37. Handel und Transportverkehr vom 14. bis Ende des 19. Jahrhunderts

Der bündnerische Transitverkehr erlebte Ende des 14. und im 15. Jahrhundert einen grossen Aufschwung, bedingt einerseits durch den mächtig aufblühenden Handel in Deutschland und Italien und anderseits durch den Ausbau der Strasse über den Septimer wie auch der Viamala ab 1473 für Wagen und Rad. Kein anderes Alpenland besass eine solche Zahl leicht passierbarer Passübergänge. Alle Handelsstrassen Deutschlands wiesen über Graubünden die kürzesten Verbindungslinien mit Italien auf. Aber nicht nur in Bezug auf die Kürze, sondern auch bezüglich Schnelligkeit und Sicherheit der Transporte, war Graubünden in einem solchen Mass überlegen, dass keine ernsthafte Konkurrenz gegeben war. Durch diese Faktoren begünstigt und aus der Tatsache heraus, das der Transitverkehr sich durch lange Zeiträume ungehindert entwickeln konnte, erlebte der rätische Freistaat einen nicht unerheblichen Wohlstand. Die Vermögensverhältnisse der bündnerischen Bevölkerung, sowohl im Engadin wie auch im Prättigau und längs der Hinterrheinroute, wurden gegen Ende des 18. Jahrhunderts als hervorragend angesehen.1


Viamala, im verlorenen Loch 

Im Gebiet von Rhäzüns vollzog sich die Abzweigung der Lukmanierroute von der Splügen- und San-Bernardino-Route. Diese Gabelung lag in alten Zeiten in Ems, wo der Lukmanierweg – beim Hügel St. Johann – den Rhein überschritt, während die Splügen- und San Bernardino-Route durch den Vogelsangund über den Hinterrhein an der St. Georgskirche vorbei nach Rhäzüns führte. Über Runcaglia, Präz, Urmein und den Glaspass oder ab 1473 auch durch Trieg, Thusis und die Viamalaschlucht gelangte man nach Italien.Auch der Rhein war als Flussstrasse nach Rheineck (St. Gallen) und weiter zum Bodensee für den Flosstransport von Italien her nach Deutschland von grosser Bedeutung.3  M.s.u. 2. Bergstürze, Geologie, Geographie und Verkehrsgeschichte

 

Porten und Flösse 

Entwicklung im Bündner Portwesen: Die grösste Schwierigkeit des mittelalterlichen Handels und seine bedeutendste Leistung lag im Transport der Wirtschaftsgüter. Besonders der deutsch-italienische Handel wurde mehr und mehr von den Handelsgesellschaften getragen, die das ganze System des Transportwesens mit der Zeit zu eigentlichen Monopolen ausbauten. Auch die bündnerischen Tranportgenossenschaften wuchsen aus dem Geist dieser Handelsgesellschaften heraus und eigneten sich bald ein ausgesprochenes Transportmonopol an. Ursprünglich bestand dieTransportleistung der Bündner Porten in einer Fronleistung. Nicht etwa ein einzelner oder eine bestimmte Klasse von Genossen hatte das Fuhrgewerbe in Händen, sondern die Dorfgenossen betrieben das Fuhrgewerbe neben ihrer sonstigen bäuerlichen Beschäftigung. Die Port war also in ihren Anfängen eine auf lokaler Basis beruhende Genossenschaft der mit Transport und Geleitfronden belasteten Bauern. Sobald der Güterverkehr als Transitverkehr zwischen Deutschland und Italien zum internationalen grossen Verkehr wurde, benötigte man für den Transport eine leistungsfähige Organisation. Nicht mehr jeder Genosse alleine durfte Waren führen, sondern es traten im Laufe der Entwicklung innerhalb der Dorfgenossenschaft Berufsmänner auf, die ausschliesslich das Transportgewerbe betrieben. Diese Bestellung der Fuhrmänner war eine rein innere Angelegenheit jeder Nachbarschaft. Die Aufgabe des Fuhrmanns bestand nun darin, an der Grenze einer Nachbarschaft die Ware für die nächste umzuladen. Dadurch ergaben sich grössere Verzögerungen. So wuchs das Bedürfnis der Nachbarschaften, sich zu einem für den Transport einheitlichen Bezirk, der Port genannt wurde, zusammenzuschliessen. Es bildeten sich an der oberen Strasse vier Porte, an der unteren aber sechs. Zu letzteren gehörte auch die Port „Im Boden Rhäzüns“.

