46. Dorfsägerei und Kornmühle

Beinahe 130 Jahre lang prägte die Sägerei am südwestlichen Dorfrand das Dorfbild von Rhäzüns, nämlich von 1870 bis 1997 (ca. 1874 in Betrieb genommen). Mehrmals wechselte sie den Besitzer und zweimal ist sie abgebrannt. Im Jahr 1997 schloss man die Sägerei aus verschiedenen Gründen für immer.

Im Jahr 1870 gelangte Mauritius Theodorus Vieli-Pitz (1830-1900) an die Gemeinde Rhäzüns mit der Bitte, er möchte über sein Vorhaben eine Erklärung abgeben, um eventuell ein Gesuch für die Gründung einer Sägerei und Kornmühle in Rhäzüns einzureichen. Es gehe vor allem darum, von der Gemeinde Rhäzüns eine Bewilligung zur Nutzung der Wasserkraft zu erhalten. Diese sei für den Antrieb der Sägerei und Kornmühle notwendig. Die beiden Parteien konnten sich einigen und vertraglich die Wasserrechtskonzession, das Nutzungsrecht sowie kleinere Details etc. vereinbaren. Die Konzession ging mit den gleichen Bedingungen und Pflichten später auf die nächstfolgenden Besitzer der Sägerei über.1

Die Inbetriebnahme der Sägerei und Kornmühle ist nirgends präzis dokumentiert. In einem anderen Zusammenhang wird die Sägerei in einer Sage wie folgt erwähnt: „Die Gegend, wo heute (1878) die Mühle und die Säge in Rhäzüns stehen, heisst Giu Morè (beim Gottesacker drunten). Dort begrub man vor Zeiten die an der Pest Verstorbenen, eben im Giu Morè.“ Dies beweist, dass die Inbetriebnahme noch vor 1878 erfolgte.M.s.u. 9. Volkstümliches: Sagen, Märchen und Legenden.

Am 1. Januar 1900 stirbt der Besitzer M. Th. Vieli-Pitz. Man weiss nicht, wie lange die Sägerei vor dem Tod von M. Vieli in Betrieb war, oder stillstand. Unter den Erben gab es keinen Interessenten für die Weiterführung des Sägereibetriebes. Somit stand der Veräusserung nichts mehr im Weg. Die Sägerei wurde dann durch Jacobus Michaelis (Jacob) Fetz-Dysch (1844-1912) übernommen.Er verbesserte die gesamte Anlage, zum Teil von der Quelle bis zur Endanlage.

Mit den von der Gemeinde erteilten Rechten und Pflichten konnte Jacob Fetz-Dysch fast sämtliches Quell- und Freiwasser fassen und nutzen. Dafür hatte er zwei Reservoirs à 1000 m3 für Kraft- und Löschwasser und 120 m3 für Trinkwasser zu erstellen sowie eine Druckleitung des Systems Pelton-Wasserturbine, ebenfalls auf eigene Rechnung. Ausserdem musste er für die Dorfbewohner diverse Dienstleistungen zum halben Preis erbringen, etwa Kundenholz verarbeiten, Korn mahlen oder Zaunmaterial abgeben. (Siehe unten: Preisliste)

1902 erfolgte die Wiederinbetriebnahme der Dorfsägerei durch Jacob Fetz-Dysch. Rhäzüns war dazumal ein Kleinbauerndorf. Es wurde vorwiegend für den Bau von Wohnhäusern und Ställen Bauholz benötigt. Da Jacob Fetz aus dem Hause Obermühle stammte, kannte er das Metier von Kornmühle und Getreidemehl bestens.4




Am 29. Dezember 1912 starb der Besitzer Jacob Michael Fetz-Dysch.5
Der jüngste Sohn von 10 Kindern, Carl (1889-1968), liess sich an der ETH als Bautechniker ausbilden. Nach dem Studium übernahm er den süd-östlichen Teil der Sägerei und richtete dort einen Betrieb für eine Chalet-Produktion ein. Er errichtete schlüsselfertige Chalet-Häuser. In Rhäzüns stehen heute im Jahr 2017 deren 8 Chalets. 

ca. 1915: Die Uniun purila mietete und richtete eine Scheune im süd-östlichen Teil der Sägerei für eine Standdrescher-Maschine ein. 

