34. Rechte und Verordnungen in der Frühen Neuzeit

Rhäzünser Erbfall / Erbrecht von 1505

Auf dem Gebiete des Zivilrechtes hatten die Nachbarschaften der Stammherrschaft mit Rat, Wissen und Willen von Conradin von Marmels, des Herrn zu Rhäzüns, eine Vereinbarung betreffend Verhalten in Erbfällen aufgesetzt. Diese Vereinbarung besteht aus sieben Artikeln, die die Fälle regeln, in denen Kinder ihre Eltern oder Grosseltern und die Geschwister ihre unverheirateten Geschwister beerben. Von Bedeutung ist, dass die Nachbarschaften diese Vereinbarung kraft ihrer Autonomie in zivilrechtlichen Angelegenheiten – ohne dass der Pfandinhaber rechtliche Befugnisse gehabt hätte, dies zu verhindern – abschliessen konnten. Eine Beeinflussung durch Conradin von Marmels kann sicher nicht ausgeschlossen werden, stand er doch den Parteien mit Rat und Wissen zur Seite. In späterer Zeit sind keine weiteren Vereinbarungen über den Erbfall abgeschlossen worden, da dieses Institut von 1518 an durch den Grauen Bund zentralistisch geregelt wurde. Die Tätigkeit des Bundes hatte die Konkordatstätigkeit zwischen den einzelnen Nachbarschaften oder Gerichtsgemeinden abgelöst.1

 

Polizeiliche Verordnungen

Obwohl polizeiliche Verordnungen in erster Linie von den Nachbarschaften zu erlassen waren, behielt sich ein Herr von Rhäzüns in Angelegenheiten, die die ganze Herrschaft betrafen, vor, selber Vorschriften zu erlassen. So bestimmte eine Bettlerverordnung vom 2.Januar 1759, dass alle „fremden und unnützen Vagabunden, Landstreicher, Faulenzer und Bettler“ sich nicht in den herrschaftlichen Gemeinden aufhalten dürften, sondern sich ins Ausland zu begeben hätten. Kamen sie diesem Befehl nicht nach, mussten sie ins Schloss Rhäzüns gebracht werden. Die Männer hatten alsdann Soldaten zu werden oder wurden weit weggeschickt, die „Weiber“ wurden gebüsst und durch den Weibel ausgewiesen. Diese Verordnung wurde auf der Haustüre eines jeden Gerichtshauses in der Herrschaft öffentlich angeschlagen. In diesem Zusammenhang ist auch auf ein Verzeichnis der Hintersassen hinzuweisen, die sich alljährlich im Schloss anzumelden hatten. Dort wurde entschieden, ob man sie im Dorf Rhäzüns oder in Bonaduz wohnen und dulden lassen wolle. Im Jahre 1748 waren es in Rhäzüns 10 und in Bonaduz 13 Personen, die verpflichtet waren, sich im Schloss zu melden.

Am 7. März 1790 wurde die Nachbarschaft Bonaduz durch den Verwalter der Herrschaft angewiesen, alle mittellosen und fremden Hintersassen und „anderes Bettel und Gesinde“ weder zu dulden noch aufzunehmen. Damit sollte weder die Nachbarschaft noch die Herrschaft mit solchen Leuten überschwemmt und beschwert werden. Auch durfte kein Bettler mehr als eine Nacht beherbergt werden. Der Verwalter drohte auch der Nachbarschaft Bonaduz, dass, falls wegen der Bettler Zivil- oder Kriminalsachen entstehen würden, das Schloss protestieren und alle Spesen auf die Nachbarschaft übertragen werde.2

 

Jagd- und Fischereirechte

Einleitung: Die Jagd hat in der Geschichte der Menschheit als Nahrungsquelle eine wichtige Rolle gespielt. Bis vor etwa 10`000 Jahren waren wir alle Jäger und Sammler und dies hat in der Menschheit gewaltige Spuren hinterlassen, denn dieser Jagdtrieb steckt immer noch in den Menschen. Im Mittelalter nutzte die herrschende Klasse ihre Macht, um durchzusetzen, dass diese Nahrungsquelle zu ihrem Privileg wurde. Dies war häufig Ursache von Konflikten und sogar Revolutionen. Die Drei Bünde hoben bereits 1526 das Adelsprivileg zugunsten der freien Volksjagd auf.