Gemäss Portenbeschluss vom 4. Juni 1669 zerfiel die Port „Im Boden“ in die halbe Port „Katz“ (Cazis) einerseits und in die halbe Port „Rhäzüns und Bonaduz“ anderseits. Zu Rhäzüns und Bonaduz gehörte aber auch die Nachbarschaft Ems, auf deren Gebiet sich ein Umschlagplatz mit Susten befand. Die Emser fühlten sich nämlich berechtigt, obwohl ihnen dies streitig gemacht wurde, gemäss Brief und Siegel von 1592 und 1672 auf eigenem Gebiet die Fuhren zu spedieren. Jede Port verfügte über ein Portenbuch. Für eine ausgedehnte Polizei- und Gerichtsbarkeit sorgten die Portengerichte. Die Porten der unteren Strasse hielten ihre Zusammenkünfte in Thusis und Splügen unter dem Vorsitz des von ihren jährlich gewählten Portenrichters ab.


1820 Schloss Rhäzüns von Süden her. Stahlstich v. Ludwig Rohbock 

Port „Im Boden“: Wie wir erfahren durften, lag der Zweck der Porten darin, den Transport von Waren innerhalb des Bezirkes, in welchem sie ein Monopol besassen, zu besorgen. So hatte die erste Port den Transit- und Personenverkehr von der Station Thusis nach Chur und umgekehrt zu bewältigen. Gemäss Portenbeschluss vom 25. Juli 1642 durften die Churer Fuhrleute aber nur bis zur Port Rhäzüns und nicht weiter fahren. 

Die Port „Im Boden“ war wegen der Topographie der Strecke, die sie zu befahren hatte, im Vergleich mit anderen Porten erheblich im Vorteil. Mit Ausnahme der Rheinbrücke und des Rhäzünser Steines (Tgeum da l`aura) gab ihr diese Strecke keine Schwierigkeiten auf. Im Gegensatz dazu hatten andere Porten vielfach den Passverkehr zu besorgen, der mit viel grösseren Problemen verbunden war. Als Nachteil erwies sich für die Port „Im Boden“dass sie eine „Ausbruchs- und Einbruchsstation“ war. Dieser Nachteil bestand nämlich darin, dass der Fuhrmann, der in Chur mangelhafte Ware abgab, für den Schaden haftbar gemacht wurde. Dies auch, wenn die Ware – schon bevor sie in seine Hände gelangte – mit einem Mangel versehen war. Trotz der Möglichkeit eines Regresses gegen den Schädiger blieb ein solcher meistens ohne Erfolg. Die Porten hatten das Recht, für ihren Transport Weggelder oder Fuhrleute zu fordern. So musste gemäss Portenbeschluss vom 23. Oktober 1611 jeder Kaufmann der Port Rhäzüns 4 Pfennig für jeden Saum bezahlen. Liess einer, der nicht Bundsmann war, Käse, Schmalz oder Zieger transportieren, betrug die Taxe 1 Kreuzer. Als Gegenleistung zu diesen Einkünften verpflichtete sich die Port Rhäzüns, ihre Strassen zu unterhalten. Doch oft geschah es, dass gegen die Port Rhäzüns geklagt wurde, weil sie die Strassen in „Abhang han kommen lassen“ und die „Schranken“ nicht gemacht hatte. Dafür auferlegte das Portengericht ihr eine Busse von 15 Gulden mit der Androhung, dass diese bei weiterer Unterlassung verdoppelt werde. Die Portgenossen von „Im Boden“ verteidigten ihre Transportrechte auf dem Portengericht zu Thusis. Gemäss Portenbeschluss vom 13. Juni 1638 zu Thusis sollte den Churern geschrieben werden, dass sie nicht mit ihren „Lastwagen“ durch die Port Rhäzüns Kaufmannsgüter führen durften, weil dieses Recht allein den Rhäzünser Genossen zustehe. 