1917/18 erfolgte die Übernahme und Inbetriebnahme der Sägerei durch Paul Balthasar Vieli-Reichlin (1865-1933) im westlichen Teil des Werkareals. As Inhaber der Sägerei Rhäzüns nannte er diese „Sägerei Rhäzüns P. Vieli & Cie.“.
Um 1919/21 liess die Firma Vieli sogleich die Strasse Via dalla Resga parallel zu einer Geleise-Trasse bauen. Anfänglich florierte die Firma in den 1920er-Jahren. Ab 1930 machte sich die Weltfinanzkrise von 1929 bemerkbar.6




Im Jahre 1933 verstarb der Inhaber P. B. Vieli, was die Firma 1937 zur Aufgabe zwang.
Dadurch wurde zeitweilig die Graubündner Kantonalbank zur Besitzerin der Holzfirma, sie suchte jedoch dringend einen solventen Käufer. Ab und zu wurde noch Kundenholz gesägt, aber die Maschinen wurden nicht mehr gepflegt, sodass alles verwahrloste.


1940. Die Sägerei Rhäzüns steht still. (Sammlung chrsp.) 

1941. Besitzerwechsel: Jacob Berger sen., Inhaber einer kleineren Sägerei in Seewis Station, und sein Sohn Fritz (1911-2001) beschlossen, den Betrieb mit den kaum mehr bewohnbaren Häusern für Fr. 100`000.- zu erwerben. Die zwei Firmen wurden rechtlich vereinigt und „Jacob Berger u. Sohn, Seewis Station und Rhäzüns“ genannt. Sie übernahmen die Sägerei mit den gleichen Pflichten und Wassernutzungsrechten wie ihre Vorgänger bis zum 31. Oktober 1985. 


Die Belegschaft der Sägerei Berger im Jahr 1942. (Sammlung chrsp.)

Nun stand eine gewaltige Herausforderung bevor: Nach Anstellung einiger Arbeitskräfte hatte Berger die Sägerei wieder instand zu stellen und zum Florieren zu bringen. Die 1936 gegründete Holzverzuckerungs AG (HOVAG) aus Domat/Ems war dabei ein Glücksfall. Sie erstand aus kooperativ denkenden Gemeinden Rundholz, welches dann ab 1941 grösstenteils in der Rhäzünser Sägerei zu Schwellen-Bauholz und Brettern verarbeitet wurde. So konnte sich das Werk emporarbeiten und etablieren.

1942. Das erste Feuer: In der Nacht vom 3. auf den 4. August 1942 wurden all diese Anstrengungen durch einen verheerenden Brand zunichte gemacht. Die Sägerei sowie teilweise umstehende Wohnhäuser wurden zu einem Raub der Flammen. Schon im Frühjahr 1943 konnte der Betrieb, nunmehr als reine Sägerei und Hobelwerk, wieder aufgenommen werden. Das Geschäft lief gut, abgesehen von einer Flaute Ende der 1940er-Jahre bis Ende 1951. Weitere Mitarbeiter wurden nach und nach eingestellt und das Verhältnis der Betriebsinhaber zur Gemeinde funktionierte. 


Rundholzplatz Sägerei Berger. (Sammlung chrsp.)


Beim Umladen auf RhB-Wagen, Station Rhäzüns. (Sammlung chrsp.)

1945 wurde die Firma in zwei Einzelfirmen, „Jacob Berger Seewis-Station“ und „Jacob Berger und Sohn Rhäzüns“, umgewandelt. Der Betrieb wuchs, und es gelang 1951 zwecks Erweiterung von Lagermöglichkeiten, eine 5000 Quadratmeter grosse Parzelle in der Quadra gegenüber dem RhB-Stations-Gebäude zu erwerben. 

1957 trat der älteste Sohn Jacob Berger-Baltresca (*1935) in den Betrieb ein. Sukzessive drängten sich technische Anpassungen auf, welche auch realisiert wurden. 1963 verstarb Jacob Berger sen. Ein Testament lag nicht vor. Somit war Fritz Berger vor der Wahl gestellt, die Firma entweder als Familien AG mit fünf Geschwistern oder allein zu betreiben. Er entschied sich die Einzelfirma „Fritz Berger Sägerei + Hobelwerk Rhäzüns“ zu gründen.

 
1966. Firmenausflug der Sägerei Berger zum 25-Jahr-Jubiläum. Die Belegschaft  mit Frauen od. Anhang, Haltestelle Kloten ZH. (Sammlung chrsp.)

1985. Spätestens im Jahre 2001 wäre der Konzessionsvertrag der Wasserrechte ausgelaufen. Da die Gemeinde verschiedene Quellen für den Ausbau der eigenen Wasserversorgung dringend benötigt, wurde die Konzession vom Jahre 1902 auf den 31. Oktober 1985 vertraglich aufgehoben und abgegolten.

