32. Verwaltung und Politik der Herrschaft Rhäzüns (1. Teil)

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(Von 1139 bis 1819/23, zeitlich geordnet)

1139-1497: Die Freiherren von Rhäzüns und die Herrschaft vor der Übernahme durch Österreich

1497-1696: Die Herrschaften nach der Übernahme durch Österreich als Pfandinhaber

1696-1819: Österreichische, bayerische (?) und französische Administratoren in Rhäzüns

1819: 19. Januar: Übergang an den Kant. Graubünden und die Schweiz mit Übergabe- und Übernahmeurkunde.

1823: 15. Januar: Verfügung über die erworbenen herrschaftlichen Güter

 

1139-1497: Die Freiherren von Rhäzüns und die Herrschaft vor der Übernahme durch Österreich

Herkunft: Die erste urkundliche Erwähnung von Rhäzüns datiert aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts. In einem Tauschdokument aus dem Jahre 960 treten Rhäzüns und Bonaduz das erste Mal gemeinsam in Erscheinung. Über die Herkunft der Freiherren von Rhäzüns bestehen drei verschiedene Ansichten:1 Dr. Leo Schmid glaubt, ohne sich auf Quellen abstützen zu können, dass bereits im 10. Jahrhundert neben den unfreien Königsbauern schon freie Geschlechter existierten. Eines von ihnen könne, weil es in dieser Gegend eigenen Grund und Boden besessen habe, im Laufe der Zeit königliche und bischöfliche Lehensgüter mit eigenem Besitz zu einer kleinen Herrschaft vereinigt haben, in der es das herrschaftliche Recht der niederen Gerichtsbarkeit, d. h. die Strafgewalt über geringe Vergehen, innehatte.Andere meinen, dass die Freiherren aus dem süddeutschen Raum eingewandert seien. Dr. Linus Bühler meint, eine dritte Vermutung liege nahe: Dass die Namen Arnoldus und Richenza in Rätien nur bei den Rhäzünsern vorkommen, im Geschlecht der Grafen von Lenzburg aber sehr gebräuchlich seien, spreche dafür, dass die Freiherren von Rhäzüns, aus der Verwandtschaft der stauffertreuen Grafen von Lenzburg stammen könnten.Die erste genau datierbare Erwähnung eines Mitgliedes der Familie stammt aus einem Kaufvertrag von 1139, in welchem ein „Arnoldus de Ruzunne“als Zeuge auftritt.

In den folgenden Jahrhunderten werden die Urkunden, in denen von den Rhäzünsern die Rede ist, immer häufiger. In dieser Zeit wird es ihnen gelungen sein, die hoheitlichen Rechte der 1050 erloschenen Grafschaft Oberrätien für ihren Raum zu sichern und zur niederen auch noch die hohe Gerichtsbarkeit zu erwerben. Es war dies das Recht, im Gebiet ihres Eigenbesitzes und ihrer Lehen im Namen des Königs als höchste Richter all jene Verbrechen, welche mit dem Tod oder mit dem Verlust der Freiheit bedroht waren sowie alle Streitsachen, die das Eigentum an Grund und Boden oder an Leuten betrafen, zu beurteilen. Das Gebiet von Rhäzüns unter Heinrich II. umfasste in jener Zeit Rhäzüns, Bonaduz und den Hof Sculms im Safiental. 

Aufstieg: Unter Heinrich III. vergrösserte sich die Herrschaft um den ehemals königlichen Hof in Obersaxen, den der Rhäzünser vom Bistum erwerben konnte, sowie Rechte am Heinzenberg in Urmein und Sarn. Den Söhnen Heinrichs III. gelang es, das Herrschaftsgebiet bedeutend zu erweitern. Sie erbten von Reinger Fryberg die Herrschaft St. Jörgenberg und Fryberg mit den Dörfern Waltensburg, Andiast, Panix, Siath und Ruis. Infolge einer Verbindung mit dem Hause Werdenberg konnte sich Ulrich II. 1368 die Herrschaft Felsberg sichern. Nach dem Aussterben der Familien Montalt und Belmont vergrösserte Ulrich II. seinen Besitz weiter. Er erwarb sich 1378 die Herrschaft Grünenfels bei Waltensburg und das Dorf Schlans. Um 1380 wusste Freiherr Ulrich II. auch das für ihn wichtige Dorf Ems und die gleichnamige Burg an sich zu bringen. 1383 kauften die Rhäzünser Freiherren von den Grafen von Werdenberg-Sargans noch Herrschaftsrechte und Leute am Heinzenberg mit Tschappina und Thusis, Safien, Tenna und Rechte in Vals, sowie 1387 Burg und Edelherrschaft Tagstein bei Thusis dazu. Durch diese Ankaufspolitik hatte sich Ulrich II. in einem strategisch und wirtschaftlich bedeutenden Gebiet eine günstige Stellung verschafft. Strategisch war das Gebiet deshalb von grosser Bedeutung, als sich hier die wichtigen Verkehrslinien der Lukmanier- und der S. Bernardino-/Splügen- sowie Septimer-Route abzweigten, womit Rhäzüns wichtige Verkehrslinien kontrollierte.

Voraussetzungen der Herrschaftsbildung: Drei Faktoren nennt Dr. Linus Bühler, die die Herrschaftsbildung begünstigte: 1.Die fruchtbare Talsohle des Rhäzünser Bodens, der zum grössten Teil schon seit frühester Zeit eine geschlossene Grundherrschaft bildete, ermöglichte den Herren von Rhäzüns ein Auskommen und eine standesgemässe Lebenshaltung. 2. Die Lage des Gebietesinnerhalb des Reiches erlaubte es ihnen, ohne grössere Einwirkung von König oder von mächtigen Reichsfürsten eine Domäne aufzubauen. -Die Macht des churbischöflichen Hochstiftes war zu schwach, um dies zu verhindern. 3. Neben den erwähnten wirtschaftlichen und politischen Faktoren sollte eine rechtliche Grundlage entscheidend zur Herrschaftsbildung beitragen. Allmählich drang die Erblichkeit der Lehen im Reich durch, die Kaiser Konrad II. 1037 in Italien nun auch für die „Valvassores‟(niedere Ritter und Bürger) festsetzte. Der Aufstieg des Hauses Rhäzüns seit Mitte des 14. Jahrhunderts kann ohne diesen wirtschaftlichen Rückhalt nicht erklärt werden. Die Basis der Einnahmen bildete dabei um 1370 der erwähnte Grundbesitz. Dieser wurde in der Regel von Hörigen oder Leibeigenen in Zins- oder Pachtwirtschaft bebaut. Erst gegen Ende des 14. und vor allem im 15. Jahrhundert wurden diese Lehens- und Wirtschaftsformen durch die freie Erbleihe abgelöst.

Ob die Freiherren auf Einnahmen aus Zöllen zählen konnten, ist ungewiss. In den Quellen jedenfalls ist davon nirgends die Rede. Eine zentrale Bedeutung für die Herrschaft Rhäzüns erhielt die Erwerbung der Herrschaft Jörgenberg. Der Rechtsnachfolger der Freiherren von Rhäzüns, Graf Jos Niklas von Zollern, erhielt von der Nachbarschaft Waltensburg das Recht, in ihren Wäldern das für das dortige Bergwerk nötige Holz zu schlagen. Die ausführlichen Bestimmungen dieser Bergwerksordnung in Bezug auf die Organisation der Gesellschaft und der Bergwerke sowie das Setzen von Berg- und Schichtmeistern deuten darauf hin, dass in recht umfangreichem Masse Erze abgebaut wurde. Dr Linus Bühler meint denn auch, dass die ausserordentlich günstigen finanziellen Verhältnisse Ulrichs II. in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wohl drauf zurückzuführen seien, dass diese ergiebige Einnahmequelle schon ihm zur Verfügung gestanden sei und somit die Erwerbspolitik zum grossen Teil erst ermöglicht habe.