Rodgut durfte nur durch die Rodfuhrleute oder gewöhnlichen Säumer und durch parteieigene Leute von Port zu Port transportiert werden, während Strackfuhren (Eilgut) durch Stracksäumer direkt von Chur bis Cleven (Chiavenna) bzw. bis Bellenz (Bregenz) befördert wurden. Geschworene und Deputierte zu Rhäzüns und Bonaduz hatten sich beschwert, dass andere Fuhrleute, die nicht der Port angehörten, Fuhren geführt und somit den Nutzen davon gehabt hätten. Jeder Portort oder Umschlagplatz verfügte über Lagersusten zur Aufnahme des Transportgutes. Der Portmeister oder Teiler (Fürleiter) wies dort das Transportgut in einer bestimmten Rod den einzelnen Fuhrleuten zu und erhob Fuhrleite-, Geleit-, Brücken- und Weggelder, wenn die Ware gelagert und nicht direkt am Port auf das Fuhrwerk umgeladen wurde, auch den Sustenpfennig.


Für Schlitten oder Wagen mit Rad waren die Strassen nur stückweise in der Talebene so breit wie hier auf dem Bild 

Die Port Rhäzüns verfügte jedoch nicht nur über die eigene Fuhrleitung. Im Jahre 1632 pachtete sie von der halben Port Cazis für den Zeitraum von 40 Jahren die Fuhrleitung. Am 26. Februar 1744 verbündeten sich die Port Cazis, Rhäzüns, Bonaduz sowie General Graf von Schauenstein mit der Nachbarschaft Ems. Letztere wurde dabei mit den Verbündeten hinsichtlich der Führung von Kaufmannswaren rechtlich gleichgestellt. Die vier Nachbarschaften kamen überdies überein, gegenseitig für einen Wagen oder Schlitten für Hin- und Rückfahrt nur 1 Bluzger Fuhrleite zu verlangen. Diese durfte alsdann während dem Zeitraum von 2 Jahren durch Cazis und während 1 Jahr durch Rhäzüns oder Bonaduz eingezogen werden. Betreffend den Zoll zu Reichenau kam man überein, für einen Wagen oder Schlitten mit einem Haupt 2 Bluzger und für einen mit 2 Haupt 3 Bluzger zu bezahlen. Später einigten sich die vier Nachbarschaften sowie General Graf von Schauenstein, einander beizustehen und die Hauptstasse von Chur nach Thusis gemeinsam zu beschützen. Die Beistandsspesen wurden so verteilt, dass General von Schauenstein von jedem Gulden 30 Kreuzer und Ems, Cazis, Rhäzüns und Bonaduz je 10 Kreuzer zu bezahlen hatten. Jede Nachbarschaft musste ausserdem die Strasse auf ihrem Territorium unterhalten.

Damit der Port „Im Boden“ alle Fuhr zukam, war sie befugt, in Thusis einen Speditor zu stellen, der die Waren den Portgenossen zuteilen konnte. Als Salär erhielt der Speditor von jedem, der von ihm ein Stück empfing, 4 Kreuzer. War die Port „Im Boden“nicht imstande, alle Waren wegzuführen, so versprachen die übrigen Porten, ihr behilflich zu sein. Eine Konvention vom 3. September 1795 enthielt einige Vorschriften, die an die Speditoren gerichtet waren. 

1781 vereinbarten Thusis, Rhäzüns und Bonaduz betreffend den Verlad und den Transport von Handelswaren, dass alle Fuhren, die nicht von einem Kaufhaus zum anderen transportiert werden, in der Sust oder sonst in Händen der Speditoren in Thusis niedergelegt werden müssten. Die ganze Fuhr sollte auch ohne Betrug auf Rhäzüns und Bonaduz sowie auf Cazis bzw. in dessen Namen auf Thusis verteilt werden. Mit der Aufteilung sollte im Sommer von St. Jörgen bis Michaeli bis um 8 Uhr und im Winter bis um 10 Uhr zugewartet werden. Blieben am darauf folgenden Tag geteilte Fuhren zurück, so waren die Fuhrleute der äusseren Port berechtigt, solche „privative“ zu laden, ohne dass diese in der Teilung desselben Tages eingesetzt würden. Übertraten die von Thusis oder Cazis diese Übereinkunft, wurden sie von der äusseren halben Port (Im Boden), und die von Rhäzüns und Bonaduz von Thusis bzw. Cazis bestraft. Diese Konvention wurde am 22. Juli 1787 mit dem Zusatz bestätigt, sofern Thusis an den Feiertagen allein führe, die äussere halbe Port am darauffolgendend Werktag das Verladerecht habe.


