18. Entstehung und Entwicklung des Christentums in den Pfarreien der Region

Macht, Religion und Politik: 2000 Jahre Christentum – eine Religion, die die Welt verändert hat: geliebt, gehasst, ersehnt, gefürchtet, Symbol von Gnade und Barmherzigkeit wie auch von Folter und Inquisition.01

Die herrschende Klasse allgemein und die Herrschaft von Rhäzüns im Besonderen geboten während acht Jahrhunderten über Territorium, Religion und Bevölkerung.02 Das Wappen mit den Reichsinsignien in der Pfarrkirche von Rhäzüns zeugt von der österreichischen Herrschaft von 1497 bis zur Mediation (Wiener-Kongress) 1815 (für Rhäzüns 1819).03 M.s.u. 22. Pfarrkirche Maria Geburt.

Was das Wesentliche des Christentums ist, woraus es eine seine nunmehr zwei Jahrtausende währende Kraft bezieht.04

-Vorerst allgemein aus heutiger Sicht über Jesus Christus von Nazareth
-Verkündung des Christentums in unserer Region durch Ritter Georg
-Vom Christentum zur Kultur – durch Kunstdenkmäler
-Bildliche Erklärung des Christentums in Rhäzüns
-Entwicklung von der Zeit des Ritters Georg bis zu den Pfarreien der Neuzeit
-Die Bedeutung und Wandlung der Kirche St. Georg
-Mittelalterliche Kunst in Rhäzüns
-Von der Rolle St. Georgs als Talkirche
-Kirchliche Einteilung
-Kapuziner-Mission
-Separationsurkunde vom 5. Febr. 1667
-Trennung der Pfarrei Rhäzüns–Bonaduz
-Kirche St. Paul / Schlosskirche bis ca. 1700
-Zum kirchlichen Verhältnis mit Sculms
-Vom Tannenbaum zum Christ- oder Weihnachtsbaum

Die Pfarrei Rhäzüns vom 18. Jahrhundert bis heute
-Volksreligiosität
-Die Pfarrherren
-Das 20. Jahrhundert
-Fronleichnam – Leib des Herrn
-Von ca. 1880 bis 1965 war die Fronleichnams-Feier (Sontgelcrest) quasi ein Dorffest
-Zur heutigen (2013) bescheidenen Fronleichnamsprozession
-Fest Maria Geburt (Patrozinium)
-Dorfbild – Sprache
-Die Kirchgemeinde: Entwicklung der letzten Jahrzehnte
-Pfarrherren in Rhäzüns
-Priester aus Rhäzüns
-Zusammensetzung des Kirchgemeindevorstandes ab 1960  

  
1938 Eingangs-Portal zur Kriche Maria Geburt bis 1973 (Sammlung chrsp.)


Eingangs-Portal zur Kirche St. Paul (Sammlung chrsp.)


Eingangs-Portal zur Kirche St. Georg (Sammlung chrsp.)


Vorerst allgemein aus heutiger Sicht über Jesus Christus von Nazareth
Wenn Jesus in der heutigen Zeit leben würde, wäre er ein Rebell, ein Freiheitskämpfer. Jesus erkannte, dass zur damaligen Zeit die herrschende Klasse das Volk nur ausbeutete. Den Pharisäern in Judäa, dem Präfekten Pontius Pilatus und den Gelehrten war Jesus ein Dorn im Auge. Sie verwendeten die heiligen Schriften als Machtmittel, während sie ihren Glauben aufbauten und auf den Messias warteten. Sie gingen davon aus, dass dieser Messias eine ebenso glorreiche Gestalt sein würde wie sie und in Form eines Kaisers kommen würde. Jesus jedoch war arm, zog durch die Täler und predigte den Menschen Nächstenliebe und die Liebe zu Gott. Er hatte keine strengen Regeln und gab die herrschende Klasse der Lächerlichkeit preis, weil er zeigte, dass Regeln und Gebote völlig überflüssig waren, wenn sie nicht gelebt wurden. Genau das fehlte ihm: Er betrachtete das fromme Leben der Gelehrten als Fassade. Zudem kannte er nicht nur die heiligen Schriften besser, er war den Pharisäern auch argumentativ überlegen. Nicht den Buchstaben aus den Texten sollten sie folgen, sondern ihren Herzen. Der Verrat an Jesus, der am Ende zu seiner Kreuzigung führte, beruhte vor allem auf Angst. Die herrschende Klasse sah, dass Jesus ihre Macht untergrub. So kam es, dass Jesus als Wanderprediger nur wenige Jahre unterwegs war.

Von Jesus selbst gibt es keine schriftlichen Überlieferungen. Alles, was wir heute über ihn wissen, stammt von seinen damaligen Anhängern. Es gibt deshalb auch viele, die der Meinung sind, es hätte Jesus nie gegeben. Abschliessend beweisen lässt sich das nicht. Egal ob sein Leben bloss eine erfundene Geschichte oder eine Tatsache ist: Seine Lehren sind zeitlos und somit immer noch gültig, genauso wie fast alle religiösen Texte.05      

 

Verkündung des Christentums in unserer Region durch Ritter Georg
Die Bedeutung des Namenspatrons für die Region wird in der Legende (die in der Kirche St. Georg bildlich dargestellt ist) wie folgt überliefert:
"Im 4. Jahrhundert floh der heilige Georg aus Italien und gelangte so nach Rhätien. Seine Widersacher entdeckten jedoch seinen Aufenthaltsort und schickten Bewaffnete aus, ihn zu fangen. Diese erspähten ihn eines Tages, wie er, auf dem Wege von Ems ins Domleschg auf der rechten Seite des Rheins, einen düsteren Wald durchschritten. Als der hl. Georg die Feinde sah, gab er seinem Pferd die Sporen; die Verfolger waren jedoch dicht hinter ihm. Gegenüber dem Schloss Rhäzüns, da wo eine schroffe Felswand himmelan steigt, rettete das Pferd den heiligen Georg durch einen kühnen Sprung auf das linke Rheinufer. Die Verfolger erkannten in der unmöglich erscheinenden Rettung das Walten einer höheren Macht und bekehrten sich zum Christentum. Zur Erinnerung an den wunderbaren Sprung des Pferdes des Heiligen erbauten sie eine Kapelle gegenüber der heutigen St. Georgskirche. Mauerreste davon habe man noch im Jahre 1850 gesehen. Beim heftigen Anprall auf dem harten Gestein waren aber dem Pferde sämtliche Hufeisen weggerissen worden. Lange Zeit wurden diese Hufeisen im Schlosse Rhäzüns als Reliquien aufbewahrt. Später wurden sie an das Portal der St. Georgskirche angenagelt“.Zusammenfassung von: M.s.u. 56. Anhang: Verschiedene Geschichten.

Bemerkung: Der historische Stein (Crap Sogn a Peults) wurde wahrscheinlich 1886 im Zuge der Rheinkorrektion gesprengt.Das Fundament und die Mauerresten der kleinen Kapelle gegenüber der heutigen Kirche St. Georg am rechten Rheinufer, die im Jahr 1850 noch zu sehen gewesen waren, wurden wahrscheinlich durch die starken Unwetter vom Oktober 1868 durch Bergstürze, die am steilen Abhang immer wieder losbrechen, zerstört.3

 
Die Darstellung der Lebensrettung des Ritters Georg vom Rhäzünser Meister hinter der Kanzel der Kirche St. Georg zeigt die Begebenheit, die den Anlass zur Stiftung der Kirche gab. 