Aussterben der Freiherren und Teilung der Herrschaft: Am 6. März 1458 starben die Freiherren von Rhäzüns aus. Anna IV., die einzige Tochter des letzten Freiherrn, konnte in der patriarchalisch bestimmten mittelalterlichen Gesellschaft die Herrschaft nicht übernehmen. Erbansprüche auf die Herrschaft stellten Graf Jörg von Werdenberg-Sargans als Gemahl Annas IV. von Rhäzüns und Graf Jos Niklas von Zollern als Erbe seiner noch lebenden Mutter Ursula II. von Rhäzüns, der Schwester des letzten Freiherrn und Gemahlin des Grafen Eitelfritz von Zollern. Die Erbschaftsstreitigkeiten zogen sich über mehrere Jahre hin. Graf Jos Niklas erlangte 1459 die Herrschaft Jörgenberg. Dabei schien das Bergwerk zu Jörgenberg das Hauptmotiv für den Erwerb der Herrschaft gewesen zu sein. 1461 wurde die Herrschaft Rhäzüns durch ein Schiedsgericht unter der Leitung der Bischöfe von Konstanz und Chur endgültig aufgeteilt. Graf Jos Niklas erhielt die Stammherrschaft mit Rhäzüns, Bonaduz, Ems, Felsberg, Jörgenberg, Tenna und Obersaxen, Graf Jörg von Werdenberg-Sargans den Heinzenberg mit Tagstein, Thusis, Tschappina sowie Safien. M.s.u. 56. Verschiedene Geschichten

 
Freiherr Jörg von Rhäzüns 

Der Graue Bund

Rechtsgeschichtliche Aspekte: Den direkten Anstoss zu seiner Gründung bildete die Rhäzünser Fehde. Die durch die Fehde betroffenen Gerichtsgemeinden erhoben sich und verlangten, dass den Gewalttaten ein Ende gemacht und die Rechtsordnung auf eine sichere Grundlage gestellt werde.

Als textliche Grundlage des Bundes von 1424 diente das Ilanzer Abkommen von 1395, der Bund mit Glarus von 1400 und in geringerem Masse das Bündnis zwischen dem Hochstift und dem Oberen Bund von 1406. Infolge der starken Abhängigkeit von der Urkunde von 1395 gilt der Bund von 1424 als ein Landfriedensbündnis. Die Urkunde beinhaltet in erster Linie eine Zusammenfassung von Bestimmungen, die sich bewährt hatten. Neu war vor allem die Ausgestaltung des Schiedsgerichtes, das bei Streitfällen innerhalb des Bundes gebildet werden sollte. Bestimmend für die Ausgestaltung des Bundesrechtes und die Institutionalisierung des Bundesgerichtes wurde die Praxis. Verantwortlich dafür waren die zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen Feudalherren und Kommunen um die Teilung der Herrschaftsrechte und der Übergang der Herrschaft an die Gerichtsgemeinden. Wagner / v. Salis stellten fest, dass mit den Herrschafts- und den Gemeinderechten der Umfang der Staatsgewalt erschöpft war, so dass nun die Gemeinde soweit als unabhängig galt, als nicht eine besondere Beschränkung durch die Herrschaftsrechte nachgewiesen werden konnte. Am Oberen Bund waren sowohl die Inhaber der Herrschaftsrechte als auch die Gemeinden beteiligt. Letztere hatten ihre Mitwirkung nicht aufgedrängt, sondern beide Parteien wurden durch Abschluss des Bundesvertrages von 1424 zu gleichberechtigten Kontrahenten. Mit der Institutionalisierung des Bundesgerichtes verlief parallel dazu wohl auch die Entwicklung des ursprünglichen Schiedsgerichtes zu einer Appellationsinstanz. Diese Entwicklung wurde dadurch ermöglicht, dass das Bundesgericht gleich wie der Gesamtbund den einzelnen Gerichtsgemeinden übergeordnet war und diesen vorzugehen hatte. Davon ausgeschlossen blieb die Kriminalgerichtsbarkeit, die weiterhin bei den Feudalherren und Gerichtsgemeinden verblieb. Die Vormachtstellung der Hauptherren (Abt von Disentis, Graf von Misox und Herr von Rhäzüns) kam darin zum Ausdruck, dass sie das Vorschlagsrecht für die Wahl des Landrichters besassen. Der Landrichter war eine überaus wichtige Person im Grauen Bund. Einerseits war er Vorsitzender des Bundesgerichtes, anderseits auch Vorsitzer des Bundestages, nachdem sich dieser als politische Behörde konstituiert hatte. Der Bundestag hatte ebenfalls seinen Ursprung im Schiedsgericht. Er setzte sich aus dem Landrichter, den Richtern sowie Abgeordneten der Gerichtsgemeinden zusammen. Seine Aufgaben bestanden vornehmlich darin, Wahlen zu organisieren, Gesetzeserlasse vorzuberaten, Bundesbeamte zu kontrollieren und später vor allem die dem Bunde zustehenden Ämter in den Untertanenlanden zuzuteilen und damit zusammenhängende Einnahmen und Lasten zu verteilen.

Soziale und wirtschaftliche Aspekte: Im Spätmittelalter traten neue Lehensformen auf und bestimmten dabei die Entwicklung der Besitzesverhältnisse, die auf ein freies bäuerliches Grundeigentum hin tendierten. Freie Nutzung, Vererbung, Veräusserung und Belastung bildeten die Grundelemente des freien Grundeigentums. Der Abschluss der Entwicklung wurde erst in der Folge der französischen Revolution erreicht, doch bildet die freie Erbleihe, die sich im Spätmittelalter durchsetzte, eine wichtige Station auf diesem Weg. Dr. Linus Bühler kann auf Quellen hinweisen, die den Schluss ziehen lassen, dass die Freiherren von Rhäzüns in ihren Gebieten schon früh relativ günstige rechtliche Bedingungen schufen. Daraus erklärt er sich auch den auffallenden Rückhalt der Freiherren bei den Untertanen. Die rechtlichen Folgen der freien Erbleihe sind vor allem darin zu sehen, dass die Erblehenleute nicht mehr der Gerichtsbarkeit des Grundherrn unterstanden, sondern dem ordentlichen Gericht, womit die Auflösung der Grundherrschaft weiter vorangetrieben, wenn nicht sogar entscheidend vollzogen wurde. Im ordentlichen Gericht aber war der Einfluss der Untertanen auch in der Stammherrschaft Rhäzüns so weit gestiegen, dass der Ammann den Vorsitz führte und Geschworene das Urteil sprachen. Die wirtschaftlichen Folgen der neuen Lehensformen waren offenkundig. Der einmal festgesetzte Erblehenszins konnte nicht mehr erhöht werden, womit dem Verleiher bedeutende finanzielle Nachteile erwuchsen. Der Geldzins hatte jedoch noch grössere Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Feudalherren, da die Inflation das Geld ständig entwertete und ihre Renten aushöhlte.

Die Grafen von Zollern

Verpfändung der Herrschaft an Conradin von Marmels: Am 16. Mai 1473 erhielt Conradin v. Marmels die Herrschaft Rhäzüns mit Schloss, Dorf und Vorhof zu Rhäzüns, Bonaduz, Ems und Felsberg, die Äcker, Weingärten, Baum- und Krautgärten zu Rhäzüns sowie den Weingarten zu Felsberg, den Zehnten zu Rhäzüns und Bonaduz, das Gericht Tenna und eine ganze Reihe von Gülten, welche vorwiegend in der Lieferung von Korn und Käse, bei Ems und Felsberg auch von Pfeffer bestanden.