 Frachtbrief für den Warentransport von Chiavenna nach Chur. Empfänger war das Churer Speditionshaus Massner. Kopie aus: Terra Grischuna 4/2005 

Durch Bundesbeschluss vom 23. Juli 1861 wurden alle Portenrechte in Graubünden ohne Entschädigung aufgehoben. Von da an durfte jedermann den Personen- und Warentransport auf den bündnerischen Strassen, unter Vorbehalt der Verordnung über die Strassenpolizei und dem Postregal, frei ausüben.


Stiftung Rätisches Museum. Siegel der 1813 aufgehobenen sechs Porten oder Transportgenossenschaften Rhäzüns, Thusis, Schams, Rheinwald, Valle S. Giacomo und Misox, mit Merkur; 2. Hälfte 18. Jh. Eisen. Durchschnitt 3,5 cm. Inv. Nr. V C 21. G: Thomas Camenisch Tartar 1896. Das Siegel ist heute im Rätischen Museum Chur ausgestellt

Das Flösswesen: Neben dem Warentransport auf dem Lande war der Transport auf dem Wasser von einiger Bedeutung. Man unterschied zwei Arten von Transportgütern: „Rodgüter“, die ausschliesslich für den Transport per Saum oder Gespann reserviert waren, und „Flossgüter“ für den Warentransport. Um 1490 muss eine Flössereigesellschaft in Rhäzüns bestanden haben. So wehrte sich Conradin von Marmels, dass von der Nachbarschaft Rhäzüns die Flösser, Eingesessenen und Hintersassen gekommen seien und sich beklagt hätten, dass etliche „frömbd Gesellen“ Flösse und Gut führten. Die Meinung von Rhäzüns war damals, den Fremden das Flössen zu verbieten, umso mehr, als alles Holz aus ihrer Nachbarschaft stamme, und sie seit alters her das Recht habe, Waren und Flösse zu führen.

Auch Bonaduzer und Emser benutzten den Wasserweg des Rheins und flössten Transportgut vom Farsch (Reichenau) bis nach Rheineck. Dass die Port „Im Boden“ keine Verletzung ihres Flossrechtes duldete, zeigt eine Klage von Verwalter Vieli an das Portengericht zu Thusis. So machte dieser geltend, dass grosse Mengen Wein von Thusis nach Fürstenau transportiert und dort durch den Rhein geflösst würden, was das Transportgeschäft von Rhäzüns, Bonaduz und Ems ausserordentlich schädige und den Bundes- und Portenordnungen zuwiderlaufe. Das Flösswesen wird wie das Portenwesen in den Händen der Genossen gewesen sein. So vernehmen wir aus einer Verordnung der Häupter aus Felsberg und Tamins betreffend das Flössen von Lebensmitteln, dass viele Nachbarschaftsgenossen sich als Flösser beschäftigten. Wie wir aus einer Petition der Flösser von Ems und Felsberg erfahren, lag der Vorteil des Flössens gegenüber dem Transport auf den Strassen im billigeren und leichteren Transport.


