4. Entwicklung der Land- und Volkswirtschaft im 19. und 20. Jahrhundert (2. Teil)

< 1. Teil    3. Teil >

Die Entwicklung der Rhäzünser Landwirtschaft in Zahlen




1930: Giacum Anton (Tuni Caluster) Spadin (1907-1986) trainiert einen Jungochsen für das Zuggespann (als Zugtier) (Sammlung chrsp.)


1945: Julius Fidel Anton (Juli) Vieli- Dedual (1896-1968) beim Zehntenstall (Sammlung chrsp.)


1935: Veronica Spadin-Caliezi (1880-1963) Spetga sil curé (cumar) (Sammlung chrsp.)


Klein- oder Grossbetrieb: Vom Betriebstyp her gab es unter den Klein- und Grossbetrieben kaum Unterschiede, denn die grösseren wie auch die kleineren Selbst- versorgungsbetriebe waren alle vielseitig in der Haltung verschiedener Tierarten und verschiedener Kulturen ausgerichtet. Vor allem in den romanischen Gemeinden wie Rhäzüns und andere Dörfer in dessen Umgebung waren die Felder klein parzelliert, was den kleinen Selbstversorgungsbetrieben im Nebenerwerb entgegen kam, auch später bei der Erbteilung. Die einheimischen sesshaften Familien von Rhäzüns besassen fast alle ein paar Parzellen Boden sowie Haus- und Ökonomiegebäude, so dass die Selbstversorgung mehr oder weniger für Alle zum Leben genügte. Ansonsten wurden untereinander auch Tausch-Geschäfte gemacht. Für die Bürger-Familien, die kein oder zu wenig Land besassen, konnte die Bürgergemeinde auf dem Tarmuz einen Komplex von rund 13 ha an Bürgerlösern anbieten. Die Löser waren etwa 10 bis 15 Aren gross parzelliert. So konnten die Familien bei der Bürgergemeinde für eine Pacht von Lösern ein Gesuch stellen. Das Gesuch wurde geprüft und mit einigen Auflagen (gute Bewirtschaftung, Pachtzins etc.) konnte man für Fr. 5.- bis 10.- Pachtzins pro Los und Jahr pachten.

Da um die Mitte der 1960er-Jahre die Selbstversorgungsbetriebe sich nach und nach auflösten, wurde der ganze Komplex vom Tarmuz zu einem ortsüblichen Pachtzins an interessierte Bauern verpachtet. Die Eigentümer der kleinsten Betriebe besassen 1 bis 3 ha Land – etwas Ackerland für den Anbau von Kartoffeln und Getreide, einen Garten für den Gemüse- und Obstanbau sowie Wiesland. In der Tierhaltung wurden nur Nutztiere gehalten: Pferde, Rindvieh, Schweine, Schafe, Ziegen, Hühner, Kaninchen und Bienen. Für die grösseren Betriebe diente das Pferd als Zugtier, die Kleinbetriebe hielten einen Ochsen oder eine Kuh als Zugtiere. Man nutzte die Kuh vierfach aus, nämlich erstens als Zugtier-Gespann, zweitens für die Milch-Produktion, drittens für die Fleisch-Produktion und viertens für die weitere Zucht (die Kuh bringt jedes Jahr ein Kalb zur Welt). Familien, die eine Kuh besassen, waren mit Nahrung gut versorgt. Die Kleinbetriebe waren und sind heute noch stets auf Zuerwerb angewiesen.


Fam. Caduff-Camenisch, Via Baselgia (Sammlung chrsp.)

Jahrhunderte lang wurden Tiere nicht nur als Nahrungslieferant gehalten, sondern auch als Helfer des Menschen. Im Kanton Graubünden, mit den wichtigen Durchgangsrouten auf der Nord-Süd-Achse, wurden sie in grosser Zahl im Transportgewerbe eingesetzt. Seit dem Strassenbau waren es hauptsächlich Ochsen und Pferde für den Warentransport mit Karren und dann vor allem die schnellen Pferde für den Reiseverkehr, bis die Bahn 1896 und ab 1925 das Auto ihre Ablösung erwirkten. Auch wenn in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Pferd verstärkt eingesetzt wurde, änderten sich die Transport- und Arbeitsmittel erst mit der Motorisierung nach dem Zweiten Weltkrieg radikal. In den Bauperioden 1818-1823 (Kantonstrasse) und 1890-1896 (RhB-Linien) wurde sämtliches Material mit Tiergespannen antransportiert.


