16. Krankheiten: Pest, Spanische Grippe

Pest: Der schwarze Tod in Graubünden …

„Bewahre uns, O treuer Gott, vor Feuersgfahr und Wassernot und vor der Pestilenz, dem schwarzen Tod“. (Altes Gebet)

"Man zählte das Jahr 1314. Da drang nach Basel vom Rheine herauf die Kunde von einer schlimmen, ansteckenden Krankheit mit Hunger und Teuerung im Gefolge. Ob es schon die „leidige Krankheit der Pest“ war, wir wissen es nicht. – Doch sicher ist es, dass wenige Jahrzehnte später – 1347 – der grosse Sterbent folgte, der asiatische Beulentod."

"Da half nicht Flucht, noch menschliches Sorgen und Wissen, erfolglos zeigte sich die Messe, welche Papst Clemens eigens gegen den Tod gemacht, Gottes Erbarmen zu erflehen; den Eiligsten holte die Pest ein, des Stärksten wie des Weisesten spottete sie, und der Vornehme galt ihr gleichviel wie der Geringste, der Geistliche nicht mehr als der Laie, durch alle mitten hindurch schritt sie unbeirrt und mähte die Schwaden links und rechts zu Boden“. (Zitate von unbekannt)

Der tödliche Hauch der bisher unbekannten Krankheit drang aus den Siedlungen, deren feste Mauern sonst jedem Feinde Halt geboten hatten, hinaus in die offenen Dörfer des ebenen Landes, aber auch hinauf in die entlegensten Täler des rätischen Berglandes. Dem ersten Einbruch der verheerenden Krankheit zu Beginn des 14. Jahrhunderts folgten bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zwei volle Dutzend Seuchenzüge grössten Ausmasses.

Und was weiss Ulrich Campell, der Vater der bündnerischen Geschichtsschreibung, aus den Pestjahren 1550 und 1556 vom Wüten des schwarzen Todes in Chur zu berichten? „Im Jahre 1550 wütete die Pest in Chur in solchem Grade, dass in der Stadt, die doch nicht mehr als ungefähr 500 Haushaltungen hatte, über 1600 Personen starben. Im Jahre 1556 brach abermals die Pest aus, welche in Chur 1400 Personen hinraffte“.

Noch weit mehr als von den zeitgenössischen Chronisten erfahren wir aus den Überlieferungen des Volkes von der unheilvollsten aller damaligen Krankheiten. Da hört man vom Aussterben ganzer Dörfer, so von Schall (bei Almens) und Stürvis (sowie von Schiers und Davoser Sertig). Wir wundern uns nicht, dass angesichts der furchtbaren Opfer, die die Pest forderte, die Friedhöfe zur Bergung der Leichen nicht genügten und an vielen Orten Massengräber in ihrer Umgebung angelegt werden mussten.1

Rhäzüns: Die Rhäzünser blieben von dieser schrecklichen Pest nicht verschont. In den Quellen ist zwar nur ein Jahr, 1493, belegt, in dem die Pest in Rhäzüns wütete. Weil sich Rhäzüns aber am Nord-Süd-Transitweg befand und immer noch befindet, können wir annehmen, dass die Bewohner von Rhäzüns zwischen anfangs des 14. bis Mitte des 17. Jahrhunderts (wie dies oben im vierten Abschnitt angedeutet ist) mehrmals von Durchreisenden mit der Pest-Seuche angesteckt wurden. M.s.u. 56. Verschiedene Geschichten

Auf einige Geschichten über die Pest können wir dennoch zurückgreifen, mit Bezug z. B. zu Morè (heute Mulin sut), Murè els curtgins, Kirche St. Georg, Saulzas oder dem hl. Rochus auf dem linken Seitenaltar der Kirche St. Paul.2

Morè: Die Gegend, wo heute (1878) die Mühle und die Säge in Rhäzüns stehen, heisst Giu Morè (beim Gottesacker drunten). Dort begrub man vor (langen) Zeiten die an der Pest Verstorbenen.(Heute 2013 Via Mulegn sut)3.  M.s.u. 9. Volkstümliches: Sagen, Märchen und Legenden