Dieser Vertrag enthielt folgende besondere Bestimmungen: Jos Niklas von Zollern behielt sich alle Bergwerke in der Herrschaft vor. Dies zeigt, dass die Bergwerke offenbar von grosser wirtschaftlicher Bedeutung waren. Die Kaufsumme betrug 1400 Gulden für die Herrlichkeit, 1200 Gulden für Baum- und Weingärten sowie 9268 Gulden für die Gülten. Bei Säumigkeiten in der Zinszahlung sollte eine Zinserhöhung erfolgen. Wenn die Kaufsumme nicht innerhalb von acht Tagen bezahlt würde, sollte die Herrschaft an die Zollern zurückfallen. Da ein Rückfall nicht erfolgte, dürfte Conradin v. Marmels seinen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen sein. Nebst dem bereits aufgeführten, gewährte Jos Niklas v. Zollern Conradin v. Marmels ausserdem den auf 50 Gulden veranschlagten Zehnten zu Ems, den er vom Gotteshaus Disentis 1472 bekommen hatte. Doch hatte sich Disentis den Wiederkauf vorbehalten. Im Vertrag war ferner stipuliert, dass Conradin v. Marmels dem Grafen von Zollern das „Öffnungsrecht‟zu gewähren hatte, zu den 15 des Oberen Bundes zwei aus dem Gericht zu Rhäzüns setzen sowie die ehrbaren Leute in der Herrschaft bei ihren Freiheiten und Gerechtigkeiten belassen müsse. Entscheidend war jedoch, dass diese Vereinbarung mit einem „Wiederlösungsrecht‟zugunsten der von Zollern belastet war. Die von Zollern hatten nicht die Absicht, die Herrschaft für immer zu veräussern, viel mehr erforderte ihre Abwesenheit die Einsetzung eines Vertreters, um Unkosten zu ersparen. Es stellt sich hier die Frage, ob nicht eine Verleihung anstatt eines Verkaufes mit Wiederlösungsrecht den Absichten der von Zollern besser entsprochen hätte. B. Vieli bemerkt jedoch dazu, dass eine Verleihung und folglich Vertretung kaum zulässig gewesen sein dürfte, da der jeweilige Herr von Rhäzüns, als einer der Hauptherren des Grauen Bundes, bei den Verhandlungen persönlich zugegen sein musste. Obwohl wirtschaftlich gesehen kein Unterschied zwischen einer Verleihung und einem Kauf mit Wiederlösungsrecht besteht, erforderte die Stellung eines Herrn von Rhäzüns im Grauen Bund, dass dieser als Eigentümer der Herrschaft auftrat.

10 Jahre nach dem ersten Verkauf der Herrschaft Rhäzüns ersetzten Jos Niklas und Conradin von Marmels den Kaufvertrag von 1473 durch einen neuen, der das Datum des 14. September 1483 trug. Jos Niklas behielt sich weiterhin alle Bergwerke in der Herrschaft vor. Auch durfte Conradin v. Marmels am Besitzstand der Herrschaft keine Änderungen durch Erblehen vornehmen. Jos Niklas reservierte sich wieder ausdrücklich das Rückkaufsrecht. Ein beabsichtigter Wiederkauf musste ein Jahr vorher zwischen Weihnachten und Lichtmess angekündigt werden. Der Graf versprach aber, dass ein Wiederkauf der Herrschaft bei Lebzeiten Conradins nur dann erfolgen werde, wenn die von Zollern die Herrschaft selbst behalten und nicht weiter verpfänden oder verkaufen wollten. Falls aber die von Zollern die Herrschaft zu veräussern beabsichtigten, sollte Conradin von Marmels das Vorkaufsrecht haben. Umgekehrt mussten Conradin oder seine Erben, wenn sie die Herrschaft verkaufen wollten, diese ein ganzes Jahr den von Zollern anbieten. Übten die von Zollern das Kaufsrecht innerhalb dieses Jahres nicht aus, sollte es Conradin von Marmels oder seinen Erben freistehen, die Herrschaft anderweitig – jedoch unter Vorbehalt des Wiederkaufsrechtes der von Zollern – zu verkaufen. Diese Vereinbarungen dokumentieren eindrücklich die ungleiche Rechtsstellung der beiden Parteien. Das formelle Eigentum von Conradin von Marmels wird durch die vielen Einschränkungen und Auflagen zu einem eigentlichen Pfandlehen. Die Bezeichnung „Pfandinhaber“ für den Herrn von Rhäzüns entspricht deshalb in dieser Zeit der wirtschaftlichen Realität.

Kaufabsprache zwischen den von Zollern und Peter von Hewen: Im Herbst 1488 waren von zollerischer Seite Bestrebungen im Gang, die Herrschaft Rhäzüns von Conradin von Marmels zurückzukaufen und sie dem Freiherrn Peter von Hewen zu Hohentrins zu geben. In einer Urkunde vom 11. November 1488 besitzen wir eine Kaufabsprache des Bischofs von Augsburg und seines Bruders Graf Eitelfriedrich von Zollern einerseits und Peter von Hewen anderseits. Letzterer sollte die Herrschaft Rhäzüns und Obersaxen mit allem Zubehör, allen Rechten und Gefällen erhalten. Davon ausgenommen waren alle Bergwerke und Erze in der Herrschaft Rhäzüns, in Obersaxen und in der Herrschaft Jörgenberg. Die Verkäufer versprachen, Conradin von Marmels vertragsgemäss am Hilariustag des folgenden Jahres (13. Januar 1489) den Rückkauf der Herrschaft anzukündigen und die Herrschaft ein Jahr später Peter von Hewen mit einem besiegelten Kaufbrief zu übergeben. Die bei der Übernahme der Herrschaft fällige Kaufsumme war auf 7000 Gulden festgelegt worden. Peter von Hewen wurde bevollmächtigt, die verpfändeten Güter und Gefälle der Herrschaft Rhäzüns in Obersaxen wieder auszulösen, doch sollte die geplante Auslösung jeweils denn von Zollern mitgeteilt werden. Ausgelöste Güter würden alsdann zur Kaufsumme von 7000 Gulden hinzugerechnet werden. Wie schon in früheren Vereinbarungen behielten sich die Grafen von Zollern wiederum den Wiederkauf der Herrschaft bei einjähriger Kündigung vor. Am 13. Januar 1489 wurde Conradin von Marmels angekündigt, dass der Wiederkauf der Herrschaft am 2. Februar 1489 erfolgen werde. Diese Kaufabsprache mit Peter von Hewen muss überraschen, weil sie doch klar im Widerspruch zum bestehenden Vertrag mit Conradin von Marmels stand. Insbesondere wurde das Versprechen nicht eingehalten, das Conradin von Marmels ein Vorkaufsrecht einräumte und einen Wiederkauf der Herrschaft bei Lebzeiten Conradins nur gestattete, sofern die von Zollern die Herrschaft selbst in Händen behalten wollten.

Erneuerung des Kaufvertrages zwischen den Grafen von Zollern und Conradin von Marmels: Die Gründe sind nicht bekannt, warum der bereits vereinbarte Verkauf der Herrschaft Rhäzüns an den Freiherrn Peter von Hewen nicht zustande kam. Wir wissen nur, dass am 29. Januar 1490 ein neuer Vertrag zwischen den Grafen von Zollern und Conradin von Marmels abgeschlossen wurde. Die von Zollern behielten sich wiederum alle Bergwerke und Erze vor. Neu war die in ihren möglichen Konsequenzen weitgehende Bestimmung, dass Conradin von Marmels den von Zollern auf ihr Ersuchen mit den Herrschaftsleuten Beistand und Hilfe zu leisten habe. Wie im Vertrag von 1483 waren Conradin von Marmels oder seine Erben bei einer Aufgabe der Herrschaft verpflichtet, diese ein Jahr lang den von Zollern zum Rückkauf anzubieten. Dass die Grafen von Zollern auch zu diesem Zeitpunkt ebenso wenig wie ihr Vorfahre Graf Jos Niklas die definitive Abtretung der Herrschaft an Conradin von Marmels beabsichtigten, geht zur Genüge daraus hervor, dass sie nicht nur an den früher wiederholt statuierten Wiederlösungsbedingungen festhielten, sondern noch neue und einschränkendere hinzufügten. So namentlich, dass Conradin von Marmels vom Bestand der Herrschaft „nichts entziehen, noch entziehen lassen, noch davon verkaufen, versetzen noch erblich verleihen“ und auch das Schloss Rhäzüns „mit Tach und Gmach pualich wesentlich und unwesentlich halten“ und erhalten solle. B. Vieli interpretiert die in dieser Vereinbarung sich manifestierende Haltung der von Zollern folgendermassen: Nach dem angeführten könne man sich der Überzeugung nicht verschliessen, dass die Grafen von Zollern damals wie schon früher die Hoffnung hegten, das Haus Österreich, welches darauf bereits reflektieren mochte, werde früher oder später die Herrschaft Rhäzüns in der Tat an sich ziehen, wenn auch um teuren Preis erkaufen wollen, und dass es ihnen daher sehr dran gelegen war, dieselbe Österreich allein anbieten zu können. Mussten sie doch am Hofe Österreichs „traditionelle Politik“ längst und hinlänglich kennen gelernt haben, welche bekanntlich dahinzielte, hauptsächlich der Pässe wegen in Bünden immer festeren Fuss zu fassen. So waren die Grafen von Zollern im Grunde immer noch Herren und Meister der Herrschaft Rhäzüns, der „veste, unser lieber und getreuer“ Conradin von Marmels aber tatsächlich nur ihr Verwalter und Repräsentant, der die Herrschaft auf seine Kosten nach Aussen zu vertreten und deren Rechte zu wahren und zu verteidigen hatte.Diese Auffassung untermauert unsere Erwägung, dass Conradin von Marmels in Wirklichkeit kein Eigentümer der Herrschaft war, sondern nur die Befugnisse eines Verwalters hatte. Auch wird der weitere Verlauf unserer Untersuchungen zeigen, dass das Verhalten der von Zollern durch die österreichischen Interessen bestimmt wurde.