1948: Pieder Caminada, Transport mit Pferd nach Chur, Grabenstrasse (Sammlung chrsp.)


Photo Archiv C. Guler: So streng waren bis 1925 die Sitten auf den Bündner Strassen. Nur mit vorgespannten Pferde durften Autos zirkulieren. (Sammlung chrsp.)

Zeitzeugen berichten über die Entwicklung der Wirtschaft von 1880 bis 1920

Die Einwohnerzahl lag zwischen 500 und 550.

Nachfolge-Sicherung der hauptberuflichen Bauern: In Rhäzüns war es bei den Bauernfamilien Brauch, dass der älteste Sohn als Nachfolger den Bauernhof übernehmen sollte, wenn das Interesse vorhanden war. Wenn nicht, dann kam der zweitälteste oder drittälteste usw. in Frage. Er sollte eine Frau heiraten und Kinder bekommen. Für die anderen erwachsenen Kinder war es bei einigen Familien bis anfangs des 20. Jahrhunderts üblich, dass die Eltern mit anderen Eltern oder mit dem örtlichen hochw. Herrn Pfarrer über das Heiraten berieten, welche Kinder wen heiraten sollten und wen nicht. Den erwachsenen Kindern wurde das Heiraten nur empfohlen, wenn beide Elternpaare genug Vermögen aufbringen konnten oder wenn der (männliche) Anwärter eine Arbeit mit einem sicheren Einkommen verrichtete, das genügte, um eine Familie zu gründen. Allen, die kein oder zu wenig Vermögen hatten, empfahl man ledig zu bleiben, um die verheirateten Geschwister, anderen Verwandten und auch die Nachbarn zu unterstützen. (Es kam also Heiratszwang vor.)

Die Bäderkultur stand in der Jugendstil-Zeit um 1880 in Graubünden einst in Hochblüte, wie auch in der übrigen Schweiz ein neuer Wirtschaftszweig entstanden war. Vor allem Fremde entdeckten die Alpen als Erholungsraum und bereiteten damit den Weg für deren touristische Erschliessung. Nebst den Naturschönheiten entdeckte man verschiedenenorts Mineral- und Thermalheilquellen. Die Heilquellen – wie der Name schon sagt – wurden von Ärzten wegen ihrer Heilwirkung gegen alle möglichen Krankheiten empfohlen. Nun ging es nur noch ums Nutzen der Thermalheilquellen. Es entstanden Kurorte, die im grossen Stil aus den Heilquellen „schöpften“, – mit kompletten Hotelanlagen und Bade-Thermalheilstätten. Zur selben Zeit kamen wegen der gesunden Höhenluft (dies wurde zumindest behauptet) auch Höhenkurorte mit Sanatorien und Kliniken auf.

Die jungen Leute, die zwischen 1880 und 1914 auf Arbeitssuche waren, fanden zum Teil in ihrer Wohnnähe eine bisher unbekannte Arbeit. Anfänglich gab es vor allem auf die Sommersaison beschränkte Anstellungen, später allmählich auch im Winter mehr Arbeitsgelegenheiten. Diese neue Branche brauchte recht viel Personal, das zu dieser Zeit entsprechend gut bezahlt wurde. Viele Rhäzünsertöchter und -Söhne stiegen in die neue Kur- und Tourismusbranche ein. Zwischen den Saisonen kehrten die Saisoniers mit Geld nach Hause zurück und unterstützten die Eltern, Verwandten und zum Teil auch die Nachbarn nicht nur finanziell; sie halfen zwischen den Saisons mit Rat und Tat mit und engagierten sich im Sozialen, bis die nächste Saison wieder losging. Von den Vorfahren hörte man früher oft folgende zwei Sätze: „Familien, in denen ein Familienmitglied als Saisonier in der Hotellerie arbeitet, haben immer mehr Geld“. „Die ledig gebliebenen Kinder waren damals die Lebensversicherung der Eltern“. Einige junge Männer zog es in die Fremde, nach der deutsch- oder französichen Schweiz, auch in die nahen Länder wie Frankreich und in die norditalienischen Städte sowie nach Amerika. M.s.u. 39. Ein- und Auswanderung.

Entstehung neuer Arbeitsplätze in Rhäzüns für den Bau der Kantonsstrasse zwischen 1818-1823, sowie auch nachhaltend für den Unterhalt (Reparieren, Instand- stellen und Schneeräumung etc.).