 

Vom Christentum zur Kultur – durch Kunstdenkmäler
Man kann Atheist sein, dem Christentum fremd gegenüberstehen und einzelne Ausgestaltungen dieser Religion für verwerflich halten, es ist aber nur sehr schwer vorstellbar, dass jemand unberührt bliebe vom mystischen Glanz einer byzantinischen Ikone, von der erhabenen Grösse der römischen Petersbasilika oder von der erschütternden Leidenslyrik der Matthäus-Passion des Protestanten Johann Sebastian Bach. Um sich die immense kulturelle Ausstrahlung der Kirche Christi augenfällig zu machen, genügt zunächst einmal die Vorstellung, dass aus London oder Neapel, aus Stockholm, Köln, der St. Galler Stiftsbibliothek (Weltkulturerbe) oder aus den Kirchen St. Georg und St. Paul sowie dem Schloss Rhäzüns alle christlichen Kunstdenkmäler verschwinden würden. Dies würden mit einem Schlag alle künstlerischen, literarischen und architektonischen Denkmäler aus den Kirchen, Museen und Bibliotheken entfernen, die in irgendeiner Weise christlichen Anregungen verdankt sind: ein entsetzlicher Kahlschlag, eine nie zu verschmerzende geistige Leere träte ein. Man kann vom Christentum nicht reden ohne dessen an die Wurzeln der Zivilisation zurückreichende Einflüsse zu nennen. Dabei geht die Hauptzielrichtung nicht von der Kultur zum Christentum, obschon dieses selbstverständlich zu allen Zeiten im Dialog mit den geistigen Strömungen gestanden hat, sondern vom Christentum zur Kultur.

 

Bilderverehrung: Im 2. Konzil von Nikaia (787) setzte sich die These durch, dass man Bilder ehren dürfe, auch jene des Gottmenschen Christus. Seitdem haben christliche Kirchen seit eh und je versucht, Kunst und Kultur in ihre Verkündigung einzubeziehen, bzw. ihr durch Kunst und Kultur leibhaften Ausdruck verliehen. Die christliche Weltanschauung gewinnt damit unter den Religionen eine einzigartige Weite und Aufgeschlossenheit für die Realität. Sie kann der Welt im Geist der Freiheit begegnen und muss nichts von vornherein ausschliessen und tabuisieren.

Die Darstellung des Schönen in allen seinen Gestalten und Ausdrucksweisen erweist sich also als zutiefst christliche Aufgabe. Darstellung meint aber nicht allein die künstlerische Repräsentation, sondern auch die theologische Manifestation der verborgenen Spuren des Göttlichen. Die christliche Kunst hat aus diesem Grund eine symbolische Komponente: Formen, Farben, Proportionen, Realien, Zahlen werden in einem Kunstwerk nicht nur, nicht einmal vorwiegend aus ästhetischem Interesse verwendet, sondern wollen verborgene Bezüge und Wirklichkeiten aufdecken.4

Bildliche Erklärung des Christentums in Rhäzüns
In ebensolcher Weise wurde auch in der Region von Rhäzüns durch die mittelalterlichen Wandmalereien in den Kirchen von St. Georg und St. Paul das Christentum bildlich erklärt. Im Sinne einer „Bibla pauperum“ (Armenbibel) führen einzelne Malereien mit Motiven des Alten sowie des Neuen Testaments aus der Mitte des 14. Jh. in der St. Georgs-Kirche auch einem leseunkundigen Publikum die Heilsgeschichte vor Augen. „Neutestamentlicher Zyklus“: Wandmalereien aus dem ausgehenden 16. Jh. in der Kirche St. Paul an der nordseitigen Schiffswand, dicht unter der Decke. Im Chorinneren lassen sich Figurenmalereien aus vier (Bau-)Etappen mit Heiligen, Klerikern, Rittern und Laien zusammenfassen.5

Entwicklung von der Zeit des Ritters Georg bis zu den Pfarreien der Neuzeit
Zur Talkirche von St. Georg gehörten ursprünglichdie Gemeinden Rhäzüns, Bonaduz, Ems und Rothenbrunnen. Noch kurz vor der Reformation in Bünden waren auch die Bewohner von Felsberg, Feldis/Veulden und Scheid nach St. Georg kirchgenössig. Die so genannte „Punt Sogn Hippolytus oder Punt da Veulden /Feldiserbrücke“ führte am Fusse des Georghügels über den Rhein. Von dieser Brücke ausgehend schlängelte sich ein Fussweg (der so genannte Trutg dil Gieri) durch den Wald hinauf nach Feldis. In der Südmauer der Kirche St. Georg befindet sich noch gut sichtbar eine zugemauerte Türe – genannt „la Porta da Veulden/ Feldiser-Türe“, durch die man ursprünglich das Schiff betrat.                                                                                                                                          

Die Bedeutung der Kirche St. Georg und deren Wandlung von einer Wallfahrtskirche für Pilger zu einer Wallfahrtskirche für Kunsthistoriker hängen vor allem mit den mittelalterlichen Malereien zusammen.

Mittelalterliche Kunst in Rhäzüns: An keinem Ort in Graubünden hat sich aus der Zeit des Spätmittelalters ein so reicher Bestand an Wandmalereien erhalten wie in der Gemeinde Rhäzüns. Das bekannteste Baudenkmal ist die Kirche St. Georg am linken Ufer des Rheins. Sie ist das seltene Beispiel einer im 14. Jahrhundert in Chor und Schiff vollständig ausgemalten mittelalterlichen Saalkirche nördlich der Alpen. Die Chorwände, das Chorgewölbe, die Chorbogenwand und die obere Nordwand des Kirchenschiffes hat der vom Kunstdenkmäler-Inventarisator Dr. Erwin Poeschel mit dem Namen ‚Waltensburger Meister‘ bezeichnete Maler in Frescomalerei geziert. Im übrigen Kirchenschiff sind die Wände vom ebenfalls namenlosen ‚Rhäzünser Meister‘ mit einer reichen Szenenfolge in Kalkmalerei geschmückt. Sogar am Äusseren dieser Kirche sind Fragmente von Wandbildern erhalten, nämlich eine Christophorus- und eine Georgs-Darstellung, wohl beides ebenfalls Werke des Waltensburger Meisters.

Ein beachtlicher Bestand hoch- und spätgotischer Wandmalerei hat sich in der Begräbnis- und ehemaligen Pfarrkirche Sogn Paul / St. Paul erhalten. Zudem sind im Zuge der Bauforschung bei der Gesamtrestaurierung 1988 bis 1992 bedeutende Neufunde gemacht worden. Die am südlichen Dorfrand gelegene Kirche hat daher ihre reiche Ausstattung aus fünf Jahrhunderten bewahren können. Die Wandmalerei umfasst die Zeit vom 13. bis zum 17. Jahrhundert. Die Holz- und Stuckplastiken der Altäre sowie die Leinwandbilder stammen aus dem 16. und 17. Jahrhundert.“                

Im benachbarten Schloss Rhäzüns finden sich zwei „profane Wandbildzyklen“aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. An der Westaussenfront ist eine „monumentale Bärenhatz“ gemalt. Im ehemaligen Festsaal im ersten Obergeschoss sind Szenen der Tristansage dargestellt, die dendrochronologisch ins letzte Viertel des 14. Jahrhunderts datiert werden können. Im Rittersaal (im vierten Geschoss des Turmbaues) eine Dekorationvon Hans Ardüser: an der NO-Wand Ranken und Rollwerk mit Tieren; auf der SO- und SW-Seite ein fortlaufender Fries von acht Wappen mit Überschriften.

Von der Rolle St. Georgs als Talkirche: St. Georg wandelte sich schliesslich – mit der Entstehung von Pfarreien in den umliegenden Gemeinden – zur Kirche der Pfarrei Rhäzüns-Bonaduz.6



Kirchliche Einteilung: In der Bistumseinteilung gehörte das Gebiet Rhäzünser Boden zum Dekanat Chur.7 Ems sowie Felsberg treten in den Urkunden von Anfang an als eigene Pfarreien auf. Von den Gemeinden der Herrschaft Rhäzüns nahm allein Felsberg – unter dem Einfluss des benachbarten Chur – um 1535 die Reformation an.8.


Stiftung Rätisches Museum. Siegel des Rektors resp. Pfarrers der Pfarrei Rhäzüns-Bonaduz mit St. Georg und Umschrift <<S(igillum) Ch(unrad)i Friding (us) rechtori(s) ecc(lesil)e i(n) B(e)n(e)dutz>>, 1. Hälfte 14. Jahrhundert, Messing. Durchschnitt 3,6 cm. Inv. Nr. V C 45. Im Rätischen Museum Chur ausgestellt.

