12. Rhäzünser Rheinauen

In den Rhäzünser Auen darf sich der Rhein auf einer Strecke von ca. vier Kilometern noch austoben, wie es ihm beliebt.


2005 Herbst,  von Sella sura Alp sut aus (Sammlung chrsp.)

Auf dem Bild gut sichtbar: die Verbindungsbrücke zwischen Plazza und Isla-Bella-Tunnel. Die Rhäzünser Rheinauen gehören zu den 27 national bedeutenden Auen in Graubünden.

Die Rhäzünser Rheinauen gehören zu den intaktesten Auenlandschaften der Schweiz und sind im Inventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) aufgeführt“.1

Zur Entstehung der RheinlandschaftAuf dem Bild zwischen dem Hintergrund Calanda und Vordergrund St. Georg und Schloss erkennt man die Hügel bei Reichenau (ils aults da Domat), die ursprünglich (vor 13`000 Jahren) mit den Bergsturzresten nördlich des Rheins zusammenhingen; einst stauten sich dort Gewässer zum Reichenauer See, der allmählich durch die Ablagerungen der beiden Rheine bis auf die Höhe der Rhäzünser / Bonaduzer Ebenen aufgeschüttet wurde. Mit der sukzessiven Durchsägung der ils Aults- Sperren schnitten sich die Flüsse in ihre eigenen Aufschüttungen hinein, was zur Gestaltung des heutigen Landschaftsbildes führte.2


1910 Rhäzünser Rheinauen mit Schloss und St. Georg. (Sammlung chrsp.)

 

Chronologie bis zur Aufnahme ins Aueninventar als Objekt 27:

2000 Jahre v. Chr. (Bronzezeit): Da schon in früheren Zeiten in verkehrsgeschichtlicher Hinsicht das Gebiet von Rhäzüns von grosser Bedeutung war, wird über dem Hinterrhein eine Brücke bei den „Rhäzünser Rheinauen“, südöstlich der Kirche St. Georg, vermutet.M.s.u. 2. Bergstürze, Geologie, Geographie u. Verkehrsgeschichte. 

1787 n. Chr. wird eine Inselwiese in der Mitte der Rhäzünser Rheinauen erwähnt.
Von 1777 bis 1787 war Georg Anton Vieli-de Mont Verwalter der Herrschaft Rhäzüns. In einer Biographie Vielis ist zu lesen: „Am Fuss des Felssporns, auf dem sich das Schloss Rhäzüns erhebt, dehnte sich, vom Hinterrhein umflossen, eine anmutige Wiese. Beständig drohte der Fluss, die Wuhrbauten zu durchbrechen und die sogenannte Inselwiese wegzuschwemmen. Im Frühling und im Herbst mussten die Wuhren immer wieder repariert werden“.4

1797: Erste Erwähnung der Mineralquelle Rhäzüns. Die Quelle entspringt südlich am linken Ufer der Rhäzünser Rheinauen, unweit des sogenannten Rhäzünsersteins (Tgeum da l`aura). Sie wird in einer Tiefe von 50 Metern gefasst. Das Mineralwasser kommt nach circa 18 Jahren mit einer Temperatur von 17,8°C in Rhäzüns an die Oberfläche. Das natürliche Mineralwasser wird in seiner ursprünglichen Reinheit abgefüllt. M.s.u.  45. Geschichte der Mineralquelle Rhäzüns. 

1940: Laut mündlicher Überlieferung aus früheren Zeiten muss eine zweite Mineralquelle im Gebiet unterhalb Gieri metg am Rheinufer bestanden haben.M.s.u. 45. Mineralquelle 

1939/45: Die Talsperre: Südlich der Rheinauen bei der Talenge, zwischen Burg Hochjuvault rechts und Tscheum da l`aura links, steht auf der rechten Seite die Talsperre und die Burg Hochjuvault aus dem 12. Jh. Diese wurde zwischen 2010 und 2012 vom Burgenverein zum Teil neu aufgebaut, repariert und restauriert. Mit Schautafeln wird die Burg- und Festungs- Anlage ausführlich dokumentiert. Parallel zur alten Talsperre aus dem 12. Jh. wurde im Zweiten Weltkrieg eine neuzeitliche Panzer-Talsperre, die beidseits des Rheins und durch diesen hindurch verläuft, erstellt. Damals wurde auf der Panzersperre eine Fussgänger-Holzbrücke gebaut, damit man über den Rhein gelangen konnte. Die Brücke benutzten nebst den Soldaten auch die Zivilbevölkerung sowie die internierten Polen, die tagtäglich auf der rechten Seite des Rheins den so genannten Polen-Weg erstellten.6