1849: Gründung und Inbetriebnahme der Schweizerischen Post. Die Post brauchte Posthalter, Briefträger und Postkutscher, die sich zum Teil als Pferdetransport- Unternehmer selbständig machten.


Pferdepost, Ortschaft unbekannt

1870: Gründung und vor 1878 Inbetriebnahme einer Sägerei und Kornmühle durch Mauritius Theodorus Vieli-Pitz (1830-1900). M.s.u. 46. Dorfsägerei und Kornmühle

1896: Am 1. Juli 1896 erfolgte die Einweihung und Inbetriebnahme der Teilstrecke Chur – Rhäzüns – Thusis der Rhätischen Bahn (Via fier rätica). Den erhofften wirtschaftlichen Aufschwung spürte man bald bei den Anschlussstationen wie in Rhäzüns. Es gab nicht nur Arbeit während der Entstehung der Teilstrecke, sondern es blieben auch einige, ganz neue und nachhaltige Arbeitsstellen, so z. B. der Stationsvorstand, Bahnbeamte für den Unterhalt, Bahnkontrolleure, Bahnwärter, Kramper usw.

Es begann für viele Kleinbauern eine neue Ära, nämlich ein Zuerwerb beim Staat. Die Kleinbauern hatten einen verlässlichen Vertragspartner, der ihnen jährlich einen sicheren Verdienst einbrachte. Das waren zu dieser Zeit sehr begehrte Arbeitsstellen (so genannte Lebensstellen). Am Haus der RhB-Bahnstation Rhäzüns,  auf der Seite Richtung Geleise, steht folgender Spruch auf Romanisch geschrieben: „Lavur dat peun e honur“ / „Arbeit gibt Brot und Ehre“.


1903 RhB Rhäzüns (Sammlung chrsp.)

Für die Bevölkerung war es bis dahin unvorstellbar, am gleichen Tag mit der RhB bis nach Chur zur Arbeit oder zur Schule, hin und zurück, zu pendeln, wie auch die Vorstellung, am gleichen Tag nach Zürich und zurück reisen zu können. Das war ein grosser Fortschritt. Durch den Anschluss der RhB von 1896 wurden die Rhäzünser angespornt, die bestehenden Nebengewerbe zu expandieren und neue Firmen zu gründen. Man konnte von einem Tag auf den andern Material und Maschinen von weit her anliefern lassen. Umgekehrt konnte die Sägerei Schnittholz jeder Art weit über die Region hinaus versenden.17

Schicksalsschlag: In der Zeit, als die Wirtschaft am Aufblühen war, wurde die Rhäzünse-Dorfgemeinschaft durch schweres Brandunglück, nämlich zwischen 1898/99 und 1902/03 von vier Feuersbrünsten heimgesucht, nachdem sie ehedem seit Menschengedenken davon verschont gewesen war. Wo Glück und bescheidener Wohlstand gewohnt hatten, zogen nun bittere Nöte ein. Unverschuldet – aus unbekannten Ursachen und Gründen – sind viele Familien in Sorgen und trauriges Elend geraten. Total sind 35 Wohnhäuser und 32 Ställe, Scheunen und Nebengebäude niedergebrannt.

Laut ei​nem Zei​tungs​be​richt wur​den 71 Fa​mi​li​en und ca. 200 Tie​re ob​dach​los. Die ge​schä​dig​ten Leu​te hat​ten kaum Zeit, um dem ver​gan​ge​nen Glück nach​zu​trau​ern. Der Wie​der​auf​bau wur​de so​fort ein​ge​lei​tet. Je​de/-r half un​be​zahlt je​dem/-r. Die Be​völ​ke​rung rang sich das Äus​sers​te an Ein​satz ab, nebst dem Auf​räu​men der Brand​stel​len und dem Wie​der​auf​bau der Häu​ser und Stäl​le, muss​te auch die täg​li​che Ar​beit mit dem Vieh und auf dem Feld ver​rich​tet wer​den. Es konn​te nur der Rei​he nach mit dem Wie​der​auf​bau dort be​gon​nen wer​den, wo die Fi​nan​zie​rung zu​ge​si​chert war. Die ge​schä​dig​ten Leu​te be​ka​men nicht nur Hil​fe aus der Ver​wandt​schaft und Nach​bar​schaft, son​dern auch aus den Nach​bar​ge​mein​den. Für die Brand​ge​schä​dig​ten wur​de ei​ne Kol​lek​te ein​ge​lei​tet. Es gin​gen Spen​den aus der gan​zen Schweiz ein durch den „Hil​fe​ruf für die Brand​ge​schä​dig​ten von Rhäzüns“.18 M.s.u. 14. Feu​ers​brüns​te

1902: Im Jahr 1902 grün​de​ten die Ge​brü​der Ca​me​nisch, Sil​ves​ter Vik​tor und Jo​hann Pe​ter, ein Bau​ge​schäft. Die neue Fir​ma flo​rier​te von An​fang an, sie konn​te zeit​wei​se in den Som​mer-Mo​na​ten bis zu 80 Leu​te an​stel​len.