Kapuziner-Mission: In den 30er-Jahren des 17. Jahrhundert wirkten Kapuziner-Patres in Rhäzüns. Es wird berichtet, die Kapuziner-Patres, die von 1626 bis 1628 Ems verwalteten, hätten nach der Abberufung von Pfarrer Otto de Castelmur nach Chur, auch die Pastorisation von Rhäzüns/Bonaduz übernommen. Bei den Kapuzinern in Ems handelte es sich um Pater Irineo Bartolinelli von Casalmoro und seinen Socius Domenico de Levrange. Weiter wird von einer Prozession nach Chur zum bischöflichen Hof berichtet, welche die drei Gemeinden gemeinsam an Pfingsten 1628 unternommen hätten – dies, um dem Gebetsaufruf des Papstes für den Frieden unter den christlichen Fürsten nachzukommen. Aufgrund der angespannten Stimmung zwischen den Konfessionen wünschten sich die Churer, dass die Prozession einen unauffälligen Rückweg durch die Stadt einschlage. Doch die Teilnehmer der Prozession zeigten sich nicht bereit, diesem Wunsch nachzukommen.9



Separationsurkunde vom 5. Febr. 1667
-Die Trennung der Pfarrei Rhäzüns-Bonaduz
-Die Kirche St. Paul wird als Mutterkirche (Schlosskirche) des Schlosses von Rhäzüns bezeichnet.
-Das kirchliche Verhältnis mit Sculms

Trennung der Pfarrei Rhäzüns-Bonaduz
Im 17. Jahrhundert erfolgte die Trennung der Pfarrei Rhäzüns-Bonaduz. Bildeten Rhäzüns und Bonaduz bis ins 16. Jahrhundert wirtschaftlich und kirchlich eine Gemeinschaft, so erfolgte bereits im Laufe des 16. Jahrhunderts die ökonomische Trennung. Die kirchliche Trennung folgte schliesslich am 5. Februar 1667.10 Die gesetzliche Regelung des Pfarrwahlrechts erfolgte ebenfalls am 5. Februar 1667. Die Dismembrationsurkunde (Abtrennungsurkunde) stammt unter anderen von10.1 Pfarrer Hieronymus de Mont (1614-1689) von Vella, Pfarrer von Rhäzüns 1662-1672 und Onkel des Bischofs Ulrich de Mont (1661-1692). Damit trennte sich Bonaduz von der Mutterkirche Rhäzüns und wurde laut Dismembrationsdekret zur selbstständigen Pfarrei erhoben; Errichtung der Namen-Jesu-Bruderschaft in der Pfarrkirche St. Paul.11  

„1. Die Abtrennung soll ohne die geringste Schmälerung der Pfarrpfründe von Rhäzüns geschehen;   2. Bonaduz hat ein Haus als Pfarrhaus zu errichten und dem Pfarrer genügend Brennholz zu liefern;   3. Am Sebastians-Tag müssen die Bonaduzer mit der Prozession nach der Mutterkirche St. Paul kommen und daselbst zu Gunsten des Pfarrers opfern;   4. Am Ostertag halten die beiden Pfarreien gemeinsam in St. Georg Gottesdienst, und das Opfer fällt dem Pfarrer von Rhäzüns zu; am Himmelsfahrtstage ist ebenso gemeinsamer Gottesdienst in St. Georg, das Opfer gehört aber dem Pfarrer von Bonaduz.“ 12

Ausserdem beanspruchte der Pfarrer von Rhäzüns bis 1834 den Kornzehnten in Bonaduz und unterstrich so die dominierende Rolle von Rhäzüns in der ehemaligen Doppelpfarrei. 

Kirche St. Paul / Schlosskirche bis ca. 1700
Die Pfarrkirche von Rhäzüns (und bis zum heutigen Tag auch Begräbnisstätte) wurde schliesslich die Kirche St. Paul. Wann genau dieser Wechsel erfolgte, lässt sich aus den Akten nicht mit Sicherheit rekonstruieren. Jedenfalls findet St. Paul erst in nachmittelalterlichen Quellen in dieser Funktion Erwähnung. Im Separationsbrief von 5. Februar 1667 wird St. Paul als Mutterkirche des Schlosses von Rhäzüns bezeichnet. M.s.u. 20. Kirche St. Paul / Baselgia da sogn Paul
 

Zum kirchlichen Verhältnis mit Sculms: In der Separationsurkunde vom 5. Februar 1667 steht auch etwas zum kirchlichen Verhältnis mit Sculms: Es war eigenartig, dass eine reformierte Gemeinschaft (Sculms) einer katholischen Pfarrgemeinde Zins zu entrichten hatte. Die Sculmser waren ungefähr in der Mitte des 16. Jahrhunderts zum neuen Glauben übergetreten. Da damals in Versam keine Kirche und Begräbnisstätte bestand und Sculms politisch und kirchlich zu Rhäzüns gehörte, mussten die Leichen vom Hofe nach Rhäzüns transportiert werden. Man will in Rhäzüns noch heute auf dem Friedhof von St. Paul die Stelle kennen, wo man die protestantischen Sculmser beerdigt habe. Nach dem Kirchenbau und der Erstellung eines Friedhofes in Versam anno 1634 dürfte Sculms mit Versam in Verbindung getreten sein. Es kaufte sich dann am 9. November 1676 für 100 Gulden in die Kirchenchöre ein.13 M.s.u. 36. Abtrennung von Sculms



Vom Tannenbaum zum Christ- oder Weihnachtsbaum
1770: Die Reformatoren machten den Tannenbaum zum Weihnachtssymbol der Protestanten, und es dauerte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, ehe er auch von der katholischen Kirche akzeptiert wurde. Weihnachtsbaum und Krippe vereinigten sich zum christlichen Symbol. Konfessionsübergreifend eroberte der Tannenbaum die guten Stuben der Welt.13.1



Die Pfarrei Rhäzüns vom 18. Jahrhundert bis heute (zeitlich geordnet)
Obwohl die Marienkirche im Dorf schon 1701 konsekriert wurde, blieb St. Paul bis 1777 die Pfarrkirche. Auch die Kirche St. Georg behielt ihre Bedeutung für die Pfarrgemeinden Rhäzüns und Bonaduz. Vor allem die Prozessionen nach St. Georg gaben dabei immer wieder Anlass zu Zwistigkeiten zwischen den beiden Gemeinden. 1737 vereinbarte man deshalb Folgendes: „1. Die Prozession nach Ems am Tage St. Mariä Magdalenä ist von beiden Gemeinden zu halten, jedoch nicht mit-, sondern nacheinander. Die Mutterkirche Rhäzüns kann den Wunsch äussern, ob sie zuerst gehen wolle oder nicht;   2. Am Feste des hl. Georg und am Mittwoch der Bittwoche gehen beide Gemeinden nach der St. Georgskirche, die erste Gemeinde zwischen 6 und 7 Uhr, die andere zwischen 7 und 8 Uhr. Rhäzüns hat die Wahl der Stunde;   3. Am Feste des hl. Sebastian gehen die von Bonaduz nach Rhäzüns, an der Kreuzauffindung 3. Mai die von Rhäzüns nach Bonaduz;    4.Am Marcustag sollen die Bonaduzer nach St. Georg gehen, dort die hl. Messe anhören und dann die Emser empfangen, inzwischen gehen die Rhäzünser nach St. Georg, feiern die hl. Messe und empfangen auf ihrem Gebiete die Emser und Bonaduzer und dann gehen alle drei Gemeinden hin (in der Kirche hatten sie wohl nicht alle Platz, Anm. Simonet);   5. Die Flurprozession hält jede Gemeinde für sich. Am Magnustag gehen die Rhäzünser nach Bonaduz;   6. St. Anna steht es den Rhäzünser frei, nach Bonaduz zu gehen oder nicht“ 14