1947 bis 1987 wurde in Saulzas ein Kies- und Sandwerk betrieben. Da das abgebaute Material von Saulzas einen sehr hohen Feinanteil aufwies, wurde ab 1960 zum Ausgleich Kies (Schotter) aus dem etwa 35 m tieferen Flussbett des Hinterrheins gewonnen.M.s.u. 11. Saulzas: Vom Landwirtschaftsland über das Kieswerk zur Sportanlage

1959-1988: Die Trockengebiete im unteren Domleschg und die Rhäzünser Rheinauen werden ins Inventar der zu erhaltenden Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (KLN-Inventar) aufgenommen. Dieses Inventar gilt als verwaltungsanweisende Richtlinie, soweit die in ihm enthaltenen Objekte noch nicht im Bundesinventar der Landschaft und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) berücksichtigt worden sind.

1960: Die A13 der San Bernardino-Route wird Bestandteil des Nationalstrassennetzes. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Route durch die Rhäzünser Rheinauen. 

Damit verbunden war auch die Linienführung im Gebiet der Rhäzünser Rheinauen bis Thusis samt Anschlussbauwerken. Die offene Linienführung durch die Flussau mit verzweigtem Flusslauf wurde durch einen grossen Teil der Bevölkerung abgelehnt. Eine Intervention der Bevölkerung war notwendig aufgrund der Kontroverseum eine entweder möglichst billige Lösung mit offener vierspuriger Autobahn durch die Rhäzünser Rheinauen oder die Schonung des BLN-Objektes durch Tunnelvarianten. Die Talschaftsplanung Heinzenberg - Domleschg bekämpfte mit Unterstützung des Bündner Naturschutzbundes (heute pro Natura Graubünden) die geplante Linienführung und den Ausbau zu einer vierspurigen Autobahn.

1964: Erstes Projekt für die offene Linienführung. Die Kritik führte zu einem Variantenstudium.

1967: Einweihung und Eröffnung des San-Berardino-Tunnels.

1972: 30. Juni - Die Talschaftsplanung Heinzenberg - Domleschg, unterstützt durch Umweltorganisationen (Pro Natura Graubünden), veröffentlicht eine ausführliche Stellungnahme und einen Bericht zum generellen Projekt des Tiefbauamtes Graubünden. Sie lehnen die offene Linienführung ab.

1974: 19. August -Die Bundesräte Hans Hürlimann und Kurt Furgler nehmen in Begleitung von weiteren Vertretern von Bund und Kanton einen Augenschein vor Ort. Diese Begehung führt zur Prüfungweiterer Varianten und schliesslich zum Bau der Linienführung mit Plazza und Isla-Bella-Tunnel.

1983: Die Strecke mit dem 2,449 km langen Isla-Bella-Tunnel wird am Martinitag (11.11.) um 11Uhr mit Bundesrat Leon Schlumpf feierlich eröffnet und dem Verkehr übergeben.

„Heute gehört diese Auenlandschaft zu den wertvollsten Resten naturnaher Flussabschnitte in der Schweiz“. Ab 1988 sind die Rhäzünser Rheinauen auch im BLN aufgeführt.

1992: Aufnahme ins Aueninventar als Objekt 27.8


Sammlung chrsp.

Rheinauen – interessante Lebensräume

Es gibt nur ganz wenige Abschnitte des Rheins, die nicht begradigt und verbaut sind. Eine der wenigen Ausnahme sind die Rhäzünser Rheinauen. Es handelt sich um eine noch verbliebene natürliche Gewässerstrecke. Hier, im Übergangsbereich zwischen Wasser und Land, ist das fliessende Wasser die landschaftsformende Kraft. Wildnis und natürliche Dynamik sind in den Rheinauen noch erlebbar. Hochwasser und Perioden der Trockenheit, Erosion und Sedimentation sorgen für dauernden Wandel: Der Fluss ändert immer wieder seinen Lauf, überschwemmt Flächen, die zuvor trocken waren, zerstört Lebensräume und lässt neue entstehen. Diese Dynamik erzeugt die ausserordentliche Vielfalt (Biodiversität) an Arten und Lebensräumen, die wir in den Rheinauen vorfinden.