  
Schloss Hohenzollern, Sigmaringen (D) (Internet)

 

1497-1696: Die Herrschaften nach der Übernahme durch Österreich als Pfandinhaber

Politische Lage: Wir sehen, dass die allgemeine politische Situation in Europa, der Eidgenossenschaft und in Gemeinen Drei Bünden das Verhalten Österreichs in der Rhäzünser Frage diktierte. Bereits im Jahre 1363 hatten die Habsburger die Grafschaft Tirol erworben und waren damit zu unmittelbaren Nachbarn des Bischofs von Chur geworden. Ihre Herrschaft weiteten sie bis zum Ende des 15. Jahrhunderts auf das heutige Vorarlberg und Liechtenstein aus, wodurch der Schweizerischen Eidgenossenschaft ein Übergreifen auf Gebiete östlich des Rheins verhindert wurde. Im Verlaufe der Regierungszeit von Erzherzog Sigmund (1440-1490) gelang es den Habsburgern, auch im heutigen Graubünden Fuss zu fassen. Durch kluge und entschiedene Expansionspolitik sowie mit Gewährung von Privilegien und Zugeständnissen gelang es der kaiserlichen Diplomatie im Gebiet des Zehngerichtenbundes und des Gotteshausbundes bäuerlichen und zunftgewerblichen Freiheitsbestrebungen entgegenzutreten. Mit Ausnahme von Maienfeld und Malans verfügte Österreich über das ganze Gebiet des Zehngerichtenbundes. Überdies waren die Freiherren von Brandis Anhänger Habsburg-Österreichs, womit der Kaiser mindestens indirekt auch als Herr der Luziensteig und der beiden Gerichte Maienfeld und Malans erschien und zufolge dieser Schlüsselstellung den Transit durch das Passland des Gotteshauses vollkommen beherrschte. Dasselbe Ziel erstrebte Habsburg-Österreich hinsichtlich des Passverkehrs über den San Bernardino, den Splügen und den Lukmanier, denn wer der Herr der Pässe war, durfte auch als Herr des Landes gelten. Hinzu kam, dass sich zwischen Habsburg und Frankreich Verwicklungen um Mailand abzeichneten. Während nach dem Aussterben der Visconti der Herzog von Orleans Erbansprüche auf Mailand anmeldete, wollte König Maximilian das Reichslehen Mailand nicht in französische Hand kommen lassen und erkannte daher die Sforza als Herren von Mailand an, die mit den Visconti nur durch eine illegitime Tochter des letzten Visconti zusammenhingen.

Aber auch Frankreich – von den Schweizer Eidgenossen unterstützt – bemühte sich sehr, Einfluss auf den in den III Bünden führenden Oberen Bund zu gewinnen und somit die wichtigen Bündner Alpenpässe in seine Hand zu bekommen. Parteigänger Frankreichs war damals Gian Giacomo Trivulzio, der die Herrschaft Misox erworben hatte und 1496 in den Oberen Bund aufgenommen worden war, während der Bischof von Chur, der Abt von Disentis und auch Conradin von Marmels von Rhäzüns auf mailändisch-habsburgischer Seite standen; nicht zuletzt, weil sie von Mailand jährliche Zahlungen, Pensionen“ genannt, erhielten. Trivulzio bemühte sich mit allen Mitteln, die Herrschaft Rhäzüns in die Hand zu bekommen, um als deren Herr den Oberen Bund und damit auch die beiden anderen Bünde auf die französische Seite zu ziehen. Für Maximilian galt es daher, Trivulzio und damit Frankreich um jeden Preis von Rhäzüns fernzuhalten.

Im Jahre 1494 hatte die mailändische Regierung erfahren, dass sich Trivulzio um Aufnahme in den Grauen Bund beworben hatte und Conradin von Marmels Rhäzüns abkaufen wollte. Die Kaufsumme wurde auf 12`000 Gulden festgesetzt, doch hing der Verkauf noch von der Bewilligung des römischen Königs ab. Graf Eitelfritz von Zollern, der Vertraute und Rat des römischen Königs, wusste wohl, dass dieser niemals seine Einwilligung zum Verkauf der Herrschaft an einen Parteigänger Frankreichs geben würde. Dazu M. Klein: „Wahrscheinlich liess er sich auf die Unterhandlungen mit Trivulzio nur ein, um Maximilian zum Kaufe zu drängen“. Dass Graf Eitelfriedrich von Zollern Kaiser Maximilian zum Kauf animieren wollte, folgt auch daraus, dass er ihn dahin beraten und belehrte: „So seyne Mayestät dasselbst Schloss hat, so weren die von Chur leichtlich wiederum zum Reich zu bringen“. Sobald Maximilian von Trivulzios Plänen Kenntnis erhielt, bewarb er sich bei Graf Eitelfritz II. von Zollern um Rhäzüns. Unterstützung erhielt er durch Conradin von Marmels. Anton von Castelmur weist darauf hin, dass es Eigeninteresse war, welches Conradin von Marmels auf die Seite Maximilians führte. Als Parteigänger Mailands konnte er die Herrschaft Rhäzüns nur dann weiter ungestört innehaben, solange sie nicht unter französischen Einfluss geriet. Der Obere Bund verfolgte die Kaufverhandlungen zwischen König Maximilian und Eitelfriedrich von Zollern mit grossem Misstrauen, da er befürchtete, die Habsburger könnten, nachdem sie Gotteshaus- und Zehngerichtenbund beherrschten, auch im Oberen Bund selbst Fuss fassen. Noch Ende des Jahres 1496 rieten Maximilians Räte in Innsbruck zum Abwarten in der Rhäzünser Frage, um den Oberen Bund nicht in die Arme der mit Frankreich sympathisierenden Eidgenossen zu treiben. Als aber am 21. Juli 1497 das von Österreich befürchtete Bündnis des Oberen Bundes mit den sieben eidgenössischen Orten doch zustandekam, entschloss sich Maximilian zu raschem Handeln.

Tausch von Rhäzüns gegen Haigerloch: Dieser Tausch wurde am 12. Oktober 1497 zu Steinach am Brenner zwischen König Maximilian als Erzherzog zu Österreich und seinem Rat und Hauptmann der Herrschaft Hohenberg, dem Grafen Eitelfriedrich II. von Zollern, beurkundet. Maximilian übergab dem Grafen von Zollern Schloss und Stadt Haigerloch mit allen obrigkeitlichen Rechten und allem Zubehör zu Eigen, während Eitelfriedrich dem König Schloss und Herrschaft Rhäzüns mit allen obrigkeitlichen Rechten, Bergrechten und allem anderen Zubehör übergab. Der Vertrag beinhaltete ferner, dass der verstorbene Graf Jos Niklas die Herrschaft Rhäzüns für 7000 Gulden an Conradin von Marmels verpfändet und ausserdem dem Schenken von Erbach aus dem zur Herrschaft Rhäzüns gehörenden Gericht Obersaxen eine jährliche Gült von 2000 Gulden, ablösbar mit 4000 Gulden, verschrieben habe, so dass sich die Gesamtsumme auf 11`000 Gulden belaufe. Herrschaft und Gülten sollten bis zur Ablösung in den Händen der derzeitigen Pfand- und Gültinhaber bleiben. Die Vertragspartner behielten sich eine Aufkündung des Vertrages in vier Jahren vor. Falls der Tausch rückgängig gemacht werde, müsse das, was inzwischen verbaut oder hinzuerworben worden sei, verrechnet werden. Könne dann über die Höhe der zu verrechnenden Summen keine Einigung erzielt werden, sollten zwei Räte des Königs und zwei Freunde des Grafen die Einigung herbeiführen. In einer am 12. November 1497 zu Hall bei Innsbruck ausgestellten Urkunde, teilte Graf Eitelfriedrich den Gerichtsleuten und Untertanen seiner bisherigen Herrschaft Rhäzüns den Übergang der Herrschaft an König Maximilian mit. Gleichzeitig entband er sie von der ihm geleisteten Erbhuldigung sowie der ihm zu leistenden Dienste und befahl ihnen, dem König oder dessen Anwälten“ Erbhuldigung und Pflicht zu tun und künftig als Erbherrn gehorsam zu sein. 