Wie eine Agenda des Jahres 1754 im Rhäzünser Pfarrarchiv erzählt, hatten die beiden Gemeinden ein originelles Kommunikatiossystem entwickelt, um mitzuteilen, ob der gemeinsame Gottesdienst stattfinde oder nicht (etwa wegen grossem Schneefall): „Wird in Rhäzüns das erste geläutet, nachdem man zum Muttergottesoffizium zusammengeläutet hat, so ist es ein Zeichen, man gehe nicht. Wird das zweite aber geläutet, so bedeutet es, dass man hinausgehe“. Pfarrer Giusep Berther ergänzt dazu weiter: „Ein Überbleibsel davon haben wir heute noch, insofern in unserer Pfarrei beim Gottesdienst und bei den Prozessionen zweimal mit einer Glocke geläutet wird, bevor es zusammenläutet“.15

Aber auch nach den Vereinbarungen von 1737 kam es vereinzelt zu diesbezüglichen Auseinandersetzungen. 1759 fürchtete man etwa, dass es bei der Prozession nach Ems am Fest Maria Magdalena zwischen Bonaduzern und Rhäzünsern zu Ausschreitungen kommen könnte. So wurde vorgeschlagen, ein Jahr sollten die Bonaduzer, ein anderes die Rhäzünser allein diese Prozession machen.16 Zur Prozession an St. Sebastian (20. Januar) berichtet Johann Jacob Simonet: „Diese Prozession am Sebastianstag wurde abgehalten bis 1810. Wegen der grossen Kälte, die oft an diesem Tage herrscht, konnten viele Gläubige diese Prozession nicht mitmachen, dabei hörten sie auch keine Messe an diesem Tage an. Daher kam die Kirchgemeinde Bonaduz um die Erlaubnis beim Bischofe ein, die Prozession auf einen Sonn- oder Festtag des Frühlings verschieben zu dürfen; am Sebastianstag wolle man zum Ersatze zwei Rosenkränze beten, einen nach dem vormittägigen Gottesdienst, den anderen nach der Vesper.“ 17 Doch die Streitpunkte schienen damit noch nicht ganz ausgeräumt. Noch 1817 wandte sich der Pfarrer Johann Anton Castelberg von Rhäzüns mit scharfen Worten an den Pfarrer von Bonaduz und monierte, Bonaduz halte die Verpflichtungen der Separationsurkunde betreffend St. Sebastians-Prozession nicht ein.18

Die Kollaturverhältnisse (Pfarrwahlverhältnisse) in Rhäzüns im 18. und 19. Jahrhundert gingen auf die Separationsurkunde von 1667 zurück. Damals wurde entschieden, dass einmal der Bischof ganz frei den Pfarrer bestimmen könne und das andere Mal die Pfarrgemeinde das Präsentationsrecht habe. Diese Vereinbarung beruhte ganz auf freiwilligem Entgegenkommen seitens der Kurie. Die Nachbarschaft Rhäzüns ihrerseits erklärte 1730 ausdrücklich, dass der Bischof von Chur das Recht habe, den Pfarrer bis anhin frei zu wählen.19Noch im späten 19. Jahrhundert nahm man auf die damalige Vereinbarung Bezug „Der Pfarrer von Rhäzüns wird vom Bischof ernannt. Die Pfarrei Rhäzüns hat gemäss Erklärung der Gemeinde vom 20. November 1730 kein Präsentationsrecht. Dennoch ist es Brauch, dass der Bischof die Gemeinde eine Anzahl von drei oder mehr Priestern vorschlagen lässt und nach Möglichkeit aus dieser Liste einen auswählt“.20

Am 21. November 1893 hat die Kurie dieser Gewohnheit definitiv Rechtskraft gegeben und der Pfarrei das Recht zugestanden, jedes zweite Mal einen geeigneten Kandidaten vorzuschlagen (der vom Bischof bestätigt werden musste), während der Bischof die übrigen Male selber Kandidaten bestimmte.211907 wünschte sich die Pfarrei für immer das Präsentationsrecht. Schliesslich kam die Wahl des Ortspfarrers ganz an die Kirchgemeinde. Im Zusammenhang mit der Totalrevision der Kirchgemeindeverfassung im Jahre 1982 heisst es dazu: „Die Wahl des Ortspfarrers in den Gemeinden wurde mit der Unterzeichnung der Vereinbarung zwischen dem Diözesan-Bischof und der Verwaltungskommission neu geregelt. Demnach steht die Wahl des Pfarrers stets den Kirchgemeinden zu. Die Regelung für Rhäzüns entfiel demnach automatisch.“ 22



Volksreligiosität


Das Religionsverständnis bis ins 19. Jahrhundert war von Vorstellungen geprägt, die sich stark von unserem rationalen Denken unterschieden. Ein Beispiel dafür sind die Legenden, Sagen oder Heiligengeschichten, wie wir sie schon im Zusammenhang mit der Kirche St. Georg kennen gelernt haben. Für die Kirche St. Paul ist eine Sage aus der Zeit der Hexenverfolgung überliefert: M.s.u. 9. Volkstümliches: Sagen, Märchen und Legenden23 Typische Dokumente aus der Zeit des Barocks sind etwa die „Authentica Reliquie“ (Echtheitszertifikate für Reliquien). Dazu ein Beispiel, das die Reise einer Reliquie dokumentiert: „Gaspar, Bischof und Kardinal, Generalvikar des Papstes für Rom, übergab dem P. Jacobus Laderchi aus der Kongregation…(?) den heiligen Leib (?) des Märtyrers Pius aus der Callistus- Katakombe in einer hölzernen Kapsel, rot verschnürt und versiegelt. Das bezeuge ich mit meiner Unterschrift und meinem Siegel, 1704“. Und auf der Rückseite steht zu lesen: „Ich habe die genannte Reliquie dem hochwürdigsten Herrn Canonicus Johannes Peterelli, Pfarrer in Rhäzüns, Diözese Chur, für die Pfarrkirche Rhäzüns der seligsten Jungfrau übergeben, entsprechend den mir verliehenen Vollmachten. Rom, 13. September 1704, J. Laderchius“. Sowie: „Ulrich, Bischof von Chur. Wir haben die Reliquie des hl. Martyrers Pius geprüft und erlauben, sie öffentlich zur Verehrung auszustellen. 25. März…(?). Ulrich, Bischof von Chur“.24

Weiter sind zahlreiche Ablassbriefe aus dem 18. Jh. vorhanden, so etwa von Papst Pius VI. aus dem Jahr 1775: „Der Priester, der während der Oktav von Allerseelen oder an einem beliebigen Montag während des Jahres am Hochaltar (?) eine Messe für einen Verstorbenen der Namen-Jesus-Bruderschaft liest, gewinnt einen Ablass, der diesem Verstorbenen im Fegfeuer zugutekommt“.25

Viele Quellen legen Zeugnis von der Volksreligiosität und deren Wandel durch die Jahrhunderte ab. So etwa ein Schreiben des kaiserlichen Administrators Johann Baptist Wenser  aus dem Jahr 1724, in dem er der Kirche von Rhäzüns 100 Gulden vermacht, mit der Bedingung, dass „jetzt und zu ewigen Zeiten vor dem Bilde oder Altar des heiligen Johannes Nepomuk an 2 Tagen in der Woche ein Licht erhalten werde“.26Wohl ähnliche Absicht verfolgten die „Erben der Mistarlessa Caminada“ im Jahr 1838, als sie für ein Muttergotteskleid den Betrag von 30 Florin spendeten.27 In diesem Zusammenhang sind auch die Stiftsmessen zu erwähnen, deren zahlreiche Verzeichnisse vom frühen 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit reichen. 1819 wurde etwa für den 1817 verstorbenen Pfarrer und Dekan Johann Baptist Jörg laut seinem Testament eine ewige Messe (ewiger Jahrtag) gestiftet: „Der unterem 28ten Februar 1817 mit Tod abgegangene hochwürdige Herr Dekan und Pfarrer zu Razins verordnete durch §6 seines Testaments, dass ein ewiger Jahrtag für seine Seele, und zwar allemal am Florinusfest, gehalten werden solle, und widmete als Fond hierzu die Wies Curteun oder im Auslösungsfall den Wert  davon“.28