Rundholzfloss beim Schloss Reichenau und die ehemalige Holzbrücke. Bild: Aquatinta von Johann Jacob Meier, 1825. B. Ausschnitt. Graubünden in alten Ansichten. Aus den Sammlungen des Rätischen Museums Chur 

Urkunde vom 7. Februar 1583. 1/Nr. 2239: „Abschied der III Bünde: Auf die Klage der Gesandten der Stadt Rineckh (Rheineck, SG), a. Stadtammann Hanns Mendtler und Stadtschreiber Heinrich Lutz. Die Rheinflößer hielten sich nicht an die ergangenen Abschiede und machten die Flöße, die ihnen laut Vereinbarung von den Rheineckern abgekauft werden müssen, immer kleiner, werden die früheren Abschiede bestätigt und den Kaufleuten und Flößern befohlen, die Waren nirgends anders als in Rineckh auszuladen. Bei Buße von 50 Kronen; auch haben sie die Flöße ‚in der rechten größe und werschafftt zu machen‘, wobei ihnen die Rheinecker für jedes Floß 34 Batzen zahlen“. Fragment aus einem Kopial- bzw. Konzeptband. Aus der Hand des Churer Stadtschreibers Joh. Bapt. Tscharner d. Ae.

Die Ordnung der Flösser (Chur 1586 / 1714) bestimmte, was für bündnerische und italienische Flossgüter transportiert werden durften. Andere Güter durften gemäss Verordnung von 1704 nicht geflösst werden. Die Nachbarschaft Ems stellte sogar zwei Wächter auf, die aufzupassen hatten, dass kein Flossgut, ohne die Zollstätten und Susten zu passieren, durchgeflösst werde. Gemäss einem Urteil des Gerichtes zu Trins waren Tamins und Ems die ersten, welche Fuhren, die abwärts geführt wurden, laden durften. Fremde Fuhrleute, die das Territorium der zwei Nachbarschaften betraten, hatten für jeden geladenen Wagen 3 Bluzger zu bezahlen. Mittels des Flössens wurde auch ein reger Holzhandel betrieben, so dass wir annehmen können, dass dadurch ein namhafter Erwerbszweig entstanden sei. Wie wir jedoch im nachfolgenden Abschnitt sehen werden, dürfte der Ertrag nicht so rosig ausgefallen sein, ansonst die Nachbarschaften finanziell besser gestellt gewesen wären.

1749 reichten die Flösser von Tamins, Bonaduz, Ems und Felsberg dem Bundestag ein Gesuch ein, das die Aufhebung des Verbotes, leere Flösse auszuführen, vorsah, undbegründete dies mit einem „enormen Überfluss an Wald“. Die Behörden wiesen aber das Gesuch ab.4

Brücken an der strategisch günstigsten Stelle gebaut: Das Bild zeigt die Susten – Umschlag- und Holzlagerplätze sowie Werkstätten für die Herstellung von Flössen für den Weitertransport von Waren von Süden her bis zum Bodensee.


1850 Reichenau, Brücke über den Vorderrhein, vereint mit dem Hinterrhein von Nordwesten her. Kol. Lithographie mit Tonstein von Charles Raleigh. Graubünden in alten Ansichten.Aus den Sammlungen des Rätischen Museums Chur. 

 

Vom Fährbetrieb zum bedeutenden Brückenkopf

Die Bedeutung des Brückenkopfs Reichenau stieg insbesondere durch die Aufgabe der Brücke Punt Arsa bei Domat/Ems, welche bis um 1570 den Verkehr der Lukmanier-Route aufgenommen hatte. Baron Johann Anton de Buol zu Reichenau kam von 1761 bis zu seinem Tode im Jahr 1763 zur Herrschaft Rhäzüns als österreichischer Gesandter. Er erteilte 1755 Baumeister Johannes Grubenmann den Auftrag, in Reichenau zwei gedeckte Holzbrücken über den Rhein zu bauen, eine kleinere über den Vorderrhein und eine zweite grössere über den vereinigten Rhein. Die grössere Brücke war eine achtzehnfeldrige Konstruktion mit 70 Metern Spannweite. Sie gilt als die längste aller Grubenmann-Brücken und wurde „eine Zierde des Landes“ genannt. Über die Urheberschaft der Brücken gibt das Protokoll der Stadtratssitzung von Schaffhausen vom 12. November 1755 wie folgt Auskunft:  „ … die Beantwortung einiger Fragstüken über die Struktur und Beschaffenheit der doppelten hängenden Brugg zu Rätzüns in Pünthen, welche Herr Grubenmann und dessen Bruder anno 1747 verfertigt haben“. Die Schaffhauser beauftragten in der Folge die Gebrüder Grubenmann ihrerseits zum Bau einer Rheinbrücke“. (Die Jahrzahlen 1755 und 1747 stehen in der reihen folg verwechselnd falsch? Nach präziser Überprüfung steht es im Zitat der Quelle tatsächlich falsch, nun belassen wir das alles genau so, wie in der Quelle!)