Saulzas: Die kleine Barschaft aus einem Grab auf dem abgeplatteten Hügel „Saulzas Rhäzüns" erzählt viele Geschichten. Entdeckt wurde sie 1952 in einem von etwa 15 Gräbern auf dem Hügel. Man nimmt an, dass dieser Friedhof in den Pestjahren 1629-1631 angelegt wurde, weil der Friedhof um die St. Paul-Kirche übervoll war. Eigentliche Grabbeigaben waren um 1630 schon nicht mehr üblich. Wie also kamen diese Münzen ins Grab? Wurde eine Pestleiche samt Kleidung und Börse unberührt bestattet? Oder waren die Münzen in die Kleidung eingenäht? M.s.u. 8. Funde in Rhäzüns: Münzen, Siegel, Taler, Fragmente usw. 4

Kirche St. Georg: Zur Kirche St. Georg haben wir, was Pestseuchen anbelangt, nur mündlich überlieferte Informationen von unseren Vorfahren. Es war um die Mitte des 16. Jahrhunderts, als die Pestseuche die ersten Rhäzünser erwischte. Für die noch nicht Betroffenen ging es um Leben oder Tod. Etliche Familien, die sich noch gesund fühlten, entschlossen sich kurzerhand, mit Sack und Pack samt ein paar Stück Vieh die Flucht nach St. Georg zu ergreifen und richteten sich für längere Zeit in der Kirche ein. Es waren Familien mit den Geschlechtsnamen Tschalèr, Ca de sogn Gieri/Casentieri und Caluzi/Caliezi. Sie isolierten sich mit Erfolg und nach einigen Wochen oder Monaten kehrten sie vorsichtig nach Hause zurück, als sie dachten die Pestseuche sei vorbei. Es muss eine schreckliche Rückkehr gewesen sein, denn es überlebten nur wenige Leute von Rhäzüns diese Pestperiode.5 M.s.u. 40. Entwicklung der Wohnbevölkerung von 1139 bis 2014

Linker Seitenaltar aus dem 17. Jh. in der Kirche St. Paul, Hauptbild: in der Mitte Maria Immaculata, zu ihrer Linken der hl. Sebastian und zu ihrer Rechten der hl. Rochus (von Montpellier), Patron der Pestkranken. (Gut ersichtlich ist eine Wunde am rechten Oberschenkel).6 M.s.u. 20. Kirche St. Paul


Rochus, Kirche St. Paul, linker Seitenaltar (Sammlung chrsp.)

Der Zugriff und der Verlauf der Krankheit aus der damaligen Sicht

Der Zugriff erfolgte während der ersten Seuchenzüge immer fast blitzähnlich, der Verlauf der nachstehend verzeichneten Krankheitserscheinungen bis zum Eintritt des Todes ebenfalls in raschester Aufeinanderfolge. Die Pestärzte haben Beschreibungen der Abfolge der häufigsten Erscheinungen der ausgebrochenen Krankheit hinterlassen.

Es zeigten sich: Grosses Kopfweh und Schwindel; Ungewöhnliche Schwermütigkeit; Verlierung des Appetits; Erbrechen; Ohnmacht und Zittern des Herzens; Verlierung der Kräfte in wenigen Stunden; Inwendig grosse Hitze, auswendig Kältezittern, Durst; Geschwinden Puls; Veränderung des Gesichts – „sie sehen grausamlich – wie Tiere aus“; An einigen „Örtern“ des Leibs Blattern, Beulen, Geschwülste und eintretender Tod.

Ein aussichtsloser Kampf. Was verblieb geängstigten Menschen noch übrig, um sich des furchtbaren Leidens zu erwehren? Wohl nur dies: zu Mitteln Zuflucht zu nehmen, die sich zur Abwehr und zur Schmerzlinderung oder gar Heilung bekannter Krankheiten mit teilweise ähnlichen äussern Erscheinungen, wie sie die Pest aufwies, Zuflucht zu nehmen. Das heisst mit andern Worten: die bekannten Schutz- und Heilmittel des Volkes aus dem Pflanzen- und Tierreiche zu gebrauchen.7

 

Spanische Grippe

Einleitung: Vieles an Unmut, Verzweiflung und Auflehnung ballte sich in der zweiten Hälfte des letzten Kriegsjahres 1918 zusammen und machte sich in zum Teil heftigen Auseinandersetzungen Luft. Eine ungenügende Versorgung der Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen führte zu Unwillensäusserungen. Die Arbeiter- und Beamtenschaft erhob Klage über die Teuerung, die ihr Realeinkommen weit unter den Vorkriegsstand senkte. Es herrschte eine üble Stimmung, der sich auch die Behörden nicht zu erwehren vermochten. Vor allem lastete seit Mitte 1918 das Gespenst der Grippe auf der Bevölkerung.

