mehrfamilienhaus (Sammlung chrsp.)


1947 Via Sogn Paul 1 und 3 (Sammlung chrsp.)

Rhäzüns war ein aufgelockertes Haufendorf romanischer Bauart. Die Bauernhäuser stehen mit drei Ausnahmen alle im Dorfinnern. In der typischen Gebäudeanordnung war das gemauerte Wohnhaus durch eine Holzlaube mit dem Stall verbunden. Die kleinen Ställe und Scheunen (z. B. Clavaus) – sie hatten oft mehrere Besitzer – vermitteln einen Eindruck von der Welt des Kleinbauern (Selbstversorgungsbauern). Die drei ausserhalb des Dorfes liegenden Bauernhöfe waren teilarrondiert (Schlossgut (Julius Vieli), Obermühle und Weihermühle).

 
1925 Flugaufnahme von Rhäzüns: Photo aus dem ETH-Archiv (Sammlung chrsp.)

Gut erkenntlich: Die kleinen parzellierten Grundstücke: Saulzas, las Vals, Schlussgut-Stallung, altes Bahnhofgebäude, Via dalla Resga, Sägerei und Kornmühle, viele Hochstamm-Obstbäume im Dorfinnern und am Dorfrand.

Man kann die schon seit dem früheren Mittelalter bestehenden zwei Dorfteile gut erkennen: Sut Davitg/Unterdorf, auch Curtgani genannt, Sur Davitg/Oberdorf (Strassennamen wurden erst in den 1970er-Jahren eingeführt). Die Pfarrkirche Maria Geburt (1701) und das Schulhaus (1923) wurden damals aufgrund der zentralen Lage zwischen den beiden Siedlungen erstellt, dieser Standort, damit sie sich von der früheren Pfarrkirche St. Paul und der Kirche St. Georg abhebt. Die Via Baselgia war der einzige direkte Verbindungsweg für Pferdekarren zwischen den beiden Siedlungen.13

Momentaufnahme:Die folgenden Zahlen vermitteln ungefähr den durchschnittlichen Bestand zwischen 1900 und 1965.


1930: Zu diesem Zeitpunkt zählte Rhäzüns: 599 Einwohner; 160 Haushalte und 10 Dorfbrunnen ; 74 Rindviehhalter, davon 48 hauptberufliche Bauern und etwa 30 Kleintierhalter mit Ziegen, Schafen, Schweinen etc. ;94 Scheunen / Ställe und 100 Wohnhäuser.

1936: Laut Nutzviehzählung: 10 Zugpferde; 347 Rindviecher - davon 150 Milchkühe; 201 Schweine; 163 Ziegen; 133 Schafe; 600 Hühner; 74 Bienenvölker.14 Total ca. 850 Nutztiere, ohne die Hühner, Bienenvölker, Kaninchen, Hunde und Katzen.

Wie man sieht, waren die Wirtschaftsgebäude im Dorfkern nicht einfach leere Objekte, sie waren vollständig mit Nutzvieh und Futtervorräten besetzt. Mensch und Tier lebten relativ dicht beieinander, sogar die Bienenvölker gehörten wie die anderen Nutztiere zur Dorfgemeinschaft. Es gab im Dorfinnern etwa gleich viele Miststöcke wie Tierhalter.


1930 Flugaufnahme von Rhäzüns (Sammlung chrsp.)


1947 Via Sogn Paul 2 (Sammlung chrsp.)


1947 Via Sogn Paul 4 (Sammlung chrsp.)


2006 Via Baselgia (Sammlung chrsp.)


1960 Maria Schwarzenbach-Caluzi, Via Cascharia (1986 zurückgebaut) (Sammlung chrsp.)


1803 Schluss Rhäzüns von Nordwesten her


2006 Mulegn sura / Obermühle (Sammlung chrsp.)


2006 Hof Weihermühle / die Weihermühle steht auf Rhäzünser Gebiet (Sammlung chrsp.)


Weihermühle - Restskelett des Wasserradantriebes (Sammlung chrsp.)

Um 1950 wurde der dominierende Wirtschaftszweig insgesamt einem radikalen Wandel unterworfen. Nur die kleineren Selbstversorgungs-Betriebe machten die Entwicklung von der Mehrzweckwirtschaft hin zur marktorientierten Produktion sowie die Mechanisierung nicht mit. Der Strukturwandel bewirkte einen starken Rückgang der Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten.15

 

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