Aufschlussreiche Dokumente über moralische Vorstellungen einer Zeitepoche bilden nicht zuletzt Rechtssätze. In einem vom Schiedsgerichtdes Oberen Bundes vereinbarten Vertragzwischen der kaiserlichen Verwaltung von Rhäzüns undden vier Herrschaftsgemeindenaus dem Jahr 1721 heisst es etwa: „Sodann soll ein jeglicher, so in nachfolgende Frevel verfiele, taxierte Bussen bezahlen als nämlichen: Von gemeinen fluchen und schwören jedes mal 1 Pfund um Gottslästern und schweren Flüchen aber höher und je nach Erkantnuss einer Ehrs. Oberkeit; Um ausgestossene Schmach- und Schandwort, so einer nicht gütlichen Wandel thun wollte, solle er 1 Pfund und weiters nach Beschaffenheit der Sachen, und Erkantnuss einer Ehrs. Oberkeit verfallen seyn. Um Ungehorsames Willen in Erscheinung so einen von Obrigkeit gebotten wird jedesmahl ½ Pfund. Um Schlagens-Willen mit der Faust, so nicht Blutrüstig, sondern nur Blaumasig wird ½ Pfund, so einer aber Blutrüstig, oder eine Wunde gemacht wird, solle der Thäter 2 Pfund bezahlen oder noch mehreres, je nach Grösse und Beschaffenheit der Wunden und Erkantnuss der Ehrs. Oberkeit. Wann einer den Ammann und den Geschwornen schiltet mit Worten, sollte er wegen dem Ammann 4 Pfund und wegen eines Geschwornen 2 Pfund Straf verfallen seyn. Vor einen begangenen Ehebruch solle jedwedere Persohn Straf geben 16 Pfund. Vor eine symple Hurerey 8 Pfund. Wann einer einen vor Gericht schlaget ist er verfallen 4 Pfund und so einer den andern vor Gericht schändet und schiltet 2 Pfund. Wann einer jemand auf der Strasse anfallet und schlaget solle er Buss geben 2 Pfund so einer jemand im Haus angreift und schlaget 4 Pfund.“ 29

Einen weiteren Aspekt zum Thema Volksreligiosität bilden die zahlreichen Bruderschaften, die im Pfarrarchiv belegt sind. Bruderschaften waren kirchlich anerkannte Vereinigungen (meist von Laien), die freiwillige Werke der Frömmigkeit (vermehrter Gottesdienstbesuch, besondere Gebete, Busswerke) und sozial-caritative Dienste ausübten.30 In Rhäzüns lassen sich folgende Bruderschaften bis ins 18. Jh. zurückverfolgen (mit Angabe der Belegstellen): Bruderschaft des Allerheiligsten Namen Jesu(Rechnungsablage 1680 von Pfarrer Muggli; erwähnt 1715; Mitgliederverzeichnis frühes 18. Jh. sowie 1908-24); Rosenkranzbruderschaft (Gegründet 1703; weiterer Beleg 1705; Mitgliederverzeichnis 1704 sowie 1760-1925); Guttodbruderschaft (Gegründet 1720; Mitgliederverzeichnis 1756-1923; 1767 Vollkommener Ablass bei der monatlichen Aussetzung des Allerheiligsten; 1827 Liste der Mitglieder, für dieeine Messe zu absolvieren ist)

Doch auch im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert waren Bruderschaften, Kongregationen und kirchliche Vereine Bestandteile der Volksreligiosität: Bruderschaft der heiligen Familie von Nazareth (Mitgliederverzeichnis 1897); Jungfrauenkongregation (Gründungsurkunde 1933); St. Luzius-Verein Domleschg-Imboden (Mitgliederverzeichnis aus Rhäzüns 1933); Solidarität christlicher Mütter (Mütterverein, Gründungsurkunde 1933, Mitgliederverzeichnis o. D. 1945 Anschluss des Müttervereins Rhäzüns an die Erzbruderschaft in Einsiedeln) Gebetsapostolat (1936 eingeführt, Mitgliederverzeichnis o. D.)31

Einen interessanten Nebenaspekt der Bruderschaftslisten bilden die genealogischen Angaben, die darin enthalten sind. Auch Ehedokumente, Messstiftungsurkunden, Taufbücher, Testamente, Zinsbücher und Pfarrkinder-Verzeichnisse enthalten wertvolle Informationen für die Familienforschung. Im Rhäzünser Pfarrarchiv sind die Taufbücher fast lückenlos ab 1649 vorhanden. Die Zinsbücher (Rodel), welche die ältesten Originaldokumente im Rhäzünser Pfarrarchiv überhaupt darstellen, reichen gar bis 1626 zurück und listen die Abgaben ebenfalls nach Familien auf. Von heute aus zurückgerechnet lassen sich so die Pfarrkinder von Rhäzüns über 10-15 Generationen zurückverfolgen.32 Es gibt auch eine Liste mit den Geschlechtern von Rhäzüns. M.s.u. 40. Entwicklung der Wohnbevölkerung von 1139 bis 2014



Die Pfarrherren
Was aus den Quellen über ihre Tätigkeiten hervorgeht: Die Akten berichten von den alltäglichen Geschäften des Pfarrers. Was damit alles gemeint sein kann, belegen etwa die stichwortartigen Notizen von Pfarrer J. Simonet an seinen Nachfolger Pfarrer Chr. Jac. Winzap aus dem Jahr 1942: „Mütterverein, junge Bräute, gute junge Mütter; Jünglingsverein, Versammlungen, Aufklärung, Fahne; Kongregationen; Apostolat; Schule; Volksverein … vortragsmüde; Schule … Unterricht, Lehrer, Schulrad; Kleinkindergarten … Defizit; Tuberkulosenfürsorgestelle; Sonntagsopfer; Gemischte Ehen; Kranke, Krankenkommunion; Mesmer; Kirchenvögte; Schlüssel; Beerdigungen; Messas perpetnas; Archiv; Wirtschaften; Unangenehmes, z. B. Jäger am Gottesdienst, Beichthören, hl. Kommunion; Bevölkerung, Arbeiter, Bauern, Fremdarbeiter; Sonntag; Raiffeisenkasse; Schützenverein, Skiclub; Pfarrblatt; Garten, Obst; Am weissen Sonntag nachmittags mit den Kindern nach St. Georg; Gesangsbuch Cecilia; Hochzeiten, Brautunterricht; Protestanten; Pfarrbrief.“ 33

Vom Besuch des Bischofs in der Pfarrei berichten so genannte Pastoralvisitationen. Ein solcher Brief ist für Rhäzüns aus dem Jahr 1761 überliefert. Darin erwähnt Bischof Joh. Bapt. Ant. von Federspiel die Firmung, die er in der Pfarrei vorgenommen hat; die Aufgaben der Geistlichkeit werden nochmals umschrieben; von der Umsetzung der tridentinischen Reform ist die Rede; in Bezug auf die Pfarrkinder werden im Speziellen die Ehen thematisiert und im Weiteren ist davon die Rede, dass das Beinhaus bei St. Paul repariert werden soll.34

Die zahlreichen Grundbucheinträge und Zinslisten zeigen, dass die Verwaltung des Kirchenbesitzes und die Einholung der Zinsen ebenfalls zu den Aufgaben des Pfarrers gehörten. Wurden die Güter der einzelnen Kirchen ursprünglich separat verwaltet, so erlaubte die Kurie 1859 die Verschmelzung der Vermögens-Verwaltung der Kirche.35 Bereits einige Jahre früher, nämlich im Jahr 1853, war – analog zu 1819 – der Auskauf der kirchlichen Zehnten erfolgt. Die früheren Abgaben wurden kapitalisiert, die einzelnen Pfarrkinder konnten selber wählen, ob sie nun den entsprechenden Zins bezahlen, oder sich aber durch Bezahlung des Kapitals ganz von den Abgaben befreien wollten.36 Pfarrer Vigeli Venzin befürwortete in einem Schreiben an das Ordinariat den Auskauf. Denn es sei „sehr lästig für den Pfarrer, jedes Jahr mit dem Mesner von Haus zu Haus zu ziehen und wie ein armer Bettler um die Abgaben zu bitten. Wenn man in gewisse Häuser eintritt, sieht man sofort die Armut und Misere, dass man nicht anders kann, als die Abgaben für ein weiteres Jahr zu schenken“. In anderen Häusern aber, wo die Leute die Mittel hätten, komme es häufig zu Komplikationen oder gar Prozessen, mit der Absicht, die Abgaben hinauszuschieben.37  