1902: Eben​falls im Jahr 1902 über​nahm Ja​cob Mi​chae​lis Fetz-Disch (1844-1912) käuf​lich die Sä​ge​rei und Korn​müh​le aus der Erb​schaft von M. T. Vie​li-Pitz. Spä​ter bau​te er sie wei​ter aus, mit ei​ner Schrei​ne​rei, Zim​me​rei, Stiel- und Kis​ten​fa​brik. Der jüngs​te Sohn Carl Fetz-Cer​let​ti (1889-1968) liess sich als Ar​chi​tekt aus​bil​den und über​nahm um 1915 die Ab​tei​lung Schrei​ne​rei u. Zim​me​rei und pro​du​zier​te !x​fer​ti​ge Cha​let-Häu​ser, in Rhäzüns ste​hen de​ren acht. Gleich​zei​tig, um 1915, über​nahm die Fir​ma Paul Bal​tha​sar Vie​li-Reich​lin & Cie. (1865-1933) die Ab​tei​lung Sä​ge​rei, Korn​müh​le, Stiel- und Kis​ten​fa​brik; die bei​den Fir​men be​schäf​tig​ten zeit​wei​se bis zu acht​zig Per​so​nen. Um 1920 wur​de die Sä​ge​rei mit ei​nem Bahn​ge​lei​se zur RhB-Sta​ti​on Rhäzüns ver​se​hen. M.s.u. 46. Ge​schich​te der Dorf​sä​ge​rei und Korn​müh​le.

Die Ge​mein​de be​sitzt 580 ha Wald und rund 100 ha sind in pri​va​tem Be​sitz. Die Rhä​zün​ser konn​ten das Holz an die in un​mit​tel​ba​rer Nä​he ste​hen​de Sä​ge​rei ver​kau​fen. Die Ge​mein​de stell​te 15 bis 20 Wald​ar​bei​ter an und liess im Win​ter je nach Be​darf im gros​sen Stil das Holz schla​gen und auf​rüs​ten. Für das Holz​fuhr​werk rich​te​ten sich ein paar Bau​ern auf ei​nen Ne​ben​er​werb ein, an​fangs noch zum Teil mit Kuh- und Och​sen- Ge​span​nen, spä​ter wur​de dann ver​stärkt das Pferd ein​ge​setzt. Die Wald​ar​bei​ter konn​ten von Früh​jahr bis zum Spät​herbst in der Zeit​pe​ri​ode von 1897 bis 1920 für die Ge​mein​de die Wald​we​ge er​stel​len. Für den Un​ter​halt der We​ge wur​den ein bis zwei neue Ar​beits​stel​len (Weg​ma​cher) ge​schaf​fen, die dann an​fangs der 1970er-Jah​re wie​der ab​ge​scha#t wur​den. Die We​ge wur​den auf den Pfer​de​trans​port aus​ge​rich​tet; bei ei​nem mitt​le​ren Ge​fäl​le von ca. 15%, wur​de das Holz gröss​ten​teils bis zur Talebe​ne am Bo​den als Mit​tel zur Brem​sung nach​ge​zo​gen. An drei Stellen kurz vor der Talebe​ne in Mu​legn sura, Ve​g​nas und Fi​giu hat​te man ei​nen Auf​zug er​rich​tet, um das Holz hoch​zu​zie​hen, das man am Bo​den nach​ge​zo​gen hat​te; so konn​te man mit dem Wa​gen vor​fah​ren und das Holz auf den Wa​gen la​den. Der Auf​zug wur​de „la Tril​la ge​nannt“. 