2010 von Siebel/Darnaus aus, Rhäzünser Rheinauen. Hier ist das fliessende Wasser die landschaftsformende Kraft. (Sammlung chrsp.)                                                                                                                              

Obwohl die Auen nur etwa 0,5 Prozent der Landesfläche der Schweiz einnehmen, bilden sie ein komplexes Mosaik extrem verschiedener Lebensräume. Gegen 1500 Pflanzenarten kommen in den Rheinauen vor. Auch die zoologische Vielfalt ist gross: Spinnen, Schmetterlinge (Gingsterbläuling), Libellen (blauflüglige Prachtlibelle), mehrere Stein-Köcher- und Eintagsfliegen, Bienen, Laufkäfer (Dünensandlaufkäfer) sowie Ameisen- und Heuschreckenarten nutzen die verschiedenen Auenbiotope.

Auch bei den Wirbeltieren ist die Artenvielfalt gross: Neun Fisch-, sechs Amphibien-, fünf Reptilien- und bis zu 80 Vogelarten leben heute am Alpenrhein in Graubünden. Rund 300 Säugetierarten finden hier mindestens zeitweise Lebensraum und Nahrung. Vor allem im Winter sind die Auen auch für Wilde Paarhufer günstige Einstandsgebiete.9

 

In den Rhäzünser Rheinauen entdeckt: Biber–Rückkehr nach 200 Jahren!

Die Tageszeitung Südostschweiz berichtete am Mittwoch, den 18. Juli 2012, folgendes: Zweiter Biber bei Rhäzüns entdeckt. Nach der Rückkehr des Bibers in den Kanton Graubünden im Jahr 2012 ist ein zweites Exemplar am Rhein bei Rhäzünsentdeckt worden. Dies bestätigte der kantonale Jagdinspektor Georg Brosi auf Anfrage. Der Biber ziehe nun flussaufwärts, so Brosi. Das erste Exemplar wurde 2008 am Inn zwischen Scuol und Pradella aufgespürt. Das letzte Mal hatte sich der Biber vor 200 Jahren in Graubünden niedergelassen. Dass das Nagetier nun zurück sei, spreche für die Erhaltungsmassnahmen im Kanton, sagte Brossi weiter. Der „neue“Biber dürfte aus dem Fürstentum Liechtenstein oder aus dem Kanton St. Gallen eingewandert sein.10 

   
2016: Spuren des Bibers beim Rheinufer am Fusse d. Val da spérts (Sammlung chrsp.)

 

Vom Wasser geformtes Ökosystem. Die Auen lassen sich in vier Zonen unterteilen:
Das Flussbett: Wird durch Wasser und Geschiebe häufig umgestaltet. Hier gedeihen nur Moose, Algen und eventuell weitere Wasserpflanzen.
Die Kiesflächen: Hier leben Pionierkrautpflanzen und Alpenschwemmlinge, die sich zwischen zwei Hochwassern rasch entwickeln und sich jedes Jahr neu ansiedeln können.
Weichholzauen: Sie siedeln sich auf den vom Fluss weiter entfernten Flächen mit Kies, Sand und Schlamm an. Baumarten mit weichem, leichtem Holz dominieren hier. In den Rheinauen typisch sind Erlen, begleitet von einer grossen Anzahl von Weidenarten und Sträuchern.
Hartholzauen: Sie werden nur noch bei Spitzenhochwasser mit Sand und Schlamm überdeckt. Ahorn, Esche, Ulme sowie Fichte und in tieferen Lagen auch Eichen gedeihen hier. In den Auen von Mastrils-Untervaz und im unteren Misox kommen auf hochgelegenen Kiesinseln mit durchlässigen Böden auch an die Trockenheit angepasste Lebensgemeinschaften mit Waldföhren vor.11


Rhäzünser Rheinauen vom Sibel aus (Sammlung chrsp.)