Das quälende Übel suchte sich fortgesetzt seine Opfer. Es war eine ganz besonders gefährliche Form der Grippe. Ihre radikale Form führte bei den Angesteckten rasch zu Lungenentzündung, Blutzersetzung und zum Tod. Die Betroffenen wurden mitunter innert 24 Stunden dahingerafft, "des Morgens rot am Abend tot" , hiess es bald zu Stadt und Land, und die blau verfärbten Gesichtszüge der Opfer flössten so sehr Schrecken ein, dass in der Bevölkerung nicht allein das Wort Grippe umging, sondern der Ausdruck „Pest“ nicht selten war. Es gingen von Mund zu Mund Berichte über besonders beklemmende Einzelschicksale.

Die Sterblichkeit in der Bevölkerung war ganz unterschiedlich. Zum Beispiel: Der Bezirk Moesa etwa wies, gemessen an sämtlichen Sterbefällen von 1918, eine Grippen-Sterblichkeit von lediglich 11% und der Bezirk Imboden eine solche von knapp 12% aus, während der Bezirk Disentis von 41% Grippenstärblichkeit, der Kreis Remüs gar von über 51% und die Gemeinde Thusis von 46%. ausging etc.In der Schweiz: 744`000 Grippekranke, 25`000 Tote. Europaweit: mehr als 2 Millionen Tote. Weltweit: 25 bis 50 (nach einigen Schätzungen sogar 100) Millionen Tote.

Die Spanische Grippe war eine Pandemie, die zwischen 1918 und 1920 durch einen ungewöhnlich virulenten Abkömmling des Influenzavirus (Subtyp A / H1N1) verursacht wurde. Die Auswirkung der Pandemie ist mit dem Ausbruch der Pest vom Jahr 1348 vergleichbar, der seinerzeit mehr als ein Drittel der europäischen Bevölkerung zum Opfer fiel. Eine Besonderheit der Spanischen Grippe war, dass ihr vor allem 20- bis 40-jährige Menschen erlagen, während Influenzaviren sonst besonders Kleinkinder und alte Menschen gefährden.9

   
Gemeinde-Krankenhaus bis ca. 1930 an der Via Nova. Drei bis vier Schlafzimmer wurden für hilfsbedürftige, alleinstehende, kranke Mitbürger frei gehalten (Sammlung chrsp.)                                 

 

Die Hygiene wird entdeckt

Die Geburtshilfe im Wandel der Zeit

Die Mütter- und Kindersterblichkeit war hoch in der Zeit der aufkommenden Lehranstalten.

Viele Jahrhunderte lang war der Verlauf einer Geburt schicksalhaft. Krankheit und Tod wurden von Göttern oder Dämonen bestimmt. Medikamente und Eingriffe gab es so gut wie keine. Geburtsinstrumente wurden erst eingesetzt, wenn das Kind bereits im Mutterleib verstorben war. Deren Einsatz kostete die Gebärende häufig das Leben.

Hebammen galten als heilkundige Beschützerinnen der Frauen und wurden auch „Wehe-Müttern“ genannt. Die Geburt war Frauensache und überwiegend in ihrer Obhut. Männer wurden als Geburtshelfer oder Bader nur hinzugerufen, um das Leben der Mutter oder des Kindes zu retten, wenn Instrumente oder Eingriffe erforderlich waren. Hebammen gaben ihr Wissen in tradierter Weise von Generation zu Generation weiter. Als mündlich überliefertes Traditionswissen veränderte es sich nur wenig und unterschied auch nicht zwischen Theorie und Praxis. Es gibt aus dieser Zeit nur einige wenige von Hebammen verfasste geburtshilfliche Schriften.


1910: Krankenpflegekurs mit Pfarrer Blasius Platz vor neu erbautem Pfarrhaus (Sammlung chrsp.)