Schloss Reichenau von Südwesten her, Lithographie von Eduard Pingret und Alexis-Nicolas Noél, vor 1826. Bild: Rätisches Museum Chur. Magazin Rheinfluss Winter  2008 

Das hölzerne Meisterwerk über den vereinigten Rhein wurde zu einem Raub der Flammen. 1799 schlugen die französischen Revolutionstruppen den Landsturm aus der Surselva bei Reichenau vernichtend und setzten die Brücke über den vereinigten Rhein in Brand. Im Jahr 1819 beauftragte der Kanton Graubünden den Allgäuer Johann Stiefenhofer, die Holzbrücke wieder zu errichten. Dies erfolgte im Zusammenhang mit dem Bau der Kommerzialstrasse: Der „Strassenzug Nr.2“ wurde vom Kanton in der Bauperiode 1818-1823 gebaut. Dieser führte von Chur aus über Rhäzüns, Thusis zum Splügenberg sowie über den San Bernardino an die die Tessiner Grenze. Diese Alpentransversale wurde die „Untere Strasse“, auch „Italienische Strasse“, genannt. Im Jahr 1881 brannte die Holzbrücke erneut ab. Danach wurde die Brücke durch eine Eisenkonstruktion ersetzt; in derselben Konstruktionsweise wurde 1889 auch die Brücke über den Vorderrhein errichtet. Von den beiden, Ende des 19. Jh. als Eisenkonstruktionen errichteten Strassenbrücken ist eine bis heute erhalten geblieben.5  

 
2008 Die südwestliche Reichenauer Eisenbrücke aus dem Jahr 1889 


1818 Rhäzüns, Tscheum da làura. Rheinbrücke bei Rothenbrunen mit Ausblick ins Domleschg, gemalt von Johann Ludwig Bleuler um 1818.Rätisches Museum, Chur (Sammlung chrsp.)

Raubzüge und Überfälle: Die Sicherheit auf den „Strassen“ war auch damals ein Thema. Hohle Gassen, Bergstrecken, aber auch die Karrenwege in Oberitalien waren besonders gut geeignet für Raubzüge aller Art. Dem Herzog von Mailand wurden wiederholt Schadenersatzforderungen gestellt wegen Raub von Waren und Pferden. Ein Ulrich Rietmeier beschwerte sich 1477, dass er zehn fette Pferde nach Mailand zum Verkauf gebracht habe, dass er aber auf dem Heimweg von Söldnern des Herzogs überfallen worden sei, die ihn 16 Wochen lang gefangen gehalten hätten. Berichtet wurde auch über den während der Nacht erfolgten Überfall auf einen Schweizer Händler. Der Kaufmann und sein Fuhrmann wurden gezwungen, dem Gauner die Stute mit den Waren zu überlassen, um der Gefahr des Todes zu entrinnen. Im Gegenzug beklagte sich auch der Herzog von Mailand über die Verhaftung eines Kaufmanns von Mailand durch die Leute am Hinterrhein, und ein Nürnberger Kaufmann wurde von zwei Bündnern angefallen. Er habe fünf Wunden mit Bluterguss erhalten und wäre gestorben, wenn ihm nicht Hilfe zuteil geworden wäre. Doch es gab auch positive Meldungen: Dem Herzog von Mailand wurde 1490 aus Bormio berichtet, „dass am kürzlich stattgefundenen Markt sehr viele deutsche Kaufleute erschienen seien, Ordnung und Disziplin abgewickelt, dass nicht der geringste Widerwillen noch ein böses Wort gefallen ist. Alle haben ihre Waffen mit solchem Gehorsam abgeliefert, wie wir es bisher noch nie gewohnt waren“.6