47. Elektrizität

Geschichtlicher Rückblick 906-2006

Ende des 19. Jahrhunderts war die Elektrotechnik so weit entwickelt, dass elektrische Energie in Form von Wechselstrom über grössere Distanzen transportiert werden konnte und so für Industrie und Gewerbe besser nutzbar war. Den grössten Nutzen dieses neuen Zaubers sahen Gemeinden und private Haushalte zu dieser Zeit in der Umstellung auf elektrische Beleuchtung.

 
Photo aus der Jubiläumsschrift 100 Jahre EWT. Der Maschinenraum in Trin-Mulin bis1975, 2 Generatoren à 200 kW, 1 Generator à 600 kW.

Fortschrittliche Bürger prüften darum anfangs 1905 in Trin die Realisierung eines Kraftwerkes auf ihrem Gemeindegebiet. Dabei sollten Turnigel-Quelle und -Bach zur Energieherstellung genutzt werden. Schnell reifte jedoch die Überzeugung, dass Trin allein für den Energieabsatz zu klein sei und weitere Gemeinden des Bezirks Imboden für dieses innovative Projekt gewonnen werden müssten. So wurden in der Folge die Gemeinden Tamins, Felsberg, Domat/Ems, Bonaduz sowie Rhäzüns kontaktiert – und im November 1905 zu einer ersten Bezirksversammlung nach Reichenau eingeladen. An diesem Treffen setzten die Teilnehmer ein Bezirkskomitee aus Vertretern der Gemeinden ein. Die Leitung wurde Christian Tscharner-Caprez übertragen. Dieses Komitee setzte selber so viel Energie frei, dass es schon Mitte März 1906 im Rahmen einer Bezirksversammlung die Gründung der AG Elektrizitätswerk Trins (EWT) sowie den Bau des Kraftwerkes beantragen konnte. Die Gemeinden Bonaduz, Felsberg, Rhäzüns, Tamins und Trin nahmen das Gemeinschaftsprojekt positiv auf.1

(Nur die Emser hatten grosse Probleme mit dem neuen unsichtbaren Energieträger. Darum erlaube ich mir, in den folgenden zwei Abschnitten einige Episoden und sogar ein Gedicht wiederzugeben).

Auch der Gemeindevorstand von Domat/Ems befürwortete dieses Vorhaben. Zu den weiteren, engagierten Verfechtern des neuen Energieträgers zählten damals unter anderem Dorfpfarrer P. C., Dorfarzt A. F., Unternehmer A. J. sowie Dorflehrer S. Th. Demgegenüber formierte sich in der Emser Bevölkerung aber eine Opposition, speziell gegen die Einführung einer elektrischen Strassenbeleuchtung. Dabei waren wohl nicht so sehr der Respekt oder gar die Angst vor der unsichtbaren Energie aus der Steckdose von Bedeutung. Vielmehr waren es veritable Geschäftsinteressen; die Warenhandlungen bangten um den weiteren Verkauf ihres Petroleums, das für die Öllampen benutzt wurde. 

„Und brennts elektrisch um und um, wir bleiben beim Petroleum!“ 

„Vom Emserwasser spricht man viel, 
den weltberühmten Quellen,
vom Emserlicht und Federspiel
und seinen Spiessgesellen.

Das Dorf liegt heute ernst im Streit,
und öfters hört man munkeln,
für Licht sei man noch nicht gefeit,
man wäre gern im Dunkeln.

Doch sei`s zu frommer Ehr gesagt,
ein Herr vom Priesterstande,
hat offen ehrlich es gesagt
und Licht verlangt im Lande.

Nur einer des Petroleums
Und aller Arten Licht verkauft
Der schreit nun um und um 
Als Bösewichter.