Hans Seeber Photoatelier Rhäzüns. Das Bild wurde im Jahr 2013 restauriert 

„Am Schloss Rhäzüns an der Front des alten Westturmes eine ‚Bärenhatz‘. Auf einem Fond von grossblätterigem Laubwerk ist die Szene friesartig entwickelt: links der Ritter mit Hunden, vor ihm zwei Knechte, deren einer eben dem von der Meute umstellten Bären den Fang gibt; rechts aussen das Wappen (von) Rhäzüns“.  Ende des 14. Jahrhundertsliess der Freiherr Heinrich IV. v. Rhäzüns oder sein Nachfolger, der Neffe Freiherr UlrichII. von Rhäzüns (der Mächtige),die Fresken zum Motiv einer Bärenhatz an der Westwand ausmalen.3


Allgemeines:
Das Wildbannrecht gehörte ursprünglich wie andere Rechte zur weltlichen Herrschaft des Territorialherren. Es war Teil eines Ganzen und wichtiger Faktor im Feudalstaat. In seiner Eigenschaft als Hoheitsrecht des Territorialherrn war das Wildbannrecht auch Bestandteil des territorialherrlichen Vermögens. Der Unwille des Volkes jedoch richtete sich von allem Anfang an gegen die Tatsache, dass dem Herrn das Jagdrecht alleine zustand. „Aber der Staat, worauf die Rechtsame dringlich fundiert war, befand sich zum grossen Teil im Eigentum anderer, nämlich des Volkes“. So nährte sich das Wild in der Hauptsache von den Erträgnissen der Güter, die dem Volk zustanden. Dazu kam, dass – wegen des grossen Bestandes an Wild – den Güterbesitzern empfindlicher Schaden erwuchs. Das Volk empfand deshalb das herrschaftliche Wildbannrecht als unbillig und ungerecht.

Wie das Wildbannrecht in die Hand der Freiherren von Rhäzüns gekommen ist, ist nicht mehr zu ermitteln. Man weist darauf hin, dass Kaiser Heinrich III. dem Bischof von Chur den auf beiden Seiten des Rheines vom Versamertobel bis zur Landquart und Tamina reichenden Forst geschenkt hatte. Wie der Übergang des Wildbannrechtes vom Bischof zu den Herren von Rhäzüns erfolgte, ist aufgrund des Urkundenmaterials nicht ersichtlich. Man spricht aber von einem exklusiven Wildbannrecht der Freiherren von Rhäzüns. Die Meinung, dass Bürgerkorporationen teilweise an Jagd und Fischerei nutzungsberechtigt gewesen seien, lässt man nicht gelten.

Einfluss durch die Ilanzer Artikel. Der Grundstein für die Bündner Volksjagd und die spätere Patentjagd ist in der Reformationszeit gelegt worden. Die Jagdrechte gingen damals vom Churer Bischof an die Gerichtsgemeinden über.

Die Ilanzer Artikel von 1526 forderten hinsichtlich der Jagd und Fischerei, dass diese Regalen den Gerichten zuzuweisen seien. Allerdings wurde eine Entschädigungspflicht stipuliert, wenn erkaufte Rechte dadurch betroffen wurden. Damit sollte ein prinzipieller Wechsel hinsichtlich der Rechtssubjekte vor sich gehen.

Die Jagd sollte nicht mehr nur Privilegium Einzelner, sondern zur gemeinen Nutzung der Gerichtsgenossen werden. Im Glurner Vertrag vom 17. Dezember 1533 wurde aber ausdrücklich festgelegt, dass Wildbann und Fischerei immer noch dem Herrn von Rhäzüns zuständen. Man vernahm ferner, dass der Pfandinhaber Conradin von Marmels gemäss dem Willen der königlichen Majestät, solange die Pfandschaft den v. Marmels gehörte, den Untertanen das Recht gab, Bären, Wölfe und Dachse zu jagen.

Betreffend die Fischerei wurde bestimmt, dass die Rhäzünser und Bonaduzer oberhalb der Zollbrücke mit Rute und in der „Wassertrübe“ mit dem Speer fischen durften. Im Frühling und Herbst konnten sie einen Klafter vom Land entfernt mittels „Fach und Reuschen oder Wartolf, die am Eingang drei Finger weit waren“, fischen. Doch war es nicht erlaubt, einen mehr als einen Kreuzer grossen Fisch zu fangen. Unterhalb den Zollbrücken hatten sich die von Ems und Felsberg wie bis anhin zu verhalten. Durch dieses Entgegenkommen Österreichs wurde wohl den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung getragen.

Bei diesen Rechten hatte es auch mehr als 100 Jahre sein Bewenden. Denn der Vergleich vom 19. Dezember 1662 bestimmte noch ausdrücklich, dass hinsichtlich des Wildbanns und der Fischerei die Bestimmungen von 1534 in Kraft zu bleiben hätten.