Photo: Schloss Haigerloch (D). (Internet)

Allgemeine Beurteilung dieses Tausches: Natale zufolge beurteilte die Zimmer’sche Chronik den Tausch mit den Worten „Glauci et Diomedis permutatio“. Glaukos war in der griechischen Mythologie ein Verbündeter der Trojaner, welcher seinem Gastfreund Diomedis eine goldene Rüstung gegen eine solche aus Erz zum Tausch gab. Die deutsche Chronik verdeutschte jene Wendung mit den Worten: „id, est, ain ross umb ain sackpfeifen“. B. Vieli, dem die Urkunde vom 12. Oktober 1497 über den Tausch offenbar nicht bekannt war, geht von diesem die völlige Ungleichwertigkeit der Tauschobjekte unterstellenden Vergleich aus und veranschlagt den Wert der Herrschaft Rhäzüns auf nur 7000 Gulden, während er als Wert der Herrschaft Haigerloch mit ihrem Zubehör 60`000 Gulden angibt. P. Liver bezeichnet den Tausch von 1497 als ein „schlechtes Geschäft“, da Maximilian für Rhäzüns eine zehnmal wertvollere Herrschaft hergegeben habe. Hodler weist darauf hin, dass der materielle Wert der Herrschaft Haigerloch nur wenig grösser sei, als derjenige der Herrschaft Rhäzüns, da man bei den 7000 Gulden für Rhäzüns noch als Belastung die mit 4000 Gulden ablösbare Gült der Schenken von Erbach hinzurechnen müsse. Bereits 1488 hatte Erzherzog Sigmund für einige Jahre Haigerloch dem Grafen Eitelfriedrich II. für nur 13`000 Gulden verpfändet. Hodler nimmt daher als wirkliches Verhältnis für den Wert der beiden Herrschaften 11:13 an. Rein rechnerisch könnte man also von einem Nachteil König Maximilians sprechen. Zieht man jedoch die strategischen und politischen Aspekte ins Kalkül, so kann eine rein ökonomische Beurteilung objektiven Gesichtspunkten nicht genügen. Müller bezeichnet denn auch Rhäzüns als strategisch hochwertigen Vereinigungspunkt des Vorderrheins und des Hinterrheins sowie als Schlüssel zum Oberland. So besitze Rhäzüns fast eine strategisch gleichwertige Position wie Chur. Indirekt sei dadurch selbst der Weg zum Septimer und damit zum Engadin und Italien gegeben.

Dass König Maximilian die hervorragende Stellung von Rhäzüns nicht verkannte, dokumentiert uns ein nur in einer notariell beglaubigten Abschrift enthaltenes Schreiben vom 21. Oktober 1498, welches er an Graf Eitelfritz richtete: Der König hatte erfahren, dass Eitelfriedrich den Tausch von 1497 rückgängig machen und die Herrschaft Rhäzüns Trivulzio verkaufen wolle. Er erklärte jedoch, dass er die Herrschaft für sich und seine Erben behalten und eine Aufkündung nicht annehmen wolle. Er fordere deshalb Eitelfriedrich auf, Trivulzio entsprechend zu unterrichten und weder mit diesem noch mit jemand anderem über die Herrschaft Rhäzüns zu verhandeln. Wenn nun Eitelfriedrich 1497 einen ungewöhnlich vorteilhaften Tausch gemacht hätte, wäre er ein Jahr später kaum bereit gewesen, ihn rückgängig zu machen. Wäre anderseits Maximilan wirklich übervorteilt worden, hätte er sich kaum die Gelegenheit entgehen lassen, das schlechte Geschäft zu annullieren.

In Bezug auf den Oberen Bund: Mit dem Verlust von Rhäzüns schien die Bedeutung des Oberen Bundes als Passstaat besiegelt. Die Verkehrslandschaft von Reichenau-Rhäzüns musste in der Hand des Kaisers dem Oberen Bund jede Weiterentwicklung und den Fortbestand verunmöglichen, denn Rhäzüns bildete nicht nur das Tor zu den grossen Bündner Pässen, sondern war durch seine topografische Eigenart, welche die Landschaft von Reichenau charakterisiert, zugleich der politische und militärische Brückenkopf des Oberen Bundes. Doch der weitere Verlauf der Geschichte in den kommenden Jahrhunderten zeigte, dass gerade auf militärischem Gebiet der Erwerb von Rhäzüns durch Österreich nicht die Bedeutung erlangte, die zu Anfang des 16. Jahrhunderts von Seiten des Oberen Bundes befürchtet wurde. Viel mehr ins Gewicht fiel der politische Einfluss, den Österreich als Inhaber der Herrschaft auf den Oberen Bund ausüben konnte. Österreich war eine Komponente, die die Geschichte der Gemeinen III Bünde und insbesondere des Oberen Bundes prägen sollte.  

 

Die Herrschaft unter einheimischen Verwaltern als Pfandinhabern

Conradin von Marmels und seine Erben

Auswirkungen des Tausches: In einer von Eitelfriedrich von Zollern am 20. Dezember 1497 zu Innsbruck ausgestellten Urkunde wurde betont, dass dieser Tausch keine nachhaltigen Auswirkungen auf die von den Grafen von Zollern mit Conradin von Marmels abgeschlossenen Verträge habe. Graf Eitelfriedrich entband deshalb auch Conradin der Pflichten, mit denen er ihm bisher verbunden war und wies ihn an König Maximilian, an den das Wiederkaufsrecht der Herrschaft Rhäzüns durch den Tausch übergegangen war. So entnehmen wir aus einem von Conradin von Marmels bereits am 8. Dezember 1497 in Innsbruck ausgestellten Revers, dass er für Schloss, Herrschaft und Gericht Rhäzüns mit allem Zubehör dem König – wie bisher den Grafen von Zollern – Treue und Gehorsam versprochen sowie die Zulassung der Wiederablösung der Herrschaft zugesagt hatte. Als offener Anhänger Österreichs sah man Conradin von Marmels im Oberen Bund jedoch höchst ungern als Herrn zu Rhäzüns, da er in dieser Eigenschaft zugleich Haupt des Oberen Bundes war. Diese Doppelstellung sowie der vor der Tür stehende Schwabenkrieg mochte ihn in Verlegenheit gebracht haben, so dass er sich entschloss, seine Rechte an Rhäzüns dem Gotteshausbund zum Kaufe anzubieten. Zur Abtretung seiner Rechte kam es allerdings nicht, da wir ihn bis zu seinem Tode als Pfandinhaber der Herrschaft vorfinden. Ohne Bewilligung von Österreich wäre er hierzu auch nicht berechtigt gewesen.

Rhäzünser Erbrechtsgesetz von 1505: Auf dem Gebiete des Zivilrechtes hatten die Nachbarschaften der Stammherrschaft mit Rat, Wissen und Willen von Conradin von Marmels eine Vereinbarung betreffend Verhalten in Erbfällen aufgesetzt. Diese Vereinbarung besteht aus sieben Artikeln, die die Fälle regeln, in denen Kinder ihre Eltern oder Grosseltern und die Geschwister ihre unverheirateten Geschwister beerben. Von Bedeutung ist, dass die Nachbarschaften diese Vereinbarung kraft ihrer Autonomie in zivilrechtlichen Angelegenheiten – ohne dass der Pfandinhaber rechtliche Befugnisse gehabt hätte, dies zu verhindern – abschliessen konnten. Eine Beeinflussung durch Conradin von Marmels kann sicher nicht ausgeschlossen werden, stand er doch den Parteien mit Rat und Wissen zur Seite. In späterer Zeit sind keine weiteren Vereinbarungen über den Erbfall abgeschlossen worden, da dieses Institut von 1518 durch den Grauen Bund zentralistisch geregelt wurde. Die Tätigkeit des Bundes hatte die Konkordatstätigkeit zwischen den einzelnen Nachbarschaften oder Gerichtsgemeinden abgelöst.                               