Verkauf an Griston Holding: Dieser Entschluss verursachte wegen der Auszahlung sowie Verzinsung der Restguthaben an die Geschwister enorme finanzielle Belastungen. Dank gutem Geschäftsgang und einer engagierten Führung war es aber möglich, die Situation in den Griff zu bekommen. Wegen steuerlicher Auflagen konnte Sohn Jacob, welcher schon über 22 Jahre mitgewirkt hatte, rechtlich erst 1979 in die Firma integriert werden.
Anschliessend wurde die „Fritz Berger AG Sägerei + Hobelwerk Rhäzüns“ ins Handelsregister eingetragen. Auch unter neuem Namen florierte das Unternehmen. Jahr um Jahr verstrich und die beteiligten Personen wurden nicht jünger. Eine Generationenablösung wurde nicht mehr thematisiert oder umständehalber fallen gelassen. Jacob Berger jun. Entschloss sich schweren Herzens aus der AG auszusteigen und sich nach einer anderen Tätigkeit umzusehen. Fritz Berger war es in seinem fortgeschrittenen Alter nicht mehr möglich, den Betrieb allein weiterzuführen. Somit stand wieder eine Veräusserung bevor.
Mit der Auflage, den Betrieb als Sägerei fünf Jahre weiterzuführen, wurde die ganze Anlage samt Wohnhäusern 1990 an die Griston Holding AG verkauft. Diese befasste sich sogar mit dem Gedanken, die Firma zu einem Grosssägewerk auszubauen, was aber wieder verworfen wurde.
Als Geschäftsführer der neuen AG wurde Damian Brühwiler, schon seit 1983 technischer Betriebsleiter, ernannt. Im August 1991 feierte er das Jubiläum „50 Jahre Fritz Berger AG Rhäzüns“ mit einem Tag der offenen Tür.


1986. Sägerei-Areal und Dorfteil Davitg, Rhäzüns. Ausschnitt aus Flugaufnahme. (Sammlung chrsp.)




1994. Grossbrand, Holzlagerplatz beim Bahnhof Rhäzüns. (Photos: Elisabeth Brühwiler-Ackermann)

1994. Zweiter Brand und endgültiges Aus: Am 2. August 1994 erfolgte dann der zweite Schock: Das ganze Holzlager beim Bahnhof wurde durch einen Brand zerstört, ausgelöst mit 1. August-Feuerwerkskörpern. M.s.u. 14. Feuersbrünste                                                                                                                                       

„Noch nie in der ganzen Rhäzünser Sägerei-Geschichte wurde so viel Holz so schnell und dank Versicherung so gut verkauft“, erinnert sich Jacob Berger jun. Angesichts der immer schwierigen Wirtschaftslage und der stetig zunehmenden Konkurrenz sowie der Gewissheit, dass das ganze ungefähr 13`000 Quadratmeter grosse Firmengelände vollumfänglich der Wohnzone einverleibt würde, entschloss sich die Griston Holding, den Betrieb Ende  1997 definitiv zu schliessen.7  Quelle: Jacob Berger-Baltresca jun.(*1935)  und Gemeindearchiv.


1934. Trafostation: Sägerei Rhäzüns P. Vieli & Cie. (Sammlung chrsp.)

2017: Die Pelton-Turbine als Symbol zur Erinnerung an die Rhäzünser Dorfsägerei. Die Turbine ist exakt am selben Ort platziert wie 85 Jahre zuvor die Säge-Trafostation, die auf dem oberen Bild zu sehen ist. (unter dem Friedhof; man beachte die Grabsteine) Die Sägerei prägte das Dorfbild beinahe 130 Jahre lang, nämlich von 1870 bis 1997. Heute steht auf dem Sägerei-Areal eine Wohnüberbauung, die gar nichts an die Sägerei aus Bergers Zeiten erinnert. Im Hinblick auf ein Denkmal ist es Christian Spadin gelungen, die Turbine im allerletzten Moment vor der Verschrottung zu retten. Die Pelton-Turbine wurde für den Zweck der Erinnerung restauriert. Auf einer Plakette ist die Geschichte kurz beschrieben. Die Turbine ist unterhalb der St. Paulskirche, somit oberhalb der ehemaligen Sägerei aufgestellt.8                         


Juli  2017. Einweihung des Pelton-Turbine-Denkmals. (Sammlung chrsp.)