Nach dem Auskauf der Abgaben, aus denen auch der Pfarrer einen Teil seines Unterhalts gewonnen hatte, wurde die Entlöhnung der Pfarrherren zu einem immer wieder aufgeworfenen Thema. Ein Urbar von 1892 erwähnt ein zugesichertes Netto-Einkommen von Fr. 1`000.-. Dabei war es dem Pfarrer überlassen, ob er den Pfarrhof selber bewirtschaften oder dessen Verpachtung der Pfarrei überlassen wollte.38 1893 wurde, wie weiter oben schon erwähnt, die Entlöhnung der Pfarrherren auf Fr. 1200.- angehoben. Für das Jahr 1942 ist ein Lohn von Fr.3`000.- belegt. In den Jahren 1959/60 wurde der Mindestlohn gemäss bischöflichem Ordinariat auf Fr. 6`000-7`000.- veranschlagt; 1965 schliesslich auf Fr.10`000.- und 1974 laut katholischer Landeskirche auf Fr.20`000.- angehoben.39

Neben diesen allgemeinen und administrativen Angelegenheiten der Pfarrherren bieten die Akten zahlreiche Beispiele für Aktivitäten, die nicht immer alltäglicher Natur sind. In einem Brief aus dem Jahr 1811 teilte etwa ein Leutnant Maurizius Arpagaus aus Cumbel dem Pfarrer von Rhäzüns mit, dass ein von seiner Frau gesuchter Soldat in Barcelona als Deserteur erschossen worden sei.40 1812 war der Pfarrer als Schlichter eines Streits zwischen „menders“ (Junggesellen) von Rhäzüns und zwei Mädchen gefragt. Die Junggesellen hatten, wie die Untersuchung zeigte, „unter dem Einfluss von Wein (…) die zwei jungen Frauen, als diese an einem Sonntagabend von Bonaduz herkamen, aufgehalten und mit ihren Füssen in den Brunnen gestellt“.411837 wurde vom Dorfpfarrer Venzin eine Schätzung des Viehs von „Mistral“ (Landamman) Caminada vorgenommen.42 Danebenhatten die Pfarrer, wie im Archiv bezeugt, Testamente, Leumundszeugnisse und Schuldanerkennungsbriefe auszustellen, Inventare von Vermögen zu erstellen und bei Streit zwischen Privaten zu schlichten.43 Bei diesen Beispielen handelt es sich um Dokumente, hinter denen sich zum Teil tragische Schicksale verbergen oder die zum Teil aber auch einfach nur zum Schmunzeln Anlass geben. Zu letzterer Sorte gehört ohne Zweifel auch das „Memoriale“, das Pfarrer Johann Baptist Jörg 1809 zu Handen der Gemeinde einreichte: „Durch den Bau neuer Häuser und Wohnungen und Zuziehung fremder Haushaltungen, besonders in Entfernung des Dorfes, erwachsen dem jeweiligen Pfarrer immer grössere Last. Er erachtet deshalb als seine Pflicht, die Obrigkeit darauf aufmerksam zu machen, damit diesem Übel vorgebeugt werde: 1. Die schon aufgebauten Wohnungen sollen nach 20 Jahren geschleift werden, auch nicht gestattet sein neue auszuführen.   2. Sollten diese nicht vergrössert werden.   3. Könnten diese Bewohner zwar erduldet (werden), aber nicht als Gemeinde- und Pfarr-Angehörige.   4. Solle man keinen fremden Vagabunden oder Armen Dach und Unterschlupf geben, unter Verlust ihrer eigenen Wohnung.   5. Sollen sie sich christlich-katholisch aufführen, dem Pfarrer keinen Verdruss verursachen, ihre Kinder gut erziehen, sorgen für Unterweisung und Religionsunterricht.   6. Solle ein jeweiliger Pfarrer Klage führen müssen, solle die Obrigkeit ihm Hilfe und Beistand leisten.  7. In Betracht aber der Kirch betreffs Begräbnis, sollen sie für Brennwachs schadlos gehalten werden“.44

Eine Wichtige Rolle spielten die Pfarrer nicht zuletzt auch im Schulwesen. Eine Schule ist im Pfarrarchiv erstmals 1752 erwähnt 45. M.s.u. 6. Schulwesen / Schulhäuser




 

Das 20. Jahrhundert

Kirchenjahr / Prozessionen: Besonders wertvolle Quellen für volkskundliche Fragen stellen die so genannten Agenden dar. Dabei handelt es sich um Bücher oder Hefte, in denen die Pfarrer für sich und für Nachfolger lokale Bräuche, Jahresabläufe und dörfliche Besonderheiten notieren. Das älteste Dokument dieser Art stellt die Agende von Pfarrer Johannes Loretz dar, die im „Razinsischen Prunondt Buoch“ von 1754 aufgeschrieben wurde.46 Weitere solche Dokumente stammen von 1900 und aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wo das langsame Verschwinden vieler Prozessionen und Feste sichtbar wird. Im Folgenden soll als Beispiel die Übersicht der Prozessionen aus dem Jahr 1958 wiedergegeben werden: „Am Feste des Hl. Fabian und Sebastian ist um 8 Uhr Prozession nach St. Paul, nach der Rückkehr ist Hl. Messe in der Pfarrkirche. Maria Lichtmess jeweils am 2. Februar: Amt beginnt um 9.30 Uhr. Nach der Kerzenweihe Prozession um den Schulhausplatz, dann um die Kirche. Am Feste Pauli Bekehrung: Um 8 Uhr Prozession nach St. Paul und dort Hl. Messe. Am Palmsonntag: Prozession um den Schulhausplatz und dann um die Kirche. An diesem Tag beginnt das Amt auch um 9.30 Uhr. Die Palmen für die Prozession nimmt jetzt jeder selber in die Kirche mit. Die Palmen für die Äcker tragen die Buben in den Chor und legen sie dort auf den bereitgestellten Tisch. Nach dem Amt tragen sie sie heim und verteilen. Karfreitag: Am Abend um 8 Uhr Rosenkranz, dann Predigt und anschliessend grosse Prozession um das Dorf (damals Oberdorf - Sägestrasse - Hauptstrasse - Kirche; heutige Bezeichnungen: Via Baselgia -  Davitg - Resgia - Via Nova). Ostern: Nach der Vesper Prozession zuerst um die Kirche und dann Schulhausplatz. Das gilt auch für Weihnachten, Pfingsten und Maria Himmelfahrt jeweils 15. August. St. Georg: 5.15 Uhr Prozession nach St. Georg, dort Hl. Messe. Hl. Magnus: 6.30 Uhr hier Hl. Messe, 7.15 Uhr Prozession nach Bonaduz. St. Marcus: 5.15 Uhr Prozession nach St. Georg und dort Hl. Messe. Auf dem Hinweg Allerheiligenlitanei, auf dem Rückweg lauretanische Litanei. Nach einer kurzen Pause wird der Rosenkranz gemeinsam gebetet. (So auch bei den anderen Prozessionen)“

 "Prozession und Hl. Messe in der Pfarrkirche mit den Bonaduzern zusammen. – Am 2. Bittag. Hier ist Hl. Messe um 6.30 Uhr. 7.20 Uhr Prozession nach Bonaduz und Hl. Messe mit den Bonaduzern. – Am 3. Bittag 5 Uhr Prozession nach St. Georg, dort Hl. Messe. Am Feste Kreuzauffindung: 6.30 ist hier Hl. Messe. 7.30 Uhr Prozession nach Bonaduz. Am Feste XI. Himmelfahrt: Nach dem Amt grosse Prozession (Judagass, (heute Via Suro) bis zum Kreuz und dann über Campeun in die Kirche). Dabei werden die Felder nach Ritualen gesegnet."47



Hier zwei Andenken zur Erinnerung an frühere Volks-Missionen. Jedes zehnte Jahr fand früher in Rhäzüns eine Missionswoche statt: Die Missionare waren Kapuziner, die versuchten so viele Leute wie möglich mit ihren Predigten und Erzählungen über die Dritte Welt für sich zu gewinnen. Sie kamen ja wegen unserer Opfergaben. Der Auftrag der Kirche war und ist die Verkündigung der christlichen Botschaft unter Nichtchristen. Die Mission begann schon im Urchristentum. Seit der Völkerwanderung kam es zur Bekehrung der germanischen Stämme. Alle Religionen mit universalem Anspruch sind missionarisch. Darüber hinaus folgt das Christentum einer ausdrücklichen Mission, dem Befehl Christi.