„Sage nicht, du kennst einen Menschen, bevor du nicht ein Erbe mit ihm geteilt hast.“ (Johann Kaspar Lavater)

Kündigung der Pfandschaft: Auf Conradin von Marmels folgten in der Herrschaft Rhäzüns seine Söhne Hans und Rudolf. Da Hans der ältere war, fiel ihm bei der Teilung des Erbes Rhäzüns zu. Seine Erben waren Hans der jüngere und Jacob. Unter Hans, als Erbe der Herrschaft, begann der Zerfall des Geschlechtes, der von finanziellem Ruin begleitet war. Die meisten Güter der Herrschaft musste er verkaufen oder verpfänden. Die Gebäude standen teilweise dem Zerfall nahe, so dass Österreich die Herrschaft nach seinem Tode, der 1533 erfolgte, nicht seinen jungen unerfahrenen Söhnen Hans-Jörg und Sebastian überlassen wollte. Diese zählten damals erst 15 Jahre und man fand sie nicht für tauglich, die Herrschaft zu lenken. Ausserdem beabsichtigte Österreich, den Pfandschilling von 7`000 auf 10`000 zu erhöhen. Da aber ihr Vater sozusagen nichts als Schulden hinterlassen hatte, hätten sie die Vermehrung des Pfandschillings nur durch weitere Verschuldung der bereits arg belasteten Herrschaft aufbringen können. Dazu ging das Gerücht um, dass sie französische Solde beziehen und sich von Frankreich unterhalten liessen. Unter diesen Umständen musste es nicht erstaunen, dass am 3. November 1554 ein Kündigungsschreiben der österreichischen Regierung an die Erben von Hans von Marmels erging, welches den Beschluss enthielt, die Herrschaft an Bartholomäus von Stampa abzutreten. Der Befehl lautete, dass sie sich auf den St. Hilarientag (12. Januar) zur Ablösung bereit zu machen hätten und die Herrschaft Rhäzüns mitsamt Obersaxen, dem Gericht auf Tenna, der Gült am Heinzenberg, dem Schloss Rhäzüns mit Vorhof, den Dörfern Rhäzüns, Bonaduz, Ems und Felsberg, der Gült St. Jörgenberg mit allen Leuten und allem, was dazugehörte, abzutreten hätten. Ferner wurden die Erben aufgefordert, die Gülten, Zehnten, Güter oder Herrlichkeiten, die belehnt, verkauft oder anderweitig verwendet wurden, wiederum zur Herrschaft zu bringen, damit bei der Abtretung nichts fehle, was gemäss den Urbarien und Kaufverschreibungen vorhanden sein müsse.

Auseinandersetzungen wegen gegenseitigen Ansprüchen: Mit Hans-Jörg von Marmels wurde wegen der Ablösung der Herrschaft verhandelt. Etliche Tagungen in Feldkirch und Innsbruck sowie bündnerische Interventionen hatten die Streitigkeiten nicht beizulegen vermocht. Frankreichs Interesse war es ausserdem, Österreich alle denkbaren Hindernisse in den Weg zu legen. Hierbei waren auch die Salis behilflich, da die Kandidatur von Dietegen von Salis als Pfandinhaber von Rhäzüns von Österreich abgelehnt worden war. Man befremdete sich in Österreich daran, dass die von Marmels drohten, die Herrschaft Rhäzüns dem Bund feilzubieten, sofern die kaiserliche Majestät den Pfandschilling nicht zurückgeben werde. Die österreichischen Ansprüche gegen die Marmels waren folgende: Nachdem man Bartholomäus von Stampa bewilligt hatte, die Herrschaft zu übernehmen, sollten die Marmels die Zinsen und Gülten, die ihre Vorfahren oder sie von der Herrschaft „versetzt, verwendet und noch nicht dazugelöst“ hatten, wieder zurücknehmen. Ferner sollten die Zinsregister samt den brieflichen Urkunden an die tirolische Kammer geschickt werden, damit man wisse, ob die Marmels an den Gülten viel oder wenig verdient hätten. Dazu wollte man erfahren, ob und mit welcher Bewilligung ihre Vorfahren oder sie in Rhäzüns gebaut hatten, damit bei Rückgabe des Pfandschillings keine Missverständnisse und unnötige Kosten entstehen würden. Dem von Marmel wurde zudem vorgeworfen, dass sie ihren Bericht erst am 6. Februar 1556 abgegeben hatten, obwohl die Abtretung und Übernahme von Rhäzüns am 13. Januar geschehen sollte. Dieses Verhalten habe nun dazugeführt, dass die Herrschaft von Stampa nicht übergeben werden konnte, so dass daraus grosse Unkosten entstanden seien. Österreich war jedoch bereit, den Marmels zu den 1000 Gulden, die aus Gnade bewilligt waren, weitere 1000 Gulden samt 7000 Gulden Pfandschilling zu erstatten. Jedoch sollten die von Marmels die Abtretung der Herrschaft gegen Erlegung der 9000 Gulden ohne Verzug vornehmen lassen. Sofern sich der Streit nicht mit 9000 Gulden gütlich beilegen liess, war man bereit, im Maximum 9500 Gulden anzubieten. Würde dies nicht ausreichen, so müsste man aber gemäss der Erbeinigung vorgehen und den Streit zur richterlichen Entscheidung bringen. Dank einer Vermittlung der III Bünde gelang es schliesslich, die Streitigkeiten des Marmels mit Österreich auf dem Bundestag zu Davos am 23. Oktober 1558 beizulegen. Kaiser Ferdinand hatte hierzu Bevollmächtigte, denen er feste Instruktionen zu den Verhandlungen gab, entsandt. Als sich auch mit Gewährung einer Abfindungssumme von 9500 Gulden keine Einigung erzielen liess, glaubte man ein Rechtsverfahren durchführen zu müssen, in welchem der Kaiser Kläger sein werde. Die Gesandten des Kaisers befürchteten aber in diesem Fall eine Beeinträchtigung der kaiserlichen Rechte, da die Richter des Marmels günstig gesinnt schienen. Dies veranlasste sie, die Instruktionen auf eigene Verantwortung zu überschreiten, um die Sache einem Ende zuzuführen. Dazu trieb sie auch die Haltung des Grauen Bundes, der keinem Pfandinhaber Sitz und Stimme auf den Bundestagen gewähren wollte, wenn Österreich keine Einigung mit dem Marmel treffen könne. Am 28. Oktober 1558 wurde endlich eine Abfindungssumme von 10`000 Gulden ausgehandelt, nachdem die von Marmels ihre Ersatzforderungen von 5000 auf 3000 Gulden herabgesetzt hatten. Diese Summe deponierte Dr. Planta am 21. November 1558 in der Stadt Chur. Angesicht der schlechten Vermögensverhältnisse der von Marmels und den zu befürchtenden Komplikationen mit dem Grauen Bund hat Österreich durch sein Nachgeben somit weit schlimmere Folgen verhüten können. 

 

Bartholomäus von Stampa

Vereinbarung zwischen B. von Stampa und der kaiserlichen Majestät: Die römisch-kaiserliche Majestät bewilligte Bartholomäus von Stampa die Ablösung der Herrschaft samt allem Zubehör gegen Erlegung des Pfandschillings von 10`050 Gulden. Wie die von Marmels sollte auch er die Herrschaft sein Leben lang innehaben, nutzen und geniessen können. Bartholomäus von Stampa seinerseits versprach 3000 Gulden Pfandschilling auf den 12. Januar 1555 zu bezahlen und diese Summe ein ganzes Jahr ohne Zins zu überlassen. Falls die Herrschaft ihm jedoch nicht bis zum 12. Januar 1555 übergeben werde – aus was für Gründen auch immer – sollte ihm die kaiserliche Majestät nach Ablauf dieses Jahres die vorgestreckten 3000 Gulden samt 10% Zins zurückbezahlen.

Widerstand gegen Bartholomäus von Stampa: Die Übergabe der Herrschaft verzögerte sich aus den bekannten Gründen. In einem Brief an die oberösterreichische Regierung in Innsbruck stellte B. von Stampa deshalb fest, dass er noch nicht in die Herrschaft eingesetzt worden sei, obwohl er den Pfandschilling von 7`300 rheinischen Gulden erlegt habe. Inzwischen hatte man aber österreichischerseits gefunden,dassB. von Stampanicht der richtige Mann für die Herrschaft Rhäzüns sei. Man befürchtete nämlich, dass er der kaiserlichen Majestät durch seine ungebührlichen Reden mit der Zeit zu grossen Schwierigkeiten Anlass geben könnte. Als man in Österreich noch dazu erfuhr, dass B. von Stampa zu den französischen Pensionären gehörte, da war er eine durchaus unhaltbare Person geworden.