Du bist kein Licht, du siehst nicht viel,
das solltest Du bedenken.
Ich hab` zuviel mein Federspiel,
will Dir die Hälfte schenken“ 2  

Dies ist ein Spottgedicht auf die Verhinderung der Einführung des elektrischen Lichtes in Domat/Ems. Beim im Gedicht erwähnten Federspiel handelte es sich um eine Person, den Besitzer einer Warenhandlung. Das „Emserwasser“ in der ersten Zeile des Gedichts bezieht sich auf Bad Ems in Deutschland.
Die Lobby der Dorfläden, die Petroleum verkauften, war so stark, dass die Einführung des elektrischen Stromes an der Gemeindeversammlung von Anfang April 1906 – nach hitziger Debatte – mit 119 zu 84 Stimmen abgelehnt wurde. Damit war Domat/Ems die einzige der sechs Gemeinden, welche den ihr zugedachten Aktienanteil von 35`000 Franken nicht zeichnen wollte. Um das ambitiöse Gesamtprojekt jedoch nicht zu gefährden, mussten in der Folge private Kapitalgeber – vor allem aus Domat/Ems – diese Aktientranche übernehmen. Diese private Aktienzeichnung gelang innert weniger Tage, und bereits Ende April 1906 konnte in Reichenau die AG Elektrizitätswerk Trins gegründet werden.


Bild aus der Jubiläumsschrift: Die Baugrube der künftigen Zentrale



Bild aus der Jubiläumsschrift: Wasserfassung, Quelle v. Turnigelbach  

Verwaltungsrat übernimmt Bürgschaft: Für die Realisierung des Elektrizitätswerkes in Trin war gemäss erster Projektstudie mit Baukosten von 240`000 Franken zu rechnen. Aufgrund der Detailplanung hatten sich die veranschlagten Kosten bis zur Gründungsversammlung jedoch bereits auf 350`000 Franken erhöht. Dieser Betrag sollte durch Ausgabe von Aktien für 180`000 Franken (gezeichnet durch die Gemeinden Bonaduz, Felsberg, Rhäzüns, Tamins und Trin sowie durch Private) und von Obligationen für 170`000 Franken gedeckt werden. Nach einer Bauzeit von zehn Monaten, verbunden mit diversen Projektänderungen, konnte das Elektrizitätswerk Trin Anfang März 1907 den Betrieb aufnehmen, und an die beteiligten Gemeinden, darunter eben auch Rhäzüns, Strom liefern. Die Projektänderungen hatten aber auch eine massive Kostenüberschreitung bewirkt. Zur Deckung dieser Mehrkosten sowie als allgemeines Betriebskapital musste ein Bankkredit von weiteren 100`000 Franken aufgenommen werden. Für diesen zusätzlichen Kredit hatten die Mitglieder des Verwaltungsrates eine persönliche Bürgschaft zu leisten, von der sie erst 1913 entlasten werden konnten.


Photo aus der Jubiläumsschrift 100 Jahre EWT Zentrale und Werkstattgebäude in Trin.

Neben den oben erwähnten massiven Mehrausgaben bei der Realisierung der Anlage mussten in den ersten Betriebsjahren aber auch Mindereinnahmen festgestellt werden. So deckten die ersten Einnahmen kaum die Betriebsausgaben und die Kapitalzinsen. Erst 1910 reichte das Betriebsergebnis für bescheidene Abschreibungen. Auch konnte erstmals im Jahr 1913 eine Dividende von 2 Prozent entrichtet werden.

Nach schwierigen Anfangsjahren entwickelte sich die Unternehmung in den Folgejahren immer besser: 1910 wurde ein Energielieferungsvertrag mit der „Elektra Domleschg“ abgeschlossen und 1925 folgte eine weitere Vereinbarung mit den Rhätischen Werken für Elektrizität in Thusis. Auch konnte die Ortschaft Versam, ohne die Fraktionen Arezen und Sculms, 1915 an das Verteilnetz des EW Trin angeschlossen werden.

1932 konnte die Konzession, die von der Gemeinde Trin anfänglich 40 Jahre erteilt worden war, bis Ende 1985 verlängert werden. Zudem wurde eine Vereinbarung unter den Gemeinden betreffend die Nichtkonkurrenzierung des EW Trin verlängert. Diese beiden Massnahmen waren für die Unternehmung von grosser Bedeutung, war damit doch dem EW Trin eine längere Zeit der positiven Entwicklung gesichert. 

Neues Verwaltungsgebäude in Tamins: Die ursprünglich in Reichenau gemieteten Lokalitäten für Büro und Magazin waren zu klein geworden, so dass sich eine neue Lösung aufdrängte. An der Generalversammlung vom Juli 1933 wurde der Baukredit für ein Verwaltungsgebäude mit Dienstwohnung in Tamins bewilligt. In den Jahren 1938 und 1941 mussten die Magazine im und beim Verwaltungsgebäude bereits durch An- und Neubauten vergrössert werden. Im Jahre 1988 folgte der Anbau einer Werkstatt- und Einstellhalle und im Jahre 1999 wurde auf der eigenen Landparzelle ein neues Material- und Gerätegebäude erstellt. Ebenfalls im Jahre 1999 wurden im Verwaltungsgebäude innere Umbauten mit einer Büroerweiterung im 2. OG, verbunden mit einer Fassadenrenovation, vorgenommen.