 

1950 Rhäzüns, Via Ve​g​nas „La Tril​la“/Auf​zug er​kennt​lich Bild un​ten links (Samm​lung chrsp.)

So ent​stand ei​ne gan​ze Rei​he von Ge​wer​ben als Ne​ben​er​wer​be. Zum Bei​spiel gab es ei​nen Huf​schmied, der wuss​te wie man Nä​gel mit Köp​fen mach​te für die Her​stel​lung von Wa​gen-Schlit​ten und Werk​zeu​gen, ei​nen Wag​ner, Satt​ler, Schär​fer für die Sä​ge​rei und ei​nen Le​der​seil​ma​cher (zopf​mäs​sig. Tertschè ter​scho​la da tgirom) für die Fuhr​bin​de​rei. Wei​te​re Gewerbe wa​ren ei​ne Metz​ge​rei, zwei Schuh​mach​er​werk​stät​ten, ei​ne Schnei​de​rei, ei​ne Bä​cke​rei; wei​ter ent​stan​den 6 Gast​häu​ser, der Kon​sum​ver​ein, die Sen​ne​rei-Ge​nos​sen​schaft so​wie die Braun​vieh​zucht​ge​nos​sen​schaft. In die​sen Jah​ren wur​den vie​le Ver​ei​ne und Ge​nos​sen​schaf​ten ge​grün​det. Die Dorfwirt​schaft flo​rier​te. Es scheint, als hät​ten die Leu​te ein​an​der an​ge​steckt und al​le ei​ne Markt​lü​cke ge​sucht, um sich in ir​gend​ei​nem Gewerbe selb​stän​dig zu ma​chen.

1909: Rhäzüns wä​re fast zu ei​nem Kur​ort ge​wor​den mit sei​nem „Bad und Kur​haus der Rhä​ti​schen Mi​ne​ral​heil​quel​len AG Rhäzüns“. M.s.u. 45. Mi​ne​ral​quel​le. Der Wirt​schaft​li​che Auf​schwung war lei​der nur von kur​zer Dau​er, denn es folg​ten in den nächs​ten 30 Jah​ren zwei Welt​krie​ge und zwi​schen​durch ei​ne Welt​!​nanz​kri​se. Da​durch ent​stand ei​ne ho​he Ar​beits​lo​sig​keit; zu​dem hat​te man auch noch ei​ni​ge Ma​le Maul-und-Klau​en​seu​chen-Qua​ran​tä​nen durch​zu​ste​hen.19

Die Zeit des Ers​ten bis zum En​de des Zwei​ten Welt​krie​ges

Der Ers​te Welt​krieg (1914-1918) hat die selbst​ver​sor​gen​de Fa​mi​li​en​wirt​schaft weit​ge​hend ge​schwächt. Die Vieh​prei​se sind ein​ge​bro​chen, die Land​wirt​schaft ge​riet auf​grund ih​rer Markt​ab​hän​gig​keit in den 1920er-Jah​ren in ei​ne Kri​se. Im Jahr 1929 kam noch die Welt​wirt​schafts​kri​se hin​zu (ver​gleich​bar mit der Ban​ken​kri​se von 2008), wel​che die Wirt​schaft noch tie​fer in die Kri​se riss, als sie es oh​ne​hin schon war. Die Ar​beits​lo​sig​keit nahm in den 1930er-Jah​ren da​durch wei​ter zu, wie auch die aus​ser​or​dent​li​chen po​li​ti​schen Un​ru​hen das Ge​sche​hen zu​neh​mend be​herrsch​ten.20

Grenz​be​set​zung 1914 - II 91.2. Zug. im Val Bre​gaglia. Dar​un​ter sind ei​ni​ge Rhä​zün​ser. (Samm​lung chrsp.)

Thus​ner Sep​tem​ber​markt in den 1930er-Jah​ren (Ar​chiv BP) (Samm​lung chrsp.)
Kü​he und Rin​der so weit das Au​ge reicht; die Markt​wie​se platzt fast aus den Näh​ten. Die Vieh​prei​se: Für Kü​he wur​den zum Bei​spiel Prei​se zwi​schen Fr. 600.- und Fr. 800.- statt der sonst üb​li​chen Fr.1500.- bis 2000.- ver​langt.