In den III Bünden hatte Verwunderung geherrscht, dass B. von Stampa die Herrschaft Rhäzüns übergeben werden sollte, denn man wusste, dass Stampa nicht immer „bei rechter Vernunft“ war und so war man allgemein der Überzeugung, dass er die Herrschaft nicht lange besitzen könne, weil die Bauern ihn totschlagen würden. Die Bündner wollten ihm deshalb Sitz und Stimme im Oberen Bund und auf den Bundestagen nicht zugestehen. Aus verschiedenen Berichten geht hervor, dass man sich in Österreich Gedanken darüber machte, wer an die Stelle von Bartholomäus von Stampa treten sollte. Hans-Jörg von Marmels wurde als tauglich angesehen. Man bescheinigte ihm Beredsamkeit und dass er dem Hause Österreich nahe stehe. Bedenken ergaben sich aber wegen seiner prekären Vermögensverhältnisse. Man fürchtete, dass vieles von der Herrschaft „verkauft“und nicht mehr zurückgenommen würde. Auch Hans-Jörg von Marmels war bereit, die Pfandschaft wieder an sich zu nehmen, obwohl er nicht in der Lage war, 3000 Gulden Steigerung des Pfandschillings aufzubringen. Ein anderer Vorschlag ging dahin, einen Bruder von Bartholomäus von Stampa, der sich in Wien aufhielt, als Pfandinhaber einzusetzen. Man hoffte auf diesem Weg, Beschwerden mit den von Stampa zu vermeiden. Man dachte aber auch daran, Dr. Johann Planta, der Hauptmann im Veltlin gewesen war, als neuen Pfandinhaber einzusetzen. Schliesslich erklärte auch Dr. Hans Planta, ein Bruder des Kommissars, wenn die kaiserliche Majestät ihm die Pfandschaft erteilen würde, diese annehmen zu wollen.

Aus einem Bericht der Herrschaftsleute an die oberösterreichische Regierung vom 13. Juni 1556 geht hervor, dass sie sich weigerten, Hans-Jörg von Marmels Gehorsam zu leisten, denn es herrschte allgemeine Verwirrung darüber, wer nun Herr von Rhäzüns sei. Diese „Vakanz“ hatte auch Folgen für eine österreichische Kommission, die nach Rhäzüns gekommen war, um ein neues Urbar anzufertigen und Erkundigungen über die Güter der Herrschaft einzuziehen. Diese Kommission beklagte sich nämlich, dass sie ihrer Aufgabe nicht habe nachkommen können, weil die Herrschaftsleute die Zusammenarbeit verweigerten, bis ein Pfandleiher in der Herrschaft eingesetzt sei. Es galt somit, B. von Stampa zu bewegen, auf die Herrschaft Rhäzüns zu verzichten.

Bestreben Österreichs nach einer gütlichen Einigung: Dies geht aus einer Instruktion hervor, die an österreichische Kommissarien gerichtet worden war. Diese sollten, um Kosten einzusparen, die Sache gütlich und ausserhalb rechtlicher Erkenntnisse beilegen. Regierung und Kammer hatten deshalb B. von Stampa angezeigt, seinen erlegten Pfandschilling wieder zurückzunehmen. Dazu wollten sie ihn mit 3000 Gulden samt Zins von 10% zufrieden stellen. Stampa jedoch begehrte die Übergabe der Herrschaft und die Ersetzung seines erlittenen Schadens, den er vorerst auf 1200 und dann auf 1500 Gulden bezifferte. Dem Verlangen von Regierung und Kammer, den Schaden schriftlich einzugeben, kam Stampa nicht nach. Er berief sich auf die Erbeinigung und verlangte, dass ihm Rhäzüns übergeben werde. Darauf versuchten die österreichische Regierung und Kammer nochmals, neben Erlegung des Pfandschillings und des gebührenden Zinses, mit von Stampa einen Vergleich zu erzielen. In einer Instruktion vom 18. Februar 1558 an den Kammerprokurrator wird uns die österreichische Haltung in dieser Angelegenheit vor Augen geführt: Der Kammerprokurator musste wissen, dass Bartholomäus von Stampa von der oberösterreichischen Regierung 3000 Gulden, die mit 10% zu verzinsen waren, fordern konnte, falls ihm Rhäzüns nicht übergeben würde. Sollten die Verhandlungen aber so verlaufen, dass man sich gütlich vereinbaren könnte, hatte der Kammerprokurator von Stampa für Unkosten und Schäden 1500-1700 Gulden zu bewilligen. Sofern es die Sachlage erforderte, konnte der Kammerprokurator auch im Namen der oberösterreichischen Regierung den 1700 Gulden, ein, zwei und letztlich bis 300 Gulden dazugeben. Überstiegen die Forderungen diese Summe, so sollte der Kammerprokurator die genaue Höhe eruieren und an die oberösterreichischen Regierung und Kammer gelangen. Dem Kammerprokurator wurde ausserdem befohlen, allen Fleiss zu verwenden, um mit Bartholomäus von Stampa eine gütliche Einigung treffen zu können. Sollte begehrt werden, die von Marmels auf der Herrschaft zu belassen, müsse er auf dem österreichischen Begehren verharren. Falls dahin tendiert werde, die Herrschaft Rhäzüns weder mit Dr. Johann von Planta noch mit den von Marmels, sondern mit einer anderen – der kaiserlichen Majestät angenehmen Person – zu besetzen, und Stampa sich mit der Abfindung zufrieden gebe, müsse der Kammerprokurator darauf eingehen, nachdem er zuerst an die Regierung und Kammer gelangt sei. Sollte trotz allem menschenmöglichen Fleiss ein gütlicher Vergleich mit Stampa nicht zustande kommen, so hätte der Kammerprokurator alsdann das „Recht“ nach der Erbeinigung vor Obmann und Zusätzen zu vertreten. Alle diese Bemühungen fruchteten nichts, denn Stampa verharrte auf seinem Standpunkt und wollte nichts von einem Vergleich wissen. Diese Instruktion an den Kammerprokurator ist jedoch sehr aufschlussreich, als man daraus ersieht, wie sehr es Österreich daran lag, mit allen Mitteln eine rechtliche Austragung der Sache zu verhindern. Dies wurde nur als „ultima ratio“in Betracht gezogen.

Allianz zwischen Bartholomäus von Stampa und den Marmels

Es war höchste Zeit, die Herrschaft neu zu besetzen, da das Interregnum schon bedenkliche Folgen zu zeigen begann. Die von Marmels, die die Herrschaft interimistisch weiterhin innehatten, waren nicht in der Lage die Herrschaft zu führen. So drängten die Verhältnisse in der Herrschaft zur Neubestellung eines Pfandinhabers. Dr. Johann von Planta war bereit, die Pfandschaft zu übernehmen, da andere Bündner, wie Gregorius Carl von Hohenbalken und Dietegen von Salis als französische Pensionäre, ausser Betracht fielen. Die Verleihung der Herrschaft an Dr. Johann von Planta brachte B. von Stampa fast ausser sich. Er schlug Österreich deshalb vor, die Herrschaft weiterhin dem Marmels zu überlassen. Mit der erneuten Übergabe der Herrschaft an den Marmel wäre auch ihr Vetter Dr. Planta einverstanden gewesen. Aber auch die Herrschaftsleute beauftragten einen Gesandten, um Österreich zu demonstrieren, dass sie weiterhin die von Marmels als Pfandinhaber behalten wollten. Österreich überliess jedoch Dr. Johann von Planta die Herrschaft. Dies forderte die Marmels und Stampa heraus, so dass sie ihre Partikularinteressen vereinigten und gemeinsame Sache machten. Neben der Drohung, ihre Rechte an Rhäzüns dem Oberen Bund oder sogar an Frankreich abzutreten, schwenkten die von Marmels mit B. von Stampa ins französische Lager über.

Richterliche Entscheidung der Anstände

In Anständen zwischen Bünden und Österreich war die so genannte Erbeinigung massgebend, die am 15. Dezember 1518 zwischen Kaiser Maximilian und den Bündnern abgeschlossen worden war. Darin wurde auch das richterliche Verfahren in Streitfällen bestimmt. Zuständig waren die Gerichte im Lande des Beklagten, der im schiedsrichterlichen Verfahren auch den Obmann bestimmen durfte und folglich in einer günstigeren Position sein konnte. Die von Marmels und B. von Stampa wollten, auf Anstiften Frankreichs, die Angelegenheit in dem Sinne beeinflussen, dass dem Kaiser die Geduld ausging und er als Kläger vor den bündnerischen Instanzen erscheinen musste. Die österreichischen Gesandten, die in dieser Angelegenheit tätig waren, durchschauten aber die französischen Praktiken und rieten eher zum nachgeben. Sie wollten verhindern, dass die kaiserliche Majestät vor einem bündnerischen Tribunal, das von Frankreich beeinflusst zu sein schien, erscheinen müsse. Da eine gütliche Einigung zwischen den Parteien aussichtslos war, musste der Streit durch ein Urteil, das am 7. Juni 1558 erging, beigelegt werden. Der Entscheid enthielt folgende wesentlichen Punkte: Erstens war die kaiserliche Majestät nicht mehr verpflichtet, Bartholomäus von Stampa oder jemandem aus seinem Kreise, die Herrschaft zu übergeben. Zweitens wurde erkannt, dass die kaiserliche Majestät, 3000 Gulden mit 10% Zins vom 12. Januar 1555 bis auf den letzten Februar 1558, zu leisten habe. Drittens wurde entschieden, dass B. von Stampa 7300 Gulden Pfandschilling zurückverlangen könne, die mit 5% verzinst werden müssten. Dies vom 13. Januar bis März 1556.


Dr. Johann von Planta

Erwerb der Herrschaft: Im Jahre 1558 brachte Dr. Johann von Planta, dessen Einfluss in seiner engeren Heimat, dem Engadin, infolge seiner Abneigung gegen den neuen Glauben gebrochen war, die Herrschaft Rhäzüns an sich. Ferner kaufte er 1568 noch die Herrschaft Hohentrins dazu. Somit gebot er über den kommerziellen und militärischen Knotenpunkt der III Bünde. Zugleich war er der reichste Mann Rhätiens, was Hans Khuen, ein österreichischer Kommissar, veranlasste, an die oberösterreichische Regierung in Innsbruck zu schreiben: „Ich weiss bei meiner Seel jetzt in Bünden keinen Tauglichen, der dieser Herrschaft am besten vorstehen möchte, auch diesselbe wiederum zu Früchten brächte, auch in Bünden angenommen wäre. Allein Doktor Johann Planta, der ist des Vermögens den Pfandschilling zu erlegen, ist ein verständiger gelehrter Mann, und will nicht Zweifeln, er werde der römisch kaiserlichen Majestät treulich dienen, so ist er ein grosser Praktikus, der viel Gutes schaffen möchte“. So schrieb auch Kaiser Ferdinand an die oberösterreichische Regierung zu Innsbruck: „Wiewohl die Person Planta allerlei Bedenken gab, so ist er nach jetzt gehaltener Erkundigung in grossem Ansehen geliebt und angenehm und zur Versehnung von Razins und in ander mehr Weg uns nützlich und tauglich. So bewilligen wir auf berührt und zuvor und jetzt gegebenen Rat und Gutdünken dem Planta die Ablösung der Herrschaft Razins gegen Erlegung des Pfandschillings und der 3000 Gulden Steigerung“.

Gemäss Pfandbrief vom 2. Dezember 1558 erhielt Dr. von Planta für sich und seine Erben die Herrschaft mit Schloss, Gütern und Rechten, die bereits die früheren Pfandinhaber innehatten. Der Kaufpreis betrug 10`050 Gulden. Verschiedene Bestimmungen regelten die „Ausübung“ der Herrschaft: So war grundsätzlich jede Nutzung gestattet. Es gehörte dazu: „innehaben, brauchen, nutzen, niessen, besetzen, entsetzen". Diese umfassenden Befugnisse wurden aber mehr oder weniger stark eingeschränkt. So wurden, wie in früheren Verträgen, alle Bergwerke aus der Vereinbarung ausgeklammert. Zudem war Dr. von Planta zusammen mit den Herrschaftsleuten verpflichtet, bei der Bannung der Bergwerke zu helfen. Auch die Hoch- und Schwarzwaldungen gehörten nicht zu den Bestandteilen des Vertrages. Dr. Planta hatte ferner die Pflicht, Schloss Rhäzüns und alles, was dazugehörte, in gutem Zustand zu erhalten, damit „grosse Nachteile“ verhütet werden konnten. Reparaturen an Hauptgebäuden und grossen Gebäuden des Schlosses sollten auf Befehl und auf Kosten Österreichs gemacht werden. Was gemäss österreichischen Befehlen verbaut wurde, sollte unverzinst zum Pfandschilling geschlagen werden.

Weitere Bestimmungen enthielten Anregungen an Dr. von Planta, wie er sich gegenüber den Herrschaftsleuten zu verhalten hatte. So befahl man ihm und seinen Erben, alle österreichischen Untertanen, Zinsleute, Gerichtsleute und alle anderen, der Herrschaft und dem Schloss Rhäzüns Unterworfenen und Zugewandten, bei ihrem Rechten und alten Herkommen zu belassen. Speziell ermahnte man sie, gleiches Gericht zu führen, sowohl gegen arm als reich. Herrlichkeiten, Freiheiten, Dienstbarkeiten und Gerechtigkeiten, die zur Herrschaft gehörten, hatten sie, so gut sie konnten, zu schützen und zu schirmen. Sie durften diese weder verkaufen, verändern, noch erblich verleihen. Auch hatten sie dafür besorgt zu sein, dass keine Eingriffe gegen diese Güter erfolgten oder diese gar entzogen würden. Im Fall von Beschwerden hatten Dr. von Planta oder seine Erben an Statthalter, Regenten und Kammerräte der oberösterreichischen Lande zu gelangen. Auch durften sie sich nicht ohne deren Wissen und Befehl in Sachen, Verträgen oder anderen Handlungen, weder gütlich noch rechtlich, was Herrschaft und Schloss betraf, einlassen. Ansonst hatten die von Plantas all das zu tun, was getreue Inhaber einer solchen Herrschaft ihrem Herrn, der sich einen ewigen Wiederkauf vorbehielt, tun mussten. Obwohl der Brief einen ewigen Kauf auswies, hatten sich die Österreicher, wie schon ihre Vorgänger, einen ewigen Wiederkauf vorbehalten. Die Herrschaft Rhäzüns konnte von Österreich zu jeder Zeit, für die Summe von 10`050 Gulden, von Dr. von Planta oder seinen Erben zurückgekauft werden. Wiederkauf und Ablösung mussten aber ein Jahr vorher verkündet und die Summe Geld samt Baukosten in guter und gemeiner Landeswährung bezahlt werden. Die von Plantas aber hatten die Herrschaft und Schloss Rhäzüns mitsamt den Urbaren, Registern, brieflichen Urkunden, Recht und Gerechtigkeiten und allen anderen Sachen, die dazu gehörten und ihnen bei Antritt der Pfandschaft und später dazugebracht wurden, gehorsam und ohne Widerrede anzutreten. Sollten Dr. von Planta oder seine Erben ihre Gerechtigkeitenan der Herrschaft über kurze oder längere Zeit verkaufen wollen, so hatten sie diese zuerst Österreich anzubieten und ein ganzes Jahr die „Losung“ darauf zu lassen. Sofern Österreich kein Interesse am Kauf bekunden sollte, konnten die von Plantas ihre Rechte an solche Personen verkaufen, die den Österreichern genehm waren. Der Wiederkauf allerdings musste den Österreichern „in Ewigkeit“ vorbehalten sein. Beim Vergleich dieser Vereinbarung mit derjenigen zwischen dem Grafen von Zollern und Conradin von Marmels fällt auf, dass beide Male die Bergwerke nicht Bestandteil der Verträge sind, dass aber in jeder Vereinbarung der ewige Wiederkauf als wesentlichste Bestimmung vorhanden ist. Ein Unterschied zur zollerischen Vereinbarung besteht auch darin, dass Conradin von Marmels wenigstens formell ein Vorkaufsrecht beim Verkauf der Herrschaft an Dritte eingeräumt wurde, Dr. Johann von Planta und seinen Erben aber nicht.

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