Erhöhung des Aktienkapitals: In den Nachkriegsjahren mussten diverse bauliche und technische Erneuerungen vorgenommen werden, um den stets wachsenden Bedürfnissen in der Energieversorgung gerecht zu werden. Für diesen Ausbau sowie für die Wohnungen des Personals genügte die bisherige Finanzierung nicht mehr. Dafür musste das Aktienkapital 1951 von bisher 180`000 Franken auf 360`000 Franken und 1974 schliesslich auf 900`000 Franken erhöht werden.

EW Tamins: In der jüngeren Geschichte des EWT, wie es lange genannt wurde, sind speziell die Ereignisse in den Jahren 1985/86 von grosser Bedeutung. Einerseits musste der Energievertrag mit der PATVAG Kraftwerk AG, der per Ende 1985 auslief, erneuert werden. Anderseits – und dies war wohl wesentlich entscheidender – machte die Gemeinde Trin, nach 80 Jahren, ebenfalls Ende 1985 von ihrem Heimfallrecht Gebrauch und beschloss, das Kraftwerk „Mulin“ in eigener Regie zu führen. Dadurch wurde das EWT ab 1986 eine reine Dienstleistungsunternehmung ohne eigene Produktionsstätte. 

Fremdenegie: Dass die selbst erzeugte Energie in Trin-Mulin im Vergleich zum Stromeinkauf bei PATVAG relativ bescheiden war, belegen die Zahlen aus dem Jahr 1980 und damit letzten Geschäftsbericht des EW Trin:
Energieerzeugung in der Zentrale Trin-Mulin:   4`366`900 kWh (12%) 
Bezug von PATVAG und von Dritten:   31`521`000 kWh (88%)

Neben der PATVAG Kraftwerke AG war die Kraftwerke Zervreila AG der wichtigste Stromlieferant. So lieferten die Kraftwerke Zervreila AG im Jahre 1986 2`352`000 kWh. Im Verlauf der folgenden Jahre wurde dann immer mehr Strom von diesem Kraftwerk bezogen.

2005 setzte sich der Energieeinkauf wie folgt zusammen:
Hydro Surselva AG
(Vormals PATVAG):   48`603`879 kWh
Kraftwerke Zervreila AG:   7`975`093 kWh
Elektrizitätswerk Mulin, Trin:   658`480 kWh
Ems Chemie AG:   419`082 kWh
Photovoltaikanlage A13:   61`181 kWh

Durch diesen Heimfall musste die künftige Gesellschaftsform sowie ein neuer Name festgelegt werden. Mehrere Namen wurden geprüft und schliesslich entschied man sich für „Tamins“. „Unser Verwaltungsgebäude sowie das Magazin stehen in Tamins und schliesslich mussten wir nicht einmal die Initialen im Signet (EWT) ändern“, wird dies im Geschäftsbericht begründet. Da die Gesellschaft weiter als AG geführt werden sollte, hiess die Unternehmung ab 1986 „Elektrizitätswerk Tamins“ mit Sitz in Tamins. Auf das 100-Jahr-Jubiläum hin wurde noch einmal eine Namensänderung vorgenommen, und zwar mit neuem Logo und mit dem Kürzel „ew tamins“.
Ab 2010 hiess das Unternehmen dann Rhiienergie AG.

Verzeichnis der Mitglieder des Verwaltungsrates von 1906 bis 2006
(Es sind nur Rhäzünser aufgeführt)
Präsidenten: Caspar Caliezi:   1930-1949
Mitglieder (Vertreter der Gemeinden):
-Paul Jeger (1858-1941):   1906-1915
-Georg Jeger (1862-?):   1916-1919
Caspar Caliezi (1878-1949):   1919-1949
Alfons Heini (1891-1952):   1949-1952
Otto Anton Vieli (1905-1989):   1952-1963
Felix Murk (?-1965):   1964-1965
Fritz Berger (1911-2001):   1965-1988
Lorenz Tschalèr (1925-1993):   1989-1993
Silvester Camenisch (1935-2012):   1993-2003
Rudolf Oertli (1942):   2004-2009
Herbert Bonorand (1944):   2010-2016


Photo, 1930: EWT Trafo-Station für die Sägerei und Kornmühle bis Ende der 50er-Jahre. Standort zwischen Sägerei-Areal und dem Freidhof St. Paul. (Sammlung chrsp.)