Trotz Kri​se durf​ten ei​ni​ge Rhä​zün​ser we​gen der Nä​he zu Ems ein we​nig Ho#​nung schöp​fen, denn am 23. Mai 1936 wur​de die „Holz​ver​zu​cke​rungs AG“ (HO​VAG) in Do​mat/Ems durch Dr. W. Os​wald ge​grün​det. Nach län​ge​ren Ver​hand​lun​gen mit der Stand​ort​ge​mein​de, dem Kan​ton und dem Bund konn​te am 2. Au​gust 1941 mit dem Bau be​gon​nen wer​den. Im Herbst 1942 be​gann man mit der Pro​duk​ti​on von „Em​ser Was​ser“, dem 60%igen Me​thyl​al​ko​hol (Fein​sprit). Ei​ni​ge Rhä​zün​ser fan​-den dort von An​fang an Ar​beit und da​mit auch ein si​che​res ganz​jäh​ri​ges Ver​dienst.21

Auf​grund des Macht​hun​gers des Na​tio​nal​so​zia​lis​mus in Deutsch​land kam es in​des​sen in der schwei​ze​ri​schen Nach​bar​schaft so, wie man es hat​te kom​men se​hen.22

Am 31. Au​gust 1939 brach der Zwei​te Welt​krieg aus.

Am 2. Sep​tem​ber 1939 er​folg​te die Ge​ne​ral​mo​bil​ma​chung der ge​sam​ten Ar​mee. Rund 500`000 Mann (oh​ne die Nach​stel​lungs​pflich​ti​gen) muss​ten Fa​mi​lie und Hof ver​las​sen. Die Bünd​ner Grenz​schutz​trup​pen be​setz​ten bis En​de 1939 fast aus​nahms​los im bünd​ne​ri​schen Raum die ih​nen zu​ge​wie​se​nen Grenz​ab​schnit​te. Die Mo​bil​ma​chung war zu ei​nem Zeit​punkt er​folgt, als die Land​wirt​schaft auf dem Hö​he​punkt ih​rer Ar​beits​be​las​tung stand: Die Ern​te muss​te ein​ge​bracht wer​den, die Al​p​ent​la​dun​gen wa​ren un​auf​schieb​bar, die Vieh​märk​te muss​ten den sai​so​na​len Vieh​ab​satz er​mög​li​chen. Vie​le Bau​ern​be​trie​be blie​ben wäh​rend lan​ger Zeit ver​waist und konn​ten nur not​dürf​tig be​wirt​schaf​tet wer​den. Man​cher​orts herrsch​te be​züg​lich der Ar​beits​kräf​te ei​ne ei​gent​li​che Not​la​ge.23

1939: Kriegs​mo​bil​ma​chung

Das Jahr 1940 stand im Zei​chen der In​ten​si​vie​rung und Aus​wei​tung des Krie​ges. Nor​we​gen, Dä​ne​mark, Bel​gi​en, Lu​xem​burg, Hol​land und Frank​reich wur​den durch die Deut​schen be​siegt. Die Schweiz war seit dem Ju​ni 1940 von den Mäch​ten der Fins​ter​nis völ​lig ein​ge​kreist. Im​mer mehr be​gan​nen sich die Fol​gen des Krie​ges auch in un​se​rem Lan​de be​merk​bar zu ma​chen, be​son​ders in wirt​schaft​li​cher Hin​sicht.

Das Jahr 1941: Der Krieg wei​te​te sich wei​ter aus. Im Ju​ni brach der Krieg zwi​schen Deutsch​land und Russ​land aus und ge​gen En​de des Jah​res be​gann der​sel​be im pa​zi​!​schen Oze​an zwi​schen Ja​pan und den Ver​ei​nig​ten Staa​ten. Un​ter die​sen Um​stän​den war ein En​de die​ses un​ge​heu​ren Welt​krie​ges nicht ab​zu​se​hen.24 Auf mi-li​tä​ri​scher Sei​te ge​wann mehr und mehr die Er​näh​rungs​front an Ge​wicht. So vor​aus​schau​end für den Ernst​fall im mi​li​tä​ri​schen Be​reich ge​plant wor​den war – er​-gänzt durch Vor​rats​hal​tun​gen und so​fort in Kraft tre​ten​de Ra​tio​nie​rungs​mass​nah​men – reich​te das Vor​han​de​ne für die Er​näh​rung der Be​völ​ke​rung wäh​rend ei​-ner lan​gen Kriegs​pe​ri​ode doch nicht aus. Schwie​rig ge​stal​te​te sich die Ver​sor​gungs​la​ge be​züg​lich des Brot- und Fut​ter​ge​trei​des. Es fehl​ten für die aus​rei​chen​de Er​näh​rung der Be​völ​ke​rung rund 2/3 des Be​dar​fes. In den Frie​dens​jah​ren war die​ser durch die Ein​fuh​ren ge​deckt wor​den.