Teilweise Ausdehnung des Jagdrechtes auf die Bürger:
In der Folge schien es wieder zu Angriffen auf das Hoheitsrecht gekommen zu sein. So schreibt Erzherzog Ferdinand am 26. Mai 1674 an die Gemeindsleute der Herrschaft Rhäzüns, dass sie sich nicht den Verkauf von Geflügel und Wildbret anmassen sollten, weil dieses Recht nur der Herrschaft zustehe. Obwohl formell die Zuständigkeit des Herrn, die Jagd zu erlauben oder zu verbieten, noch gegeben war, vertritt man die Ansicht, dass in der Praxis eine stillschweigende Ausdehnung des Jagdrechtes auf die Gerichtsgenossen erfolgte. Das Abkommen zwischen Johann Travers v. Ortenstein und der Nachbarschaft Ems beinhaltete, dass Wildbann, Jagen und Fischen dem Herrn von Rhäzüns gehören sollten, und dass dieser es jedem nach seinem Gutdünken verbieten oder erlauben könne. Den Emsern wurde das „hohe schwarz und rote Wildbret“ mit der Bedingung vorbehalten, dass niemand ohne Bewilligung des Herrn mit Hunden fangen oder zu verbotener Zeit etwas schiessen dürfe. Sollten aber Wildschweine und Hirsche den Emsern Schaden an ihren Äckern anrichten, müsse dies dem Herrn angezeigt werden, damit er solchem vorbauen könne oder den Emsern erlauben, dieses Wild zu „stehlen“. In diesem Fall aber gehörte das Wild einem Herrn und musste ihm geliefert werden. Dafür konnte der Herr eine „Diskretion“ nach seinem Gutdünken geben. Das Fischen sollte den Emsern gemäss Brief und Siegel erlaubt sein. Eine ähnliche Absprache wurde im Traversischen Übereinkommen bezüglich der Nachbarschaften Rhäzüns und Bonaduz getroffen.

Wildbann, Jagen und Fischen gehörten dem Herrn von Rhäzüns, so dass er dies einem jeden nach seinem Gutdünken verbieten oder erlauben durfte. Den beiden Nachbarschaften Rhäzüns und Bonaduz waren allein die Hirsche und Wildschweine mit der Bedingung vorbehalten, dass niemand ohne Bewilligung des Herrn mit Hunden fangen oder zu verbotener Zeit etwas schiessen dürfe. Betreffend den Eintritt eines Schadens, welcher durch Hirsche oder Wildschweine verursacht wurde, traf man die gleiche Regelung wie mit der Nachbarschaft Ems. Das Fischen sollte den Nachbarschaften wie von alters her erlaubt sein. Jeder musste aber das, was er an Wildbret oder Fischen bekam, sofern er es verkaufen wollte, dem Herrn anbieten und zu einem „rechten Preis“ verkaufen. In Felsberg ernannte Johann v. Travers einen Mann, dem die Gemeindsleute Fisch und Wild, das sie nicht selbst brauchten, verkaufen mussten. Wenn der Herr aber etwas begehrte, sollte ihm dies gegen gebührende Bezahlung gegeben werden. Wenn nicht, war es den Gemeindsleuten erlaubt, Fische und Wild anderwärts aber ohne List und Betrug, abzusetzen. Diese Beispiele aus der traversischen Zeit zeigen, dass formell der Herr von Rhäzüns das Jagd- und Fischregal noch innehatte, den Nachbarschaften aber einige Rechte verbrieft waren. Auch der Feldkircher Vergleich von 21. Juni 1686 stützte sich auf den Traversischen Vertrag ab und bestimmte, dass es bei der getroffenen Regelung verbleibe.


Neuordnung des Jagdrechts: 
Der Rhäzünser Vertrag enthielt in Artikel 13 hinsichtlich der Jagd folgende Bestimmungen: Das hohe Wildbret sollte dem Herrn zustehen. Die Gemeindsleute waren aber befugt, das „kleinere Jagen“ und auch das Fischen mit und neben dem Herrn zu weidmännischer Zeit zu betreiben. Doch mussten sie sowohl die Fische als auch das Wildbret dem Herrn oder seinen Einziehern auf Begehren zu billigem Preis antragen. Wenn das hohe Wild in den rhäzünserischen Gemeindegütern Schaden anrichtete, wurde es durch Bedienstete des Verwalters abgetan. Gegen eine „Discretion“ musste das Wild alsdann dem Verwalter geliefert werden. Diese Neuordnung schaffte ein einheitliches Jagdrecht für die ganze Herrschaft. Die Befugnisse der Berechtigten blieben im Allgemeinen dieselben. Der Artikel hinsichtlich der Jagd mit Hunden wurde fallengelassen. Die Verfügungsfreiheit über die Beute war durch ein Vorkaufsrecht des Herrn beschränkt. Das absolute Wildbannrecht des Herrn war sehr stark reduziert worden, von einem Wildbannrecht im strengen Sinne des Wortes kann wohl überhaupt nicht mehr gesprochen werden, angesichts der verbrieften, weitgehenden Jagdrechte der Gemeinden. Es handelte sich für den Herrn nur mehr um ein beschränktes Reservatrecht von ziemlich geringer Bedeutung.4