Photo, 2011: EWT, Dorf Haupttrafo-Station: Standort seit 1907 auf demselben Grundstück, damals von Paul (Pol) Jeger, Gemeindepräsident und zu dieser Zeit auch Mitglied des Verwaltungsrates. Heute gehört das Grundstück der Gemeinde Rhäzüns. (Sammlung chrsp.)


Neubau Unterwerk Vial der Rhiienergie AG in Domat/Ems 2011

 
Photo aus der Jubiläums-Festschrift 2011

Das bestehende Unterwerk Vial gelangte allmählich an seine Leistungsgrenzen, sodass die Planung dieses grossen Netzausbaues bereits vor sechs Jahren (=2005) in Angriff genommen wurde.
Das neue Unterwerk Vial ist an die 60 Kilovolt-Hochspannungsnetze der Axpo angeschlossen, die Leistung beträgt 32 Mega-Voltampère. Damit können künftige Leistungszunahmen langfristig abgedeckt und die Versorgungssicherheit für die Region massiv erhöht werden. Das Gebäude ist so ausgelegt, dass zu einem späteren Zeitpunkt auch das Kraftwerk Reichenau daran angeschlossen werden kann. Ein modernes Energiemanagement nutzt die Abwärme der Transformatoren zur Temperierung des Unterwerks. Auf dem Flachdach wird im laufenden Jahr (2011) zudem eine Fotovoltaik-Anlage installiert, wodurch rund zehn Haushalte mit Solarstrom versorgt werden können. Die augenfälligen Leuchtschriftzüge bestehen aus energieeffizienten Leuchtdioden (LED) und werden wie alle Werbebeleuchtungen der Rhiienergie AG über die Nacht ausgeschaltet. Die elektrischen Anlagen wurden während Dezember 2010 bis Januar 2011 schrittweise getestet und eingeschaltet, so dass das Unterwerk planmässig dem Betrieb übergeben werden konnte. Die budgetierten Gesamtkosten von rund CHF 8 Mio. sowie der ehrgeizige Terminplan konnten somit nicht zuletzt dank der kooperativen Zusammenarbeit mit der Politischen sowie der Bürgergemeinde Domat/Ems, der Axpo Hydro Surselva AG und der EMS-Chemie AG sehr gut eingehalten werden.4

So sahen die Hausinstallationen anno dazumal aus.


Photos; aus der Jubiläumsschrift 100 Jahre EWT 1906-2006


2016. Trinkwasserkraftwerk in Rhäzüns
Die Gemeinde Rhäzüns erzeugt in Saulzas mit dem Überlauf der kommunalen Wasserversorgung Strom, der offiziell ins Netz der Rhiienergie AG fliesst.
Die Nutzung des überschüssigen Wassers mit einer Fallhöhe von ca. 110 Metern für die erneuerbare Energie ist eine sinnvolle Massnahme. Ausserdem erfolgte die Erzeugung des umweltfreundlichen Stroms in diesem System ohne Eingriffe in die Umwelt. Herbert Bonorand
Das Turbinenlaufrad misst 32 Zentimeter im Durchmesser und erbringt bei einem Wasserzulauf von bis zu 20 Litern pro Sekunde mit einem Druck von rund 10 Bar – entsprechend der Fallhöhe – eine Nennleistung von 18,5 kW und erzeugt über‘s Jahr rund 50`000 kWh elektrische Energie. Damit kann der Bedarf von rund 13 Haushalten abgedeckt werden.
Die Anlage kostete 106`000 Franken. Die jährlichen Einnahmen durch die kostendeckende Einspeisevergütung betragen je nach Produktion 10`000 bis 15`000 Franken, was eine gute Kapitalisierung der Anlage
sei, meinte H. B. 5


Photo 2016: V. l  n. r.: Gemeindevorstand Heinz Müller, alt Gemeindepräsident Herbert Bonorand, Gemeindepräsident Reto Löpfe, Simon Gloor und Rolf Gloor.