1942/45: Nach dem Plan von Friedrich Traugott Wahlen, Beauftragter des Bundesrates, sollte die schweizerische Landwirtschaft verdoppelt werden. Diese "Anbauschlacht" erstreckte sich über die ganzen Kriegsjahre. Sie legte Zeugnis von der Leistungskraft des ganzen Volkes ab. In dieser "Anbauschlacht" wurden sogar die Grünanlagen in den Städten zu Anpflanzung von Kartoffeln, Zuckerrüben und Getreide genutzt, so dass der Selbtversorungsgrad der Schweiz mit Lebensmitteln von 52% (1939) auf 72% (1945) gesteigert werden konnte. 

 

Die An​bau​flä​che in der Schweiz:

Ge​mü​se ver​dop​pelt von 8`000 ha auf 16`000 ha; Kar​tof​feln: von 45`000 ha auf 62`000 ha; Ge​trei​de: von 209`000 ha auf 360`000 ha
Das Haupt​au​gen​merk galt der of​fe​nen Acker​flä​che für den Ge​trei​de- und Fut​ter​an​bau.

Grau​bün​den: Ob​schon ein ty​pi​scher Vieh​zucht​kan​ton, durf​te sich auch Grau​bün​den die​sen Mehr​an​baupflich​ten nicht ent​zie​hen. Sei​ne of​fe​ne Acker​flä​che stieg von 3`800 ha auf 5`070 ha.25

Rhäzüns: Die Ge​mein​de un​ter​lag eben​falls der Ver​sor​gungs- und Mehr​an​baupflicht . An​bau​flä​che 1942/43 Ge​trei​de von 15.03 ha auf 30.89 ha; Kar​tof​feln von 14.66 ha auf 28.78 ha; Ge​mü​se von 0.4 ha auf 4.24 ha; Obst​bäu​me von 7.93 ha auf 27.91 ha
Kör​ner-Mais, Raps, Zu​cker​rü​ben/Run​kel​rü​ben und Ta​bak: Flä​che nicht be​kannt.26

Die an​schlies​sen​den Jah​re er​for​der​ten zu​sätz​li​che An​bau​flä​chen, wo​mit ge​wal​ti​ge Ar​beits​leis​tun​gen ver​bun​den wa​ren. Die land​wirt​schaft​lich ge​präg​te Be​völ​ke​rung rang sich das Äus​sers​te an Ein​satz ab. Auch die Schu​len, Ver​ei​ne und Grup​pen stell​ten sich wil​lig in den Dienst des Ge​mein​schafts​wer​kes. Den Schü​lern der Kan​tons​schu​le bei​spiels​wei​se ob​la​gen die Ro​dung und Be​pflan​zung gros​ser kom​ple​xe von Brach​land.

1944 Ge​trei​de​ern​te: Gar​ben, Bin​den und Auf​stel​len (Pho​to aus P. Metz. Ge​schich​te d. Kant. Grau​bün​den. Band III. Ver​lag Cal​ven Chur 1993.)

Ei​ne be​trächt​li​che Leis​tung für den Mehr​an​bau er​brach​ten die in​ter​nier​ten Po​len, wel​che seit 1940 in ei​ner Ge​samt​zahl von 13`000 Asyl in der Schweiz ge​nos​sen. Da​von wur​de Grau​bün​den ein Kon​tin​gent von rund 1500 Mann zu​ge​wie​sen. Im Jah​re 1944 stieg die​ser Be​stand auf über 2500 Mann. In​ter​nier​te, die sich für ei​nen in​di​vi​du​el​len Ein​satz eig​ne​ten, wur​den ein​zel​nen Land​wirt​schafts​be​trie​ben als Hilfs​kräf​te zu​ge​wie​sen; es wa​ren dies im Jah​re 1942 im​mer​hin 300 Mann. Den Rhä​zün​ser Land​wir​ten wur​den et​wa 20-30 Mann je nach Be​darf zu​ge​teilt. Die Ge​mein​de Rhäzüns be​kam je nach Be​darf ein grös​se​res oder klei​ne​res Deta​che​-ment zu​ge​wie​sen. Die Haupt​leis​tung er​brach​ten in​des​sen die auf den gan​zen Kan​ton ver​teil​ten Ar​beits​deta​che​men​te, die gros​se Land​flä​chen ro​de​ten und zu Kul​tur​land um​ge​stal​ten. Das er​gab ei​ne Mehr​flä​che von 150 ha. Da​zu ka​men Ro​dun​gen zur Wies​land​ge​win​nung, Ent​wäs​se​run​gen, Alp​sa​nie​run​gen usw.27


Kriegs​jahr 1943: In​fol​ge ver​schie​de​ner Er​eig​nis​se soll​te das Jahr als be​son​de​res Schick​sals​jahr in Er​in​ne​rung blei​ben. Der Krieg war noch nä​her an un​ser Land her​an​ge​rückt, was ei​ne er​höh​te Be​reit​schaft und ne​ben dem üb​li​chen Mi​li​tär​dienst am 9. Sep​tem​ber ei​ne teil​wei​se Mo​bi​li​sa​ti​on er​for​der​te. Nach​dem der Krieg auf Ita​li​en über​ge​grif​fen hat​te, brach​ten sich 20`000 ita​lie​ni​sche Mi​li​tär​an​ge​hö​ri​ge und Zi​vi​lis​ten in un​serm Land in Si​cher​heit.

1943 Mi​li​tär​kü​che – Pas​trin da la val Razén / Wasch​kü​che (Samm​lung chrsp.)

Kriegs​jahr 1944: Der Krieg dau​er​te auch in die​sem Jahr mit ge​stei​ger​ter Hef​tig​keit und Grau​sam​keit an. Für Deutsch​land und Ja​pan be​deu​te​te es nun​mehr ein letz​tes ver​zwei​fel​tes Rin​gen. Auch für die Schweiz galt es, je​der​zeit in Be​reit​schaft zu ste​hen, in mi​li​tä​ri​scher und wirt​schaft​li​cher Hin​sicht. Als ganz be​son​de​res Er​eig​nis dür​fen wir im kur​zen Rück​blick auf das Jahr 1945 die Be​en​di​gung des Zwei​ten Welt​krie​ges am 8. Mai registrieren. Nun wa​ren die "Gros​sen" dar​an, die Welt weg vom Krieg zum Frie​den zu füh​ren.28

Zusammenfassung über die Krisenzeit und danach

Nach dem Ersten Weltkrieg, als die Viehpreise eingebrochen waren, geriet die Bündner Landwirtschaft über zwei Jahrzehnte hinweg, aufgrund ihrer Marktabhängigkeit, in eine Krise. Erst durch die staatliche Unterstützung  Mitte der 1940er-Jahre wurden sie wieder aus der Kriese herausgeführt. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts greift der Staat mit Gesetzen und Schutzverordnungen lenkend ein, vergibt aber auch Prämien und fördert die landwirtschaftliche Bildung. Weiter folgten staatliche Investitionen in Gebäude und Wege. Die Bauern selbst schlossen sich zur Wahrung ihrer Interessen in überkommunalen Vereinen und Genossenschaften zusammen. Entgegen den Befürchtungen gab es nach dem 2. Weltkrieg keine Arbeitslosigkeit, sondern einen ungeahnten Aufschwung in der Industrie und im Gewerbe. Dadurch begann eine grosse Abwanderung aus der Landwirtschaft, was höhere Löhne sowie kürzere und geregelte Arbeitszeiten zu Folge hatte, sodass die Mechanisierung in der Landwirtschaft notwendig wurde zur Sicherung der Landesversorgung und Aufrechterhaltung der Betriebe.29

Bei den nebenberuflichen Bauern, die eine Landwirtschaft für die Selbstversorgung betrieben, und bei den hauptberuflichen Bauern zeichnete sich ab 1945 bis 1970 eine deutliche Überalterung ab. Viele haben schleichend in den nächstfolgenden Jahren, des Alters wegen aufgrund fehlenden Nachwuchses oder eines bescheidenen mittleren Wohlstandes, die Landwirtschaft aufgegeben (1948: Einführung der AHV-Rente); nicht dass es an Nachwuchs gefehlt hätte, doch wollten die jungen Leute der Scholle nicht mehr treu bleiben. Dafür entwickelte sich für einige, die für sich in der Freizeit eine Nebenbeschäftigung suchten, eine neue Betriebs-Kategorie: „Hobby Pur“. Sie pachteten Land, Scheunen und Ställe und züchteten vor allem so genannte Ausstellungsschafe.30


1965 Jakob Haltiner-Diggelmann mit Pferd Roland beim Heuen in Tschaneuntas

 

< 1. Teil    3. Teil >