 „Man hat einen Menschen noch lange nicht bekehrt, wenn man ihn zum Schweigen gebracht hat.“ (John Morley of Blackburn)   

   
Sammlung chrsp.

Fronleichnam: „Leib des Herrn“ /„Corpus Christus“
Fest der katholischen Kirche seit 1264 zur Verehrung der Eucharistie. Im Mittelpunkt des Hochfestes des Leibes und des Blutes Christi steht die Eucharistiefeier, in Erinnerung an die Einsetzung des Altarsakraments am Gründonnerstag, der wegen des Charakters der Karwoche keine grösseren Festlichkeiten erlaubt – aus diesem Grund wurde Fronleichnam am Donnerstag nach dem ersten Sonntag nach Pfingsten gefeiert.48



Von ca. 1880 bis 1965 war die Fronleichnams-Feier (Sontgelcrest) quasi ein Dorffest
Man kann annehmen, dass die Fronleichnamsfeier in Rhäzüns, wie auf den folgenden Photos zu sehen ist mit Pauken, Trompeten und Parade, um das Ende des 19. Jh. entstand, denn in dieser Zeit wurden die cumpagnia da mats cun  „parada“ (1895), der chor viril Baselgia (1896) und die sozietad da musica (1908) offiziell gegründet. Der Tambouren-Verein wurde erst 1955 gegründet. Die Vereine bestanden sicher schon vor ihrer Gründung in Ad-hoc-Form. Damit alles am Fronleichnamstag stimmte, begannen die Vorbereitungen schon Tage vorher, zum Beispiel das kunstvolle Flechten und Binden der meterlangen Kränze für die Kirche und die vier Aussenaltäre, das Schmücken der Häuser, das Verlegen des Grasteppichs auf der Strasse, das Fällen und Herbeischaffen von jungen Fichten und Buchen sowie die Schmückung derselben. Die Feierlichkeiten begannen am Abend vorher mit dem Zapfenstreich durch die „musica da Razén, ed ils Tambours“. Am Donnerstagmorgen fand im Anschluss an die hl. Messe als Höhepunkt die Prozession statt. Gedacht wird der katholischen Glaubenslehre, die besagt, dass Jesus Christus mit seinem Leib und Blut, mit seiner Seele und seiner Gottheit in Brot und Wein bleibend gegenwärtig ist. Aus diesem Grund steht auch eine Hostie, die unter einem „Himmel“ genannten Baldachin mitgetragen wird, im Mittelpunkt der Fronleichnamsprozession. Nach Ritualen Prozession zu den vier Altären. Vor dem Segen werden 3 "Vater unser" gebetet.49


1965: Fron​leich​nam​s​al​tar: Ers​te Sta​ti​on, Via Da​vitg, Haus​nr. 2 beim Brun​nen. (Samm​lung chrsp.)


1950 Dritte Sta​ti​on, Al​tar Via Ca​scha​ria Haus​nr. 1, Ca​sen​tie​ri-Ca​präz (Samm​lung chrsp.)


ca. 1950 Kreu​zung Via No​va, Ho​tel Rä​tus (Samm​lung chrsp.)


ca. 1965 Fron​leich​namspro​zes​si​on, Via Da​vitg

 

Zur heutigen (2013) bescheidenen Fronleichnamsprozession

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von 1962-65 wurde in der katholischen Kirche durch Papst Johannes XXIII. einiges verändert. Als Leitmotiv der Arbeit nannte er in seiner weltberühmten Rede, unter anderem, das Wort „aggiornamento“ („Heutigwerden, Verheutigen“); gemeint ist die sachgerechte Verkündigung des Glaubens in zeitentsprechender Ausdrucksweise.50 Daher wagte es auch der Rhäzünser Pfarrer der Jahre 1963 bis 1969 Anton Alig mit dem Einverständnis der Dorfbevölkerung anzuordnen, dass einige Traditionen und Gewohnheiten zu vereinfachen oder gar fallenzulassen seien, wofür einige Faktoren sprachen. So wurde unter anderem seit 1966 die ehemals pompöse Fronleichnams-Prozession in Rhäzüns auf eine ganz bescheidene Art und Weise durchgeführt. Der Prozessionsweg zu den vier Altären wurde gekürzt und auf einen Altar reduziert, nämlich jenen auf dem Schulhausplatz.51(Dies gilt bis zum heutigen Tag (2018).

Fest Maria Geburt (Patrozinium)

Nach der Vesper die grosse Prozession über Campeun und zurück über die Judagass (Via Suro).


1938 Via Cam​peun (Samm​lung chrsp.)


1936 Via Su​ro (Samm​lung chrsp.)


1938 Via Cam​peun (Samm​lung chrsp.)


Pho​to um 1938: Kreuz​trä​ger: Ru​dolf Ca​sen​tie​ri, Bu​ben von hin​ten nach vor​ne: Alois Hei​ni, Pi​us Ca​vie​zel, Gie​ri Tschalér, Phi​lip Ca​lie​zi, Al​fons Hei​ni, Isi​dor Ca​me​nisch,
Ri​chard Ca​me​nisch, Hans Spa​din (Ving​nas), Pau​li Hei​ni, Gia​cum Tschalér, Au​gus​tin Ca​me​nisch, Ge​li Fetz, Se​p​li Tschalér, Wal​ter Mai​er, Ste​fan Fetz, Al​bert Schnei​der,
Ar​mand Tschalér, Mar​tin Tschalér (Tu​or), Mein​rad Ca​vie​zel, Pau​lin Si​me​on, Gau​denz Si​me​on, Er​win Hei​ni, Lud​wig Tschalèr, Gi​on Cas​per Tschalèr (Samm​lung chrsp.)


Via Ba​sel​gia (Samm​lung chrsp.)


Via Ba​sel​gia (Samm​lung chrsp.)


Via Su​ro (da​mals Via Ver​sa​mi, auch Ju​den​gas​se ge​nannt) (Samm​lung chrsp.)


1938 Via Cam​peun (Samm​lung chrsp.)


1942 Via Ba​sel​gia (Samm​lung chrsp.)


1942 Via Su​ro / für​her Via Ver​sam (Samm​lung chrsp.)

Rosenkranzfest: Nach der Vesper Prozession über Campeun und zur Kirche zurück über Judagass/Via Suro. Im Anschluss an seine Prozessionsliste bemerkt Pfarrer Giusep Berther: „An Prozessionen fehlt es also nicht! Leider werden viele davon nicht gut gehalten. Früher sind die Bonaduzer an St. Sebastian nach Rhäzüns gekommen. Seit 1953 kommen sie nicht mehr. Auch die Predigt, die der H.H. Pfarrer von Bonaduz an diesem Tage in Rhäzüns hielt, gehört der Vergangenheit an. Dafür hält auch der H.H. Pfarrer von Rhäzüns keine Predigt mehr in Bonaduz am Feste Kreuzauffindung“.52 



Dorfbild – Sprache

Mit diesen Akten haben wir nun schon den Sprung ins 20. Jahrhundert vollzogen. Wie an anderen Orten auch entwickelte sich das Dorf Rhäzüns nun in beschleunigtem Tempo. Die bereits angesprochenen Dorfbrände um die Jahrhundertwende veränderten das Dorfbild stark. Die wachsende Bevölkerungszahl beschleunigte diesen Prozess noch. Darunter zu leiden hatte nicht zuletzt die romanische Sprache. 1850 waren von 508 Einwohnern 495 romanischsprachig. Und noch 1940 konnte Dr. Erwin Poeschel schreiben: „Die herrschende Sprache ist in dem beschriebenen Gebiet (Rhäzünser Boden) mit Ausnahme von Felsberg, wo sich das Deutsche völlig durchgesetzt hat, das Rätoromanische (…)“.53 Aus pragmatischen Gründen fand schon bald die deutsche Sprache vermehrt Verwendung. So heisst es etwa in der Agende von 1956: „Nach dem Pfrundbrief (1950) sollte die Predigt 2 Sonntage romanisch sein, dann 1 Sonntag deutsch, 2 Sonntage Romanisch usw. Für die Verhältnisse, wie sie jetzt in Rhäzüns sind, ist das nach meiner Ansicht zu wenig Deutsch, da viele hier ansässig sind, die nicht Romanisch verstehen, dagegen alle aber Deutsch. Gewiss, das Romanische ist zu halten, wo immer das möglich ist, aber (...) nicht auf Kosten der seelsorglichen Betreuung“.54



Die Kirchgemeinde: Entwicklung der letzten Jahrzehnte

Einen wichtigen Schritt in der jüngeren Geschichte der Pfarrei markiert der 14. Mai1960. Damals erfolgte nämlichdie Trennung der Pfarrgemeinde von der politischenGemeinde. Ab diesem Zeitpunkt besass die Kirchgemeinde auch eine eigene Verfassung.55 Über die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte berichten die Protokolle der Kirchgemeindeversammlungen und der Vorstandssitzungen detailliert. Ebenso lässt sich die jüngere Geschichte der Pfarrei aus dem Pfarrblatt (seit 1956) rekonstruieren.56 Ein paar zentrale Ereignisse dieser Zeit sollen hier thematisiert werden. Die Kirchgemeindeversammlung vom 2. Juli 1971 entschied mit 50 zu 9 Stimmen für die Einführung des Stimm- und Wahlrechts der Frauen in kirchlichen Angelegenheiten. Damit entsprach sie der (verglichen mit anderen Ländern stark verspäteten) Entwicklung, die sich in der Schweiz zu diesem Zeitpunkt auf politischer Ebene abzeichnete.

Von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der katholischern Kirche war das Zweite Vatikanische Konzil und die damit zusammenhängende Synode 72. Im Jahresbericht von 1975 heisst es dazu: „Als besonderes Ereignis im letzten Jahr gilt der Abschluss der Synode 1972. Die Synodendokumente sind nun erschienen. Diese Dokumente, durch grossen Eifer der Synodalen Entwicklung zusammengestellt, bilden nun die Grundlagen und Richtlinien für die Aktivität der Schweizer Katholiken. Einige unter uns werden vielleicht erwidern, ja bei uns ist die Kirche noch nicht in einer Krise. Wenn auch die Probleme in unserer Gemeinde noch nicht so offensichtlich sind, so müssen wir trotzdem zugestehen, dass doch einiges verbessert werden könnte. Zum Beispiel Priestermangel, Jugendprobleme u.s.w. Vieles könnte ohne grosse Anstrengungen positiver gestaltet werden. Dazu braucht es etwas mehr Mut, guten Willen und ganz besonders das gute Beispiel“.57

1981 (im Rahmen der Überarbeitung der Kirchgemeindeverfassung) erfolgte die Aufnahme der Gemeinde Feldis in die Kirchgemeinde Rhäzüns. Bis zur Inbetriebnahme der Luftseilbahn Rhäzüns-Feldis (1958) wurden die Feldiser Katholiken durch den Pfarrer der Kirchgemeinde Tomils betreut und waren auch rechtlich der dortigen Pfarrei zugeteilt. Seit 1960 hat der Ortspfarrer von Rhäzüns die Seelsorge von Feldis übernommen.58

Mit der Herausgabe des Kunstführers „Razén/Rhäzüns“ im Jahr 1977 (Neuauflage 1986) und der Inventarisation der beweglichen Kulturgüter (1987) wurden zwei wichtige kunsthistorische Projekte angegangen. Überhaupt bedeuten die zahlreichen Kirchen auf Gemeindegebiet und deren Erhaltung eine wichtige kulturelle Aufgabe (und häufig auch eine immense finanzielle Belastung …). Die Kirche St. Georg wurde um das Jahr 1961/62 renoviert. Am 20. August 1960 fand bei St. Georg ein grosses Volksfest mit Freilichttheater statt. Anlass dazu bot das „Millenari“, also die Tausend-Jahr-Feier der ersten Erwähnung der Kirche. 1964 wurde die Kirche unter nationalen Denkmalschutz gestellt.Nach Diebstählen in den 70er-Jahren wurden die wertvollsten Statuen mit Alarmanlage gesichert. Die Kirche St. Paul wurde 1979 unter kantonalen Denkmalschutz gestellt. Auch die wertvollsten Statuen und Bilder von St. Paul wurden mit einer Alarmanlage gesichert. Eine Gesamtrestaurierung erfolgte 1989-1992. Seit dieser Restaurierung wird die Kirche im Sommer auch wieder für die Samstagabend-Messe genutzt.

Indirekt ist es gerade auch der Marienkirche zu verdanken, dass die zwei Kirchen ausserhalb des Dorfkerns in ihrer ursprünglichen Bauart so gut erhalten sind. So heisst es von Seiten des kantonalen Denkmalschutzes: „Der barocke Neubau der Pfarrkirche Nossaduna (…)hat wohl umfassende Erneuerungen der mittelalterlichen Kirchen Sogn Gieri und Sogn Paul verhindert“.59 In diesemZusammenhang sei auch auf die Arbeit der Mesmer, der Organisten und nicht zuletzt der zahlreichen Pfarr-HaushalterInnen hingewiesen – Personen und Tätigkeiten, die in den archivierten Quellen nur allzu oft mit keinem Wort erwähnt werden. Ebenso wichtig für die Gestaltung der zahlreichen Feste im Kirchenjahr war und ist die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Dorfvereinen, so mit dem „Chor viril Baselgia“ (1896-1999), der „Cumpagnia da mats“ (1895-2016), der „Musica da Razén“ (1908–1974; 1981–2003), dem Tambouren-Verein (1934) und dem Ad-hoc-Chor.60

 
1992 Cumpagnia da mats mit der restaurierten und geweihten Fahne von 1901 (Sammlung chrsp.)

   

   

                     
Parduneunza (Sammlung chrsp.)

Die Probleme der Pfarreien sind in den letzten Jahren nicht kleiner geworden. Gerade das Thema Priestermangel macht sich in vielen Gemeinden bemerkbar. So wird auch Rhäzüns seit 1984 von einem Pfarrprovisor geführt – ein Novum, das nochmals den grossen gesellschaftlichen Wandel unterstreicht, der in diesem Streifzug durch die Jahrhunderte zum Ausdruck gekommen ist.

Schliessen soll die Abhandlung aber mit einem Blick auf die Kontinuitätslinien, die sich durch die Jahrhunderte ziehen. So zeigt sich etwa, dass Spiritualität und religiöse Gemeinschaft nach wie vor Grundbedürfnisse des Menschen sind, die sich in jeder Generation und in immer neuen Formen äussern und lebendig bleiben. Und die Kirche Maria Geburt? Trotz allen baulichen Änderungen in und an der Kirche und den vielen Generationen, die dort ihren Platz eingenommen und wieder verlassen haben – der Kelch, mit dem der Priester die Eucharistie und somit das zentrale Ereignis des christlichen Glaubens feiert, ist immer doch derselbe, den schon Joannes Peterelli am Anfang des 18. Jahrhunderts in den Händen hielt